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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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gibt ihnen aber schon der ausgesprochene Zweck des Bundesraths-Beschlusses
keine Berechtigung." Das Organ unserer Deutsch-Konservativen erhob gegen¬
über dieser ErWruug den Vorwurf, die Regierung "durchkreuze die Pläne des
leitenden Staatsmannes", die deutsch-konservative Partei werde -- so war mit
Fettschrift zwischen den Zeilen zu lesen -- als Bundesgenosse der Reichsregie-
ruug gegen die Landesregierung den "offiziellen Fehdehandschuh" -- so war
wörtlich erklärt -- aufnehmen. Zu alledem kam die Nachricht von der Kabi-
uetsfrage, die der Reichskanzler betreffs Zustimmung der badischen Regierung
Zu dem preußischen Antrage auf Reichstagsauflösung nach Karlsruhe gestellt
hatte. Ueberdies kursirten dunkle, aber eben deshalb um so gefährlicher wir¬
kende Gerüchte von ernsten Auseinandersetzungen, die anläßlich der vorerwähn¬
ten Erklärung der "Karlsr. Zeit." zwischen dem Reichskanzler und unserer
bübischer Regierung stattgefunden. Alles das wirkte zusammen, jene Auffassung
des Wahlkampfes als eines von der Reichsregierung gewollten Kampfes zwi¬
schen Konservatismus und Liberalismus zu befestigen und in immer weitere
Kreise zu tragen.

Wie bereits erwähnt, waren es vor allem die Deutsch-Konservativen, welche
mit fliegenden Fahnen und klingendem Spiele auf dein für sie günstigen Terrain
sich in Schlachtordnung formirter. Günstig war das Terrain, schon ehe die
offiziöse preußische Presse den Sonnenstrahl der Regierungsfreundlichst ge-
sendet hatte. Unter dem Drucke der mißlichen wirthschaftlichen Verhältnisse
begann seit einigen Jahren ein immer stärkerer konservativer Zug sich im Volke
zu regen. Freizügigkeit und Gewerbefreiheit, die Erleichterung der Eheschlie¬
ßung u. tgi. wurden als die Ursachen angesehen, die jene Mißstände hervor¬
gerufen. Mit dem Aufsuchen von Beweisen für erhobene Anschuldigungen
nimmt es die große Masse bekanntlich nie skropulös. So genügte auch für
den vorliegenden Fall die einfache Argumentation: unter der Herrschaft von
Freizügigkeit, Gewerbefreiheit u. tgi. ist die wirthschaftliche Krisis hereinge¬
brochen, also haben Freizügigkeit, Gewerbefreiheit u. tgi. diese Krisis ver¬
schuldet. War man mit diesem Gedankensprung zurechtgekommen, so niußte ja
gewiß auch noch viel sicherer der andere gelingen, daß der Liberalismus, der
jene Gesetze gebracht habe, an allen jenen Uebeln schuld sei. Und einmal im
kühnen Schließen begriffen, konnte man zu guter letzt auch vor dem kühnsten
salto mortale nicht zurückschrecken, vor dem, daß der Konservatismus, zur
Herrschaft erhoben, im Handumdrehen die sämmtlichen Mißstände beseitigen und
glänzende Zeiten heraufführen werde. Dazu kam die absolute Bestürzung und
Entrüstung über die Attentate auf den greisen Heldenkaiser. Sollte wirklich
der Liberalismus mit dem ganzen Geiste, welchen er unserer Gesetzgebung ein¬
hauchte, zu weit gegangen sein? wäre vielleicht eine strengere Einschränkung der


Grenzboten III. 1878. Ü0

gibt ihnen aber schon der ausgesprochene Zweck des Bundesraths-Beschlusses
keine Berechtigung." Das Organ unserer Deutsch-Konservativen erhob gegen¬
über dieser ErWruug den Vorwurf, die Regierung „durchkreuze die Pläne des
leitenden Staatsmannes", die deutsch-konservative Partei werde — so war mit
Fettschrift zwischen den Zeilen zu lesen — als Bundesgenosse der Reichsregie-
ruug gegen die Landesregierung den „offiziellen Fehdehandschuh" — so war
wörtlich erklärt — aufnehmen. Zu alledem kam die Nachricht von der Kabi-
uetsfrage, die der Reichskanzler betreffs Zustimmung der badischen Regierung
Zu dem preußischen Antrage auf Reichstagsauflösung nach Karlsruhe gestellt
hatte. Ueberdies kursirten dunkle, aber eben deshalb um so gefährlicher wir¬
kende Gerüchte von ernsten Auseinandersetzungen, die anläßlich der vorerwähn¬
ten Erklärung der „Karlsr. Zeit." zwischen dem Reichskanzler und unserer
bübischer Regierung stattgefunden. Alles das wirkte zusammen, jene Auffassung
des Wahlkampfes als eines von der Reichsregierung gewollten Kampfes zwi¬
schen Konservatismus und Liberalismus zu befestigen und in immer weitere
Kreise zu tragen.

