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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Gewinn zu erachten. Wir wissen uns frei von einseitiger Fraktionspolitik.
Es ist unbestritten, daß die national-liberale Partei am selbstlosesten nnter
allen ihr jeweiliges Verhalten nicht nach Fraktiousinteressen eingerichtet hat,
sondern im Einklang mit ihren nationalen und liberalen Prinzipien lediglich
nach sachlichen Erwägungen. Es ist bekannt, welchen Dank sie dafür seit
Jahren von rechts und von links erntet. Es wird sie in ihrem Bestreben nicht
irre machen, daß sie, anscheinend unter vollster Begünstigung der Regierung,
bei den eben erfolgten Wahlen etwas "an die Wand" gedrückt wurde. Aber
das darf und muß aus ihren Reihen heraus offen gesagt werden, daß die
Arbeit für des Reiches Wohl ihr erschwert ist.

Daß dieser Ausfall der Wahlen kommen werde, hat man bei uns in
Baden klar vorausgesehen. Ja man glaubte ihn theilweise noch ungünstiger
erwarten zu müssen. Die grimmen Posaunenstöße der preußischen Offiziösen
und der "freiwillig gouvernementalen" Presse drangen auch in unsern Süden
herüber. Sie konnten bei uns keinen wesentlichen Einfluß haben. Immerhin
aber haben sie dazu gedient, den Eindruck, der sosort bei der Reichstagsauf-
Ivsuug in den weitesten Kreisen feststand, zu verstärken, daß die Reichsregierung
bei den Wahlen einen Kampf zwischen Konservatismus und Liberalismus aus¬
fechten lassen wolle, unter Beobachtung einer für ersteren wohlwollenden Neu¬
tralität. Im Verlauf des Wahlkampfes hat sich dieser Eindruck von Tag zu
Tage verstärkt, und er mußte sich verstärken, wesentlich in Folge des Umstandes,
daß unsere Deutsch-Konservativen unermüdet und mit dreistester Miene durch
ihre Presse, durch die Wahlreden ihrer Reichstagskaudidaten, namentlich aber
durch die für sie arbeitenden geistlichen Agitatoren versichern ließen, wie es dem
Reichskanzler einzig darum zu thun sei, den Liberalismus unschädlich zu machen
und die Reichspolitik in konservative d. i. reaktionäre Bahnen einzulenken.
Wer es treu mit Kaiser und Reich meint, der wählt keinen Nationalliberalen!
So haben konservative Wahlausrufe zu Dutzenden proklamirt, mit solch' abso¬
luter Bestimmtheit, daß man fast hätte annehmen können, Fürst Bismarck habe
diese Parole jedem einzelnen der kandidirenden Freiherren und jedem ihrer
geistlichen Schildknappen persönlich in die Ohren geflüstert. Wir haben oben
der offiziösen preußischen Presse Erwähnung gethan.. Die von uns in diesen
Blättern*) bereits erwähnte offiziöse Auslassung der "Karlsr. Zeit." betreffs
der Stellung der badischen Regierung zu der Frage der Reichstagsauslösung
hatte klar gesprochen. "Die der freisinnigen Richtung feindlich gegenüberstehen¬
den Parteien scheinen allerdings in der Auflösung und bevorstehenden Neu¬
wahl des Reichstags bereits das Anbrechen ihrer Aera zu erblicken. Dazu



Grenzboten Ur. 27.

Gewinn zu erachten. Wir wissen uns frei von einseitiger Fraktionspolitik.
Es ist unbestritten, daß die national-liberale Partei am selbstlosesten nnter
allen ihr jeweiliges Verhalten nicht nach Fraktiousinteressen eingerichtet hat,
sondern im Einklang mit ihren nationalen und liberalen Prinzipien lediglich
nach sachlichen Erwägungen. Es ist bekannt, welchen Dank sie dafür seit
Jahren von rechts und von links erntet. Es wird sie in ihrem Bestreben nicht
irre machen, daß sie, anscheinend unter vollster Begünstigung der Regierung,
bei den eben erfolgten Wahlen etwas „an die Wand" gedrückt wurde. Aber
das darf und muß aus ihren Reihen heraus offen gesagt werden, daß die
Arbeit für des Reiches Wohl ihr erschwert ist.

Daß dieser Ausfall der Wahlen kommen werde, hat man bei uns in
Baden klar vorausgesehen. Ja man glaubte ihn theilweise noch ungünstiger
erwarten zu müssen. Die grimmen Posaunenstöße der preußischen Offiziösen
und der „freiwillig gouvernementalen" Presse drangen auch in unsern