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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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sozialistischen Umtriebe konkreter und spezieller entwickelt, was nicht minder
möglich, wie nothwendig ist, die Kontrole der ausführenden Behörden einer
mit allen Bürgschaften richterlicher Unabhängigkeit umgebenen Rekursinstanz
übertragen und endlich einiges drakonische Beiwerk entfernt, so kann und wird
es seinen Zweck erreichen ohne dauernde Einbuße der Nation an ihren politi¬
schen Freiheiten und Rechten. Das Recht des Staates zu solchem Vorgehen
ist einfach gleichbedeutend mit seinem Wesen und seinen Zwecken; anch der
freieste Staat von der Welt hat weder die Pflicht, noch auch nur das Recht,
eine revolutionäre Agitation zu dulden, die, wie ebenso aus ihrer innern Natur,
so aus den unzweideutigen Kundgebungen ihrer Führer auf seinen gewalt¬
samen Umsturz abzielt.

Bekanntlich denkt ein großer Theil des neuen Reichstags anders; mehr
als ein Drittel, nahezu die Hälfte seiner Mitglieder kommen, durch Hand und
Mund gebunden, gegen dies, wie gegen jedes andere Repressivgesetz zu stimmen.
Soweit sich diese Opposition aus Partikularisten, Polen, Protestlern, Ultra¬
montanen :e. zusammensetzt, ist sie inkurabel, und es lohnt sich keine weitere
Diskussion darüber. Anders liegt die Sache, wenn auch eine Fraktion des
deutschen Liberalismus, die deutsche Fortschrittspartei, eine gleiche starre Nega¬
tion versieht und wenn die Gefahr droht, daß sobald diese Opposition noch
ein wenig weiter nach rechts um sich greift, das Gesetz fällt und eine völlig
unabsehbare Verwirrung entsteht, die der kommunistischen Demagogie einen
Erfolg und einen Triumph verschaffen würde, wie sie ähnliche noch nie ge¬
feiert hat. Da lohnt es sich immerhin ein wenig näher die prahlende Parole
zu prüfen, mit welcher die Fortschrittspartei in den eben verflossenen Wahl¬
kampf zog, jenen stolzen Appell an die ganze Weltgeschichte, daß eine geistige
Bewegung immer nur mit geistigen Mitteln zu überwinden sei. Die ganze
Relativität und Schiefheit dieser tiefsinnigen Wahrheit zu entwickeln, würde hier
allerdings zu weit führen; es mag genügen anzudeuten, daß wenn man einmal
in solchen Allgemeinheiten sprechen will, sich das gerade Gegentheil ungefähr
mit dem gleichen Rechte aus der Weltgeschichte beweisen ließe, daß Engels,
Marx, Liebknecht sich keineswegs zu jenem flachen Nationalismus bekennen und
ihrerseits gar keinen Zweifel übrig lassen über die wesenhafte Körperlichkeit
der Mittel, durch die im Zukunftsstaat jeder "Genosse" zur Raison gebracht
werden würde, der etwa eine Agitation zu Gunsten der Monarchie oder des
Privateigenthums einleiten wollte. Es lohnt sich um deshalb nicht, den
historischen Werth jenes Satzes richtig zu stellen, weil ihm die thatsächliche
Unterlage in dem Falle fehlt, den er beleuchten soll. Der wissenschaftliche
Sozialismus des neunzehnten Jahrhunderts ist eine geistige Bewegung, und
wenn überhaupt, so wird er nur durch geistige Mittel überwunden werden.


sozialistischen Umtriebe konkreter und spezieller entwickelt, was nicht minder
möglich, wie nothwendig ist, die Kontrole der ausführenden Behörden einer
mit allen Bürgschaften richterlicher Unabhängigkeit umgebenen Rekursinstanz
übertragen und endlich einiges drakonische Beiwerk entfernt, so kann und wird
es seinen Zweck erreichen ohne dauernde Einbuße der Nation an ihren politi¬
schen Freiheiten und Rechten. Das Recht des Staates zu solchem Vorgehen
ist einfach gleichbedeutend mit seinem Wesen und seinen Zwecken; anch der
freieste Staat von der Welt hat weder die Pflicht, noch auch nur das Recht,
eine revolutionäre Agitation zu dulden, die, wie ebenso aus ihrer innern Natur,
so aus den unzweideutigen Kundgebungen ihrer Führer auf seinen gewalt¬
samen Umsturz abzielt.

Bekanntlich denkt ein großer Theil des neuen Reichstags anders; mehr
als ein Drittel, nahezu die Hälfte seiner Mitglieder kommen, durch Hand und
Mund gebunden, gegen dies, wie gegen jedes andere Repressivgesetz zu stimmen.
Soweit sich diese Opposition aus Partikularisten, Polen, Protestlern, Ultra¬
montanen :e. zusammensetzt, ist sie inkurabel, und es lohnt sich keine weitere
Diskussion darüber. Anders liegt die Sache, wenn auch eine Fraktion des
deutschen Liberalismus, die deutsche Fortschrittspartei, eine gleiche starre Nega¬
tion versieht und wenn die Gefahr droht, daß sobald diese Opposition noch
ein wenig weiter nach rechts um sich greift, das Gesetz fällt und eine völlig
unabsehbare Verwirrung entsteht, die der kommunistischen Demagogie einen
Erfolg und einen Triumph verschaffen würde, wie sie ähnliche noch nie ge¬
feiert hat. Da lohnt es sich immerhin ein wenig näher die prahlende Parole
zu prüfen, mit welcher die Fortschrittspartei in den eben verflossenen Wahl¬
kampf zog, jenen stolzen Appell an die ganze Weltgeschichte, daß eine geistige
Bewegung immer nur mit geistigen Mitteln zu überwinden sei. Die ganze
Relativität und Schiefheit dieser tiefsinnigen Wahrheit zu entwickeln, würde hier
allerdings zu weit führen; es mag genügen anzudeuten, daß wenn man einmal
in solchen Allgemeinheiten sprechen will, sich das gerade Gegentheil ungefähr
mit dem gleichen Rechte aus der Weltgeschichte beweisen ließe, daß Engels,
Marx, Liebknecht sich keineswegs zu jenem flachen Nationalismus bekennen und
ihrerseits gar keinen Zweifel übrig lassen über die wesenhafte Körperlichkeit
der Mittel, durch die im Zukunftsstaat jeder „Genosse" zur Raison gebracht
werden würde, der etwa eine Agitation zu Gunsten der Monarchie oder des
Privateigenthums einleiten wollte. Es lohnt sich um deshalb nicht, den
historischen Werth jenes Satzes richtig zu stellen, weil ihm die thatsächliche
Unterlage in dem Falle fehlt, den er beleuchten soll. Der wissenschaftliche
Sozialismus des neunzehnten Jahrhunderts ist eine geistige Bewegung, und
wenn überhaupt, so wird er nur durch geistige Mittel überwunden werden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/470>, abgerufen am 22.07.2024.