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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Unter solchen Umständen erscheint es als politisches Gebot der Partei,
mmmwunden wenn auch schweren Herzens anzuerkennen, daß eine gesundere
Weiterentwicklung der öffentlichen Dinge in Zukunft eine Beachtung jener
Minorität der Partei erheischt, welche am reinsten die ursprünglichen Ziele der
Partei vertritt, nud welche wir nicht sowohl den "rechten Flügel" als den
wirklich staatsmännischen Theil der Fraktion nennen möchten. Denn es ist
eine arge Täuschung, zu glauben, der formelle Zusammenschluß könne von wesent¬
lichen Nutzen sein, wenn das nicht geschieht. Für die allgemeinere Entwicklung
müßte eine solche fortgesetzte Nichtachtung der staatsmännischen Köpfe der
Partei sogar nachtheilig sein, und für Beide kauu er sich unversehens bitter
rächen; sobald wichtigere Fragen nahen, können alle Vorsätze und das Ergebniß
langer Bemühungen plötzlich in die Brüche gehen.

Es ist bekannt, daß bei vielen Gelegenheiten, in wichtigen parlamentarischen
Fragen im nationalliberalen Lager eine Verschiedenartigkeit der Richtung her¬
vortrat. Dieselbe betraf weniger die idealen Parteiziele, als das praktische
Handeln im konkreten Falle. Die Sache war um so befremdlicher, als die
Partei von Anfang an gerade auf diese praktische Richtung ihr Augenmerk
lenken zu wollen schien. Gerade das schien das Bindemittel der verschieden¬
artigen Elemente zu bilden, welche das Conglomerat der Partei umfaßt. Auf
die kräftige Unterstützung der Politik unseres leitenden Staatmannes, auf die
vorläufige Weglassung alles Nebensächlichen, auf Festhaltung der großen Ge¬
sichtspunkte schien es allein ankommen zu sollen. Oftmals hörten wir, es
bestehe eigentlich kein Unterschied mehr zwischen der nationalliberaleu und
der freikonservativen Partei als Name und Entstehungsart, nud doch sahen wir
dann periodisch ein Gravitiren nach der Fortschrittspartei, welche praktische
Wege grundsätzlich zu verwerfen scheint und nur Idealen nachjagt. Diese Er¬
scheinung hat bei vielen Genossen der nationalliberalen Partei die unangenehmsten
Empfindungen hervorgerufen, namentlich dann, wenn auf die unwürdigsten
Angriffe, welche die Fortschrittspartei gegen die nationalliberale Partei richtete,
diese sich derselben nur freundlichst wieder zu nähern schien.

-^etzt aber wird das Verhalten der Partei gegenüber dem Sozialisten¬
gesetze von der Geschichte unzweifelhaft als schwerer Fehler gezeichnet werden,
weil die Gefahren, welche dasselbe abzuwehren bestimmt war, jedenfalls größer
waren als diejenigen, welche mit der Ablehnung oder Nichtanwendung ver¬
mieden werden sollten. Die Opposition hat einen Puukt unbeachtet gelassen,
gegen welchen keiner der vernommenen Einwände, und wenn sie sämmtlich be¬
gründet gewesen wären, auszukommen vermag: es kam zunächst lediglich ans
rasches Einschreiten an. Wenn in meinem Hanse ernstlich Feuer ausbricht, so
verbringe ich die kostbare Zeit nicht damit, daß ich mich mit den Hausgenossen


Unter solchen Umständen erscheint es als politisches Gebot der Partei,
mmmwunden wenn auch schweren Herzens anzuerkennen, daß eine gesundere
Weiterentwicklung der öffentlichen Dinge in Zukunft eine Beachtung jener
Minorität der Partei erheischt, welche am reinsten die ursprünglichen Ziele der
Partei vertritt, nud welche wir nicht sowohl den „rechten Flügel" als den
wirklich staatsmännischen Theil der Fraktion nennen möchten. Denn es ist
eine arge Täuschung, zu glauben, der formelle Zusammenschluß könne von wesent¬
lichen Nutzen sein, wenn das nicht geschieht. Für die allgemeinere Entwicklung
müßte eine solche fortgesetzte Nichtachtung der staatsmännischen Köpfe der
Partei sogar nachtheilig sein, und für Beide kauu er sich unversehens bitter
rächen; sobald wichtigere Fragen nahen, können alle Vorsätze und das Ergebniß
langer Bemühungen plötzlich in die Brüche gehen.

Es ist bekannt, daß bei vielen Gelegenheiten, in wichtigen parlamentarischen
Fragen im nationalliberalen Lager eine Verschiedenartigkeit der Richtung her¬
vortrat. Dieselbe betraf weniger die idealen Parteiziele, als das praktische
Handeln im konkreten Falle. Die Sache war um so befremdlicher, als die
Partei von Anfang an gerade auf diese praktische Richtung ihr Augenmerk
lenken zu wollen schien. Gerade das schien das Bindemittel der verschieden¬
artigen Elemente zu bilden, welche das Conglomerat der Partei umfaßt. Auf
die kräftige Unterstützung der Politik unseres leitenden Staatmannes, auf die
vorläufige Weglassung alles Nebensächlichen, auf Festhaltung der großen Ge¬
sichtspunkte schien es allein ankommen zu sollen. Oftmals hörten wir, es
bestehe eigentlich kein Unterschied mehr zwischen der nationalliberaleu und
der freikonservativen Partei als Name und Entstehungsart, nud doch sahen wir
dann periodisch ein Gravitiren nach der Fortschrittspartei, welche praktische
Wege grundsätzlich zu verwerfen scheint und nur Idealen nachjagt. Diese Er¬
scheinung hat bei vielen Genossen der nationalliberalen Partei die unangenehmsten
Empfindungen hervorgerufen, namentlich dann, wenn auf die unwürdigsten
Angriffe, welche die Fortschrittspartei gegen die nationalliberale Partei richtete,
diese sich derselben nur freundlichst wieder zu nähern schien.

-^etzt aber wird das Verhalten der Partei gegenüber dem Sozialisten¬
gesetze von der Geschichte unzweifelhaft als schwerer Fehler gezeichnet werden,
weil die Gefahren, welche dasselbe abzuwehren bestimmt war, jedenfalls größer
waren als diejenigen, welche mit der Ablehnung oder Nichtanwendung ver¬
mieden werden sollten. Die Opposition hat einen Puukt unbeachtet gelassen,
gegen welchen keiner der vernommenen Einwände, und wenn sie sämmtlich be¬
gründet gewesen wären, auszukommen vermag: es kam zunächst lediglich ans
rasches Einschreiten an. Wenn in meinem Hanse ernstlich Feuer ausbricht, so
verbringe ich die kostbare Zeit nicht damit, daß ich mich mit den Hausgenossen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/45>, abgerufen am 22.07.2024.