Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.für die Form der Sinn. Was von seinen Werken in Auszügen, Bruchstücken An die Spitze aller naturwissenschaftlichen Wahrheiten stellt der Dichter Nichts entsteht Dieser ergänzt sich durch den anderen Satz (I, 215 fg.): Alles gewordene löst die Natur So hatte schon Empedokles gelehrt: Keines von dem, was sterblich heißt, So lehrt auch die Wissenschaft unserer Tage. Der antike Lehrdichter führt Wohl schwindet der Regen, wenn in mächtigen Güssen für die Form der Sinn. Was von seinen Werken in Auszügen, Bruchstücken An die Spitze aller naturwissenschaftlichen Wahrheiten stellt der Dichter Nichts entsteht Dieser ergänzt sich durch den anderen Satz (I, 215 fg.): Alles gewordene löst die Natur So hatte schon Empedokles gelehrt: Keines von dem, was sterblich heißt, So lehrt auch die Wissenschaft unserer Tage. Der antike Lehrdichter führt Wohl schwindet der Regen, wenn in mächtigen Güssen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0416" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/140767"/> <p xml:id="ID_1297" prev="#ID_1296"> für die Form der Sinn. Was von seinen Werken in Auszügen, Bruchstücken<lb/> und Anführungen erhalten ist, das erklärt es zur Genüge, weshalb die größeren<lb/> Werke des Vielschreibers in späterer Zeit von den Griechen wenig, von den<lb/> Römern noch weniger gelesen wurden. Für die Menschen latinischer Zunge ward<lb/> nun der Dichter der Mund des Philosophen, sein Interpret und sein Prophet.<lb/> Lucrez hat wie in einem goldenen Spiegel die zerstreuten Lichtstrahlen noch<lb/> einmal aufgefangen und wirft sie in breiter Schimmerspur durch die Jahrhunderte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1298"> An die Spitze aller naturwissenschaftlichen Wahrheiten stellt der Dichter<lb/> den grundlegenden Satz (I, 150):</p><lb/> <quote> Nichts entsteht<lb/> Je aus dem Nichts durch göttliches Wirken.</quote><lb/> <p xml:id="ID_1299"> Dieser ergänzt sich durch den anderen Satz (I, 215 fg.):</p><lb/> <quote> Alles gewordene löst die Natur<lb/> Nur auf in die Körperchen, draus es geworden,<lb/> Und sie zerstört kein Ding bis in's Nichts.</quote><lb/> <p xml:id="ID_1300"> So hatte schon Empedokles gelehrt:</p><lb/> <quote> Keines von dem, was sterblich heißt,<lb/> Kennt ein Entstehen, keinem naht<lb/> Allverderblichen Todes Verhängnis;,<lb/> Sondern es ist ein Mischen nur,<lb/> Ist ein Entmischen des früher gemischten;<lb/> Aber der Mensch nennt's Werden und Tod.</quote><lb/> <p xml:id="ID_1301"> So lehrt auch die Wissenschaft unserer Tage. Der antike Lehrdichter führt<lb/> den Beweis natürlich nur aus Thatsachen, welche ohne das Experiment und<lb/> ohne exakte Beobachtung für jedermann zu Tage liegen, aber er fuhrt ihn<lb/> bündig und scharf. Würden die Dinge aus dem Nichts, — so argumentire er — so<lb/> könnten Menschen und Thiere aus jedem Element hervorgehen, so könnten<lb/> Blumen und Früchte zu jeder Jahreszeit entstehen, so konnten Kinder mit einem<lb/> Male zu Jünglingen werden u. s. w. — lauter Dinge, welche wir jetzt niemals<lb/> vorkommen sehn. Gingen ferner die untergehenden Dinge in's Nichts über,<lb/> so könnte jedes verschwinden, ohne daß es einer auflösenden Kraft bedürfte,<lb/> so müßte aller Stoff längst aufgebraucht sein, und es könnte, da ja nichts aus<lb/> nichts entstehen kann, überhaupt nichts mehr entstehen, so bedürfte es nicht<lb/> verschiedener Gewalt für die Zerstörung harter und weicher Gefüge u. s. w.<lb/> Daß das Vergehen nur ein Schein ist, daß die unsern Sinnen entschwundenen<lb/> Stoffe nur andere Verbindungen eingegangen sind, zeigt der Dichter an dem<lb/> Beispiele des befruchtenden Regens, wobei er, nach Dichterrecht, einen sinnigen<lb/> Naturmythus verwerthet (I, 250—256; 262-264):</p><lb/> <quote> Wohl schwindet der Regen, wenn in mächtigen Güssen<lb/> Ihn Vater Aether in Frühlingsgewittern</quote><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0416]
für die Form der Sinn. Was von seinen Werken in Auszügen, Bruchstücken
und Anführungen erhalten ist, das erklärt es zur Genüge, weshalb die größeren
Werke des Vielschreibers in späterer Zeit von den Griechen wenig, von den
Römern noch weniger gelesen wurden. Für die Menschen latinischer Zunge ward
nun der Dichter der Mund des Philosophen, sein Interpret und sein Prophet.
Lucrez hat wie in einem goldenen Spiegel die zerstreuten Lichtstrahlen noch
einmal aufgefangen und wirft sie in breiter Schimmerspur durch die Jahrhunderte.
An die Spitze aller naturwissenschaftlichen Wahrheiten stellt der Dichter
den grundlegenden Satz (I, 150):
Nichts entsteht
Je aus dem Nichts durch göttliches Wirken.
Dieser ergänzt sich durch den anderen Satz (I, 215 fg.):
Alles gewordene löst die Natur
Nur auf in die Körperchen, draus es geworden,
Und sie zerstört kein Ding bis in's Nichts.
So hatte schon Empedokles gelehrt:
Keines von dem, was sterblich heißt,
Kennt ein Entstehen, keinem naht
Allverderblichen Todes Verhängnis;,
Sondern es ist ein Mischen nur,
Ist ein Entmischen des früher gemischten;
Aber der Mensch nennt's Werden und Tod.
So lehrt auch die Wissenschaft unserer Tage. Der antike Lehrdichter führt
den Beweis natürlich nur aus Thatsachen, welche ohne das Experiment und
ohne exakte Beobachtung für jedermann zu Tage liegen, aber er fuhrt ihn
bündig und scharf. Würden die Dinge aus dem Nichts, — so argumentire er — so
könnten Menschen und Thiere aus jedem Element hervorgehen, so könnten
Blumen und Früchte zu jeder Jahreszeit entstehen, so konnten Kinder mit einem
Male zu Jünglingen werden u. s. w. — lauter Dinge, welche wir jetzt niemals
vorkommen sehn. Gingen ferner die untergehenden Dinge in's Nichts über,
so könnte jedes verschwinden, ohne daß es einer auflösenden Kraft bedürfte,
so müßte aller Stoff längst aufgebraucht sein, und es könnte, da ja nichts aus
nichts entstehen kann, überhaupt nichts mehr entstehen, so bedürfte es nicht
verschiedener Gewalt für die Zerstörung harter und weicher Gefüge u. s. w.
Daß das Vergehen nur ein Schein ist, daß die unsern Sinnen entschwundenen
Stoffe nur andere Verbindungen eingegangen sind, zeigt der Dichter an dem
Beispiele des befruchtenden Regens, wobei er, nach Dichterrecht, einen sinnigen
Naturmythus verwerthet (I, 250—256; 262-264):
Wohl schwindet der Regen, wenn in mächtigen Güssen
Ihn Vater Aether in Frühlingsgewittern
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