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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Titel willen" schimpften, mögen die Götter wissen. Als die "Enthüllung" von
Marx bis ans den letzten Tropfen ausgepreßt war, spürte man Bücher's Be¬
ziehungen zu Lassalle nach und entdeckte dabei einen Brief, der zwar schon
jedem Kinde bekannt war, das sich jemals mit der Entstehungsgeschichte der
deutschen Sozialdemokratie beschäftigt hat, aber in den fortschrittlichen Blättern
als funkelnagelneue Entdeckung prangte. In diesem Schreiben an die Leipziger
Arbeiter, die ihn um seinen Rath über die Agitation Lassalle's gefragt hatten
protestirt Bücher gegen die Mißhandlungen, die sein Freund von den Berliner
Fortschrittlern erfahren hatte und versprach, sich näher auszulassen in einem
Vortrage über die Frage, wie sich die Manchesterpartei zu dem Wesen jedes
Staats und zu deu Aufgaben der gegenwärtigen Staaten verhält. Dieser Brief
war neues Material; verschwiegen wurde dabei, daß das ziemlich diplomatisch
abgesetzte Dokument von persönlicher Freundschaft und natürlicher Sympathie
für einen allseitig bekämpften Mann diktirt war, daß Bücher den Vortrag
niemals gehalten hat und daß er, wie Lassalle selbst wiederholt in seinen Briefen
bezeugt, mit aller Gewalt das abenteuerliche Unternehmen seines Freundes zu
hindern gesucht hatte. Endlich hatte man auch daran noch nicht genug und
grub das Testament Lassalle's aus, in welchem Bücher mehrfach bedacht ist.
Als die Bucherhetze diesen Gipfel erreichte, schrieb ein süddeutsches Blatt, man
scheine in Berlin den Verstand verloren zu haben, allein diese Ansicht war
höchst irrig; man scheint vielmehr in Bayern noch der höchst antiquirten An¬
schauung zu huldigen, daß jeder gute Deutsche mit einigem Respekt von den
verdienstvollen Staatsmännern sprechen sollte, die um die Wiege des deutsche"
Reichs stauben.

Merkwürdig übrigens, daß die Artikel der Bncherhetze von ebenso schlechtem
Stile wie Geschmacke zeugten! Nach Schiller's Vers: "Was er weise ver¬
schweigt, zeigt nur den Meister des Stils" hätten sie Meisterstücke der Stilistik
sein müssen, denn im weisen Verschweigen waren sie groß. War Bücher
Legatar und Testamentsvollstrecker von Lassalle, so war es der fortschrittliche
Führer Holthoff auch. Schrieb Bücher jenen Brief zu Gunsten Lassalle's, so
entwarf der fortschrittliche Führer Ziegler die Statuten des "Allgemeinen deut¬
schen Arbeitervereins". Lud Bucher vor dreizehn Jahren Marx zum Korre-
spondiren für den "Staatsanzeiger" ein, so ist seit langen Jahren ein nam¬
hafter kommunistischer Führer ständiger Korrespondent in xolitiois am leiten¬
den Organe der Fortschrittspartei und zwar der Ambassadenr der deutschen
Sozialdemokraten bei den französischen Kommunards. Neulich hat dieser Herr
eine Broschüre veröffentlicht über die Kunst, sozialdemokratische Blätter zu
gründe" und sagt darin wörtlich: "Beispielsweise wäre es nicht rathsam, da
ein sozialdemvkratisches Blatt zu gründen, wo nicht schon seit längerer Zeit


Titel willen" schimpften, mögen die Götter wissen. Als die „Enthüllung" von
Marx bis ans den letzten Tropfen ausgepreßt war, spürte man Bücher's Be¬
ziehungen zu Lassalle nach und entdeckte dabei einen Brief, der zwar schon
jedem Kinde bekannt war, das sich jemals mit der Entstehungsgeschichte der
deutschen Sozialdemokratie beschäftigt hat, aber in den fortschrittlichen Blättern
als funkelnagelneue Entdeckung prangte. In diesem Schreiben an die Leipziger
Arbeiter, die ihn um seinen Rath über die Agitation Lassalle's gefragt hatten
protestirt Bücher gegen die Mißhandlungen, die sein Freund von den Berliner
Fortschrittlern erfahren hatte und versprach, sich näher auszulassen in einem
Vortrage über die Frage, wie sich die Manchesterpartei zu dem Wesen jedes
Staats und zu deu Aufgaben der gegenwärtigen Staaten verhält. Dieser Brief
war neues Material; verschwiegen wurde dabei, daß das ziemlich diplomatisch
abgesetzte Dokument von persönlicher Freundschaft und natürlicher Sympathie
für einen allseitig bekämpften Mann diktirt war, daß Bücher den Vortrag
niemals gehalten hat und daß er, wie Lassalle selbst wiederholt in seinen Briefen
bezeugt, mit aller Gewalt das abenteuerliche Unternehmen seines Freundes zu
hindern gesucht hatte. Endlich hatte man auch daran noch nicht genug und
grub das Testament Lassalle's aus, in welchem Bücher mehrfach bedacht ist.
Als die Bucherhetze diesen Gipfel erreichte, schrieb ein süddeutsches Blatt, man
scheine in Berlin den Verstand verloren zu haben, allein diese Ansicht war
höchst irrig; man scheint vielmehr in Bayern noch der höchst antiquirten An¬
schauung zu huldigen, daß jeder gute Deutsche mit einigem Respekt von den
verdienstvollen Staatsmännern sprechen sollte, die um die Wiege des deutsche»
Reichs stauben.

Merkwürdig übrigens, daß die Artikel der Bncherhetze von ebenso schlechtem
Stile wie Geschmacke zeugten! Nach Schiller's Vers: „Was er weise ver¬
schweigt, zeigt nur den Meister des Stils" hätten sie Meisterstücke der Stilistik
sein müssen, denn im weisen Verschweigen waren sie groß. War Bücher
Legatar und Testamentsvollstrecker von Lassalle, so war es der fortschrittliche
Führer Holthoff auch. Schrieb Bücher jenen Brief zu Gunsten Lassalle's, so
entwarf der fortschrittliche Führer Ziegler die Statuten des „Allgemeinen deut¬
schen Arbeitervereins". Lud Bucher vor dreizehn Jahren Marx zum Korre-
spondiren für den „Staatsanzeiger" ein, so ist seit langen Jahren ein nam¬
hafter kommunistischer Führer ständiger Korrespondent in xolitiois am leiten¬
den Organe der Fortschrittspartei und zwar der Ambassadenr der deutschen
Sozialdemokraten bei den französischen Kommunards. Neulich hat dieser Herr
eine Broschüre veröffentlicht über die Kunst, sozialdemokratische Blätter zu
gründe» und sagt darin wörtlich: „Beispielsweise wäre es nicht rathsam, da
ein sozialdemvkratisches Blatt zu gründen, wo nicht schon seit längerer Zeit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/475>, abgerufen am 03.07.2024.