Wie bereits erwähnt, waren es vor allem die Deutsch-Konservativen, welche
mit fliegenden Fahnen und klingendem Spiele auf dein für sie günstigen Terrain
sich in Schlachtordnung formirter. Günstig war das Terrain, schon ehe die
offiziöse preußische Presse den Sonnenstrahl der Regierungsfreundlichst ge-
sendet hatte. Unter dem Drucke der mißlichen wirthschaftlichen Verhältnisse
begann seit einigen Jahren ein immer stärkerer konservativer Zug sich im Volke
zu regen. Freizügigkeit und Gewerbefreiheit, die Erleichterung der Eheschlie¬
ßung u. tgi. wurden als die Ursachen angesehen, die jene Mißstände hervor¬
gerufen. Mit dem Aufsuchen von Beweisen für erhobene Anschuldigungen
nimmt es die große Masse bekanntlich nie skropulös. So genügte auch für
den vorliegenden Fall die einfache Argumentation: unter der Herrschaft von
Freizügigkeit, Gewerbefreiheit u. tgi. ist die wirthschaftliche Krisis hereinge¬
brochen, also haben Freizügigkeit, Gewerbefreiheit u. tgi. diese Krisis ver¬
schuldet. War man mit diesem Gedankensprung zurechtgekommen, so niußte ja
gewiß auch noch viel sicherer der andere gelingen, daß der Liberalismus, der
jene Gesetze gebracht habe, an allen jenen Uebeln schuld sei. Und einmal im
kühnen Schließen begriffen, konnte man zu guter letzt auch vor dem kühnsten
salto mortale nicht zurückschrecken, vor dem, daß der Konservatismus, zur
Herrschaft erhoben, im Handumdrehen die sämmtlichen Mißstände beseitigen und
glänzende Zeiten heraufführen werde. Dazu kam die absolute Bestürzung und
Entrüstung über die Attentate auf den greisen Heldenkaiser. Sollte wirklich
der Liberalismus mit dem ganzen Geiste, welchen er unserer Gesetzgebung ein¬
hauchte, zu weit gegangen sein? wäre vielleicht eine strengere Einschränkung der


Grenzboten III. 1878. Ü0
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[0401] gibt ihnen aber schon der ausgesprochene Zweck des Bundesraths-Beschlusses keine Berechtigung." Das Organ unserer Deutsch-Konservativen erhob gegen¬ über dieser ErWruug den Vorwurf, die Regierung „durchkreuze die Pläne des leitenden Staatsmannes", die deutsch-konservative Partei werde — so war mit Fettschrift zwischen den Zeilen zu lesen — als Bundesgenosse der Reichsregie- ruug gegen die Landesregierung den „offiziellen Fehdehandschuh" — so war wörtlich erklärt — aufnehmen. Zu alledem kam die Nachricht von der Kabi- uetsfrage, die der Reichskanzler betreffs Zustimmung der badischen Regierung Zu dem preußischen Antrage auf Reichstagsauflösung nach Karlsruhe gestellt hatte. Ueberdies kursirten dunkle, aber eben deshalb um so gefährlicher wir¬ kende Gerüchte von ernsten Auseinandersetzungen, die anläßlich der vorerwähn¬ ten Erklärung der „Karlsr. Zeit." zwischen dem Reichskanzler und unserer bübischer Regierung stattgefunden. Alles das wirkte zusammen, jene Auffassung des Wahlkampfes als eines von der Reichsregierung gewollten Kampfes zwi¬ schen Konservatismus und Liberalismus zu befestigen und in immer weitere Kreise zu tragen. Wie bereits erwähnt, waren es vor allem die Deutsch-Konservativen, welche mit fliegenden Fahnen und klingendem Spiele auf dein für sie günstigen Terrain sich in Schlachtordnung formirter. Günstig war das Terrain, schon ehe die offiziöse preußische Presse den Sonnenstrahl der Regierungsfreundlichst ge- sendet hatte. Unter dem Drucke der mißlichen wirthschaftlichen Verhältnisse begann seit einigen Jahren ein immer stärkerer konservativer Zug sich im Volke zu regen. Freizügigkeit und Gewerbefreiheit, die Erleichterung der Eheschlie¬ ßung u. tgi. wurden als die Ursachen angesehen, die jene Mißstände hervor¬ gerufen. Mit dem Aufsuchen von Beweisen für erhobene Anschuldigungen nimmt es die große Masse bekanntlich nie skropulös. So genügte auch für den vorliegenden Fall die einfache Argumentation: unter der Herrschaft von Freizügigkeit, Gewerbefreiheit u. tgi. ist die wirthschaftliche Krisis hereinge¬ brochen, also haben Freizügigkeit, Gewerbefreiheit u. tgi. diese Krisis ver¬ schuldet. War man mit diesem Gedankensprung zurechtgekommen, so niußte ja gewiß auch noch viel sicherer der andere gelingen, daß der Liberalismus, der jene Gesetze gebracht habe, an allen jenen Uebeln schuld sei. Und einmal im kühnen Schließen begriffen, konnte man zu guter letzt auch vor dem kühnsten salto mortale nicht zurückschrecken, vor dem, daß der Konservatismus, zur Herrschaft erhoben, im Handumdrehen die sämmtlichen Mißstände beseitigen und glänzende Zeiten heraufführen werde. Dazu kam die absolute Bestürzung und Entrüstung über die Attentate auf den greisen Heldenkaiser. Sollte wirklich der Liberalismus mit dem ganzen Geiste, welchen er unserer Gesetzgebung ein¬ hauchte, zu weit gegangen sein? wäre vielleicht eine strengere Einschränkung der Grenzboten III. 1878. Ü0

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/401>, abgerufen am 22.07.2024.