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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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lieben Kämpfe der Koufliktszeit und er verlor jedenfalls für lodate Gemüther
den letzten Stachel, als Herr von Bismarck, sobald sich die Beschwerden der
Arbeiter großentheils als unbegründet erwiesen, Herrn Reichenheim eine Ehren¬
erklärung in öffentlicher Kammersitzung gab. Allein die Fortschrittspartei reitet
noch immer ans der überjührigen Geschichte herum, wenn es sich darum han¬
delt zu erklären, wie so ihre "geistigen" Mittel gegenüber der Sozialdemokratie
nicht anschlugen und sie hat darüber augenscheinlich ganz vergessen, daß als
ihr Max Hirsch fünf Jahre später in derselben Gegend von Schlesien jenen
Waldenburger Strike anzettelte, der Tausende von Arbeitern in's tiefste Elend
stürzte, eine Deputation der Sinkenden sogar an den Kronprinzen dirigirt
wurde, um seine Hilfe gegen die Arbeitgeber anzurufen, die nicht nach der
Pfeife vou Max Hirsch tanzen wollten.

Die Billigkeit gebietet, noch einige neueste "Beweise" zu erwähnen, welche
die Fortschrittspartei für die Deszendenz der deutschen Sozialdemokratie von
dem Fürsten Bismarck eruirt hat. Sie knüpfen sich allerdings nicht direkt an
seinen, sondern an den Namen eines seiner verdienstvollsten Gehilfen. Karl
Marx hat von jeher ein besonders diabolisches Vergnügen daran gefunden, auf
sein Vaterland zu schlagen, wenn er hoffen durfte, es dadurch in seiner internatio¬
nalen Stellung zu blcimiren und zu kompromittiren und als Lothar Bücher bei
dem Berliner Kongresse einen hohen Ehrenposten erhielt, veröffentlichte er die
Neuigkeit, daß sein einstiger Exilsgenosse ihm vor dreizehn Jahren im Auftrage
des Redakteurs eine Londoner Korrespondentenstelle an dem preußischen "Stacits-
nnzeiger" angeboten habe. Herr Marx verschwieg dabei, daß er, wie sein
Famulus Liebknecht -- beispielsweise dieser für ein Augsburger Organ und er
selbst für die "Newyork-Tribüne" -- lange Jahre für "Bourgeois"-Blütter
thätig gewesen waren und somit die Zumuthung, finauztechnische Berichte für
ein wesentlich parteiloses Blatt zu schreiben, jedenfalls kein unerhörtes Attentat
auf die Jungfräulichkeit seiner kommunistischen Ueberzeugungen gewesen wäre;
auch gab es damals noch keine nach seinem Kommando geleitete, sozialdemo-
kratische Partei in Deutschland. Allein trotz der Evidenz dieser Thatsachen, und
trotz der märchenhaften Insinuation, daß Fürst Bismarck den Hebel zur soziali-
stischen Umwälzung des Staats in den Berichten des "Staatsanzeigers" vom
Londoner Geldmarkte ansetzen wollte, nahm die fortschrittliche Presse die Fährte
auf, welche Marx angeschlagen hatte und inszenirte -- voran das leitende
Parteiblatt, das sich zugleich der Konfidenzen der Familie Harry Arnim er¬
freut -- eine Hetze gegen Bucher, die immerdar ein kläglichstes Blatt in der
zeitgenössischen Publizistik füllen wird. Was sich die Diplomaten des Kongresses
dabei gedacht herben mögen, als tonangebende Blätter der Hauptstadt einen
der eminentester Staatsmänner der Epoche einen "Renegaten um Orden und


lieben Kämpfe der Koufliktszeit und er verlor jedenfalls für lodate Gemüther
den letzten Stachel, als Herr von Bismarck, sobald sich die Beschwerden der
Arbeiter großentheils als unbegründet erwiesen, Herrn Reichenheim eine Ehren¬
erklärung in öffentlicher Kammersitzung gab. Allein die Fortschrittspartei reitet
noch immer ans der überjührigen Geschichte herum, wenn es sich darum han¬
delt zu erklären, wie so ihre „geistigen" Mittel gegenüber der Sozialdemokratie
nicht anschlugen und sie hat darüber augenscheinlich ganz vergessen, daß als
ihr Max Hirsch fünf Jahre später in derselben Gegend von Schlesien jenen
Waldenburger Strike anzettelte, der Tausende von Arbeitern in's tiefste Elend
stürzte, eine Deputation der Sinkenden sogar an den Kronprinzen dirigirt
wurde, um seine Hilfe gegen die Arbeitgeber anzurufen, die nicht nach der
Pfeife vou Max Hirsch tanzen wollten.

Die Billigkeit gebietet, noch einige neueste „Beweise" zu erwähnen, welche
die Fortschrittspartei für die Deszendenz der deutschen Sozialdemokratie von
dem Fürsten Bismarck eruirt hat. Sie knüpfen sich allerdings nicht direkt an
seinen, sondern an den Namen eines seiner verdienstvollsten Gehilfen. Karl
Marx hat von jeher ein besonders diabolisches Vergnügen daran gefunden, auf
sein Vaterland zu schlagen, wenn er hoffen durfte, es dadurch in seiner internatio¬
nalen Stellung zu blcimiren und zu kompromittiren und als Lothar Bücher bei
dem Berliner Kongresse einen hohen Ehrenposten erhielt, veröffentlichte er die
Neuigkeit, daß sein einstiger Exilsgenosse ihm vor dreizehn Jahren im Auftrage
des Redakteurs eine Londoner Korrespondentenstelle an dem preußischen „Stacits-
nnzeiger" angeboten habe. Herr Marx verschwieg dabei, daß er, wie sein
Famulus Liebknecht — beispielsweise dieser für ein Augsburger Organ und er
selbst für die „Newyork-Tribüne" — lange Jahre für „Bourgeois"-Blütter
thätig gewesen waren und somit die Zumuthung, finauztechnische Berichte für
ein wesentlich parteiloses Blatt zu schreiben, jedenfalls kein unerhörtes Attentat
auf die Jungfräulichkeit seiner kommunistischen Ueberzeugungen gewesen wäre;
auch gab es damals noch keine nach seinem Kommando geleitete, sozialdemo-
kratische Partei in Deutschland. Allein trotz der Evidenz dieser Thatsachen, und
trotz der märchenhaften Insinuation, daß Fürst Bismarck den Hebel zur soziali-
stischen Umwälzung des Staats in den Berichten des „Staatsanzeigers" vom
Londoner Geldmarkte ansetzen wollte, nahm die fortschrittliche Presse die Fährte
auf, welche Marx angeschlagen hatte und inszenirte — voran das leitende
Parteiblatt, das sich zugleich der Konfidenzen der Familie Harry Arnim er¬
freut — eine Hetze gegen Bucher, die immerdar ein kläglichstes Blatt in der
zeitgenössischen Publizistik füllen wird. Was sich die Diplomaten des Kongresses
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[0474] lieben Kämpfe der Koufliktszeit und er verlor jedenfalls für lodate Gemüther den letzten Stachel, als Herr von Bismarck, sobald sich die Beschwerden der Arbeiter großentheils als unbegründet erwiesen, Herrn Reichenheim eine Ehren¬ erklärung in öffentlicher Kammersitzung gab. Allein die Fortschrittspartei reitet noch immer ans der überjührigen Geschichte herum, wenn es sich darum han¬ delt zu erklären, wie so ihre „geistigen" Mittel gegenüber der Sozialdemokratie nicht anschlugen und sie hat darüber augenscheinlich ganz vergessen, daß als ihr Max Hirsch fünf Jahre später in derselben Gegend von Schlesien jenen Waldenburger Strike anzettelte, der Tausende von Arbeitern in's tiefste Elend stürzte, eine Deputation der Sinkenden sogar an den Kronprinzen dirigirt wurde, um seine Hilfe gegen die Arbeitgeber anzurufen, die nicht nach der Pfeife vou Max Hirsch tanzen wollten. Die Billigkeit gebietet, noch einige neueste „Beweise" zu erwähnen, welche die Fortschrittspartei für die Deszendenz der deutschen Sozialdemokratie von dem Fürsten Bismarck eruirt hat. Sie knüpfen sich allerdings nicht direkt an seinen, sondern an den Namen eines seiner verdienstvollsten Gehilfen. Karl Marx hat von jeher ein besonders diabolisches Vergnügen daran gefunden, auf sein Vaterland zu schlagen, wenn er hoffen durfte, es dadurch in seiner internatio¬ nalen Stellung zu blcimiren und zu kompromittiren und als Lothar Bücher bei dem Berliner Kongresse einen hohen Ehrenposten erhielt, veröffentlichte er die Neuigkeit, daß sein einstiger Exilsgenosse ihm vor dreizehn Jahren im Auftrage des Redakteurs eine Londoner Korrespondentenstelle an dem preußischen „Stacits- nnzeiger" angeboten habe. Herr Marx verschwieg dabei, daß er, wie sein Famulus Liebknecht — beispielsweise dieser für ein Augsburger Organ und er selbst für die „Newyork-Tribüne" — lange Jahre für „Bourgeois"-Blütter thätig gewesen waren und somit die Zumuthung, finauztechnische Berichte für ein wesentlich parteiloses Blatt zu schreiben, jedenfalls kein unerhörtes Attentat auf die Jungfräulichkeit seiner kommunistischen Ueberzeugungen gewesen wäre; auch gab es damals noch keine nach seinem Kommando geleitete, sozialdemo- kratische Partei in Deutschland. Allein trotz der Evidenz dieser Thatsachen, und trotz der märchenhaften Insinuation, daß Fürst Bismarck den Hebel zur soziali- stischen Umwälzung des Staats in den Berichten des „Staatsanzeigers" vom Londoner Geldmarkte ansetzen wollte, nahm die fortschrittliche Presse die Fährte auf, welche Marx angeschlagen hatte und inszenirte — voran das leitende Parteiblatt, das sich zugleich der Konfidenzen der Familie Harry Arnim er¬ freut — eine Hetze gegen Bucher, die immerdar ein kläglichstes Blatt in der zeitgenössischen Publizistik füllen wird. Was sich die Diplomaten des Kongresses dabei gedacht herben mögen, als tonangebende Blätter der Hauptstadt einen der eminentester Staatsmänner der Epoche einen „Renegaten um Orden und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/474>, abgerufen am 22.07.2024.