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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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sein Empfindung hat ihn der Fanatismus gemacht die Strenge, mit welcher
die Regierung nun gegen die Sozialdemokratie vorging, sei veranlaßt lediglich
durch die Angst vor dem Zusammenbruche ihrer nur auf die Bayonnette ge¬
gründeten Gewalt. Trinmphirend ruft er aus: "Es bedürfte einer einzigen
"kühnen" Hand, eines einzigen "entschlossenen" Menschen, um der Welt die
ganze Hohlheit dieser Gewalt zu zeigen!" Schon in diesen Worten liegt ein
ganzes Urtheil über die Attentate und die Attentäter. Doch Herr Dmitrij
Klemenz ist keiner von den "Halben", die mit halben Worten reden; er ent¬
wickelt seine Anschauung über Hödel zunächst in Sätzen, die wir unverkürzt
wiedergeben wollen. "Giebt es, fragt er, vorwurfsvoll an seine deutschen Partei¬
genossen sich wendend, in Deutschland nicht Hunderte, nicht Tausende von
Arbeitern, welche durch Armuth zur Verzweiflung, zur bitteren Nothwendigkeit
des Diebstahls geführt werden? Aber ans allen den Hunderten und Tau¬
senden solcher Arbeiter wurde Hödel allein auserwählt. Giebt es nicht genug
Arbeiter in Deutschland, welche von einem Vereine zum andern, von einer
Partei zur andern hinübergehen, weil sie niemals befriedigt werden? Aber nur
Hödel fand in sich die genügende Kraft, um sein Leben zu riskiren. Endlich
giebt denn ein lasterhaftes Leben in der Vergangenheit den Schlüssel zur Er¬
klärung von Schritten, wie das Attentat vom 11. Mai? Machen etwa Mangel
an festen Ueberzeugungen und geistiger Bildung, dessen man Hotel beschuldigt,
einen Menschen dazu geeignet, sich selbst zum Opfer zu bringen? Man ver¬
gißt, daß ein Mensch, der, sei es nnr auf eine Minute, sei es nur unter dem
Einflüsse der Leidenschaft oder nervöser Aufregung sich entschließt, sich zum
Opfer zu bringe" und vor diesen: Entschlüsse nicht zurückschreckt, auf keinen
Fall nur "ein armer Teufel", ein Schurke, ein Lumpenkerl"*) sein kann, son¬
dern entweder ein Held oder ein Wahnsinniger sein muß."

Mit gleich unqualifizirbarer "Offenheit" der Sprache und Stumpfheit des
sittlichen Gefühls läßt sich sodann der Verfasser über Nobiling aus. Auch hier
ist eine wörtliche Uebersetzung allein geeignet, diese für jeden Nichtsozialisten
unfaßbare Gesinnung zu veranschaulichen.

"Auf Hödel's Spur -- so beginnt Herr Klemenz -- erscheint die gran¬
diose Figur Nobiling's. Dieser Mensch ist aus einem Metalle mit Orsini,
Karakosvw^) und andern großen Männern und Rändern der geknechteten
Menschheit gegossen. Aus allen Nachrichten über ihn wird deutlich sichtbar,
daß dies ein volksthümlicher, historischer Charakter war. Ein eigenartiger
Mensch im vollen Sinne des Wortes, hat er keiner Partei angehört. Er arbei-




Die Worte sind deutsch, weil Zitate als deutschen Sozmlistcnblüttcru.
**) Der am 12. April 1366 auf Kaiser Alexander von Rußland schoß.

sein Empfindung hat ihn der Fanatismus gemacht die Strenge, mit welcher
die Regierung nun gegen die Sozialdemokratie vorging, sei veranlaßt lediglich
durch die Angst vor dem Zusammenbruche ihrer nur auf die Bayonnette ge¬
gründeten Gewalt. Trinmphirend ruft er aus: „Es bedürfte einer einzigen
„kühnen" Hand, eines einzigen „entschlossenen" Menschen, um der Welt die
ganze Hohlheit dieser Gewalt zu zeigen!" Schon in diesen Worten liegt ein
ganzes Urtheil über die Attentate und die Attentäter. Doch Herr Dmitrij
Klemenz ist keiner von den „Halben", die mit halben Worten reden; er ent¬
wickelt seine Anschauung über Hödel zunächst in Sätzen, die wir unverkürzt
wiedergeben wollen. „Giebt es, fragt er, vorwurfsvoll an seine deutschen Partei¬
genossen sich wendend, in Deutschland nicht Hunderte, nicht Tausende von
Arbeitern, welche durch Armuth zur Verzweiflung, zur bitteren Nothwendigkeit
des Diebstahls geführt werden? Aber ans allen den Hunderten und Tau¬
senden solcher Arbeiter wurde Hödel allein auserwählt. Giebt es nicht genug
Arbeiter in Deutschland, welche von einem Vereine zum andern, von einer
Partei zur andern hinübergehen, weil sie niemals befriedigt werden? Aber nur
Hödel fand in sich die genügende Kraft, um sein Leben zu riskiren. Endlich
giebt denn ein lasterhaftes Leben in der Vergangenheit den Schlüssel zur Er¬
klärung von Schritten, wie das Attentat vom 11. Mai? Machen etwa Mangel
an festen Ueberzeugungen und geistiger Bildung, dessen man Hotel beschuldigt,
einen Menschen dazu geeignet, sich selbst zum Opfer zu bringen? Man ver¬
gißt, daß ein Mensch, der, sei es nnr auf eine Minute, sei es nur unter dem
Einflüsse der Leidenschaft oder nervöser Aufregung sich entschließt, sich zum
Opfer zu bringe» und vor diesen: Entschlüsse nicht zurückschreckt, auf keinen
Fall nur „ein armer Teufel", ein Schurke, ein Lumpenkerl"*) sein kann, son¬
dern entweder ein Held oder ein Wahnsinniger sein muß."

Mit gleich unqualifizirbarer „Offenheit" der Sprache und Stumpfheit des
sittlichen Gefühls läßt sich sodann der Verfasser über Nobiling aus. Auch hier
ist eine wörtliche Uebersetzung allein geeignet, diese für jeden Nichtsozialisten
unfaßbare Gesinnung zu veranschaulichen.

„Auf Hödel's Spur — so beginnt Herr Klemenz — erscheint die gran¬
diose Figur Nobiling's. Dieser Mensch ist aus einem Metalle mit Orsini,
Karakosvw^) und andern großen Männern und Rändern der geknechteten
Menschheit gegossen. Aus allen Nachrichten über ihn wird deutlich sichtbar,
daß dies ein volksthümlicher, historischer Charakter war. Ein eigenartiger
Mensch im vollen Sinne des Wortes, hat er keiner Partei angehört. Er arbei-




Die Worte sind deutsch, weil Zitate als deutschen Sozmlistcnblüttcru.
**) Der am 12. April 1366 auf Kaiser Alexander von Rußland schoß.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/479>, abgerufen am 22.07.2024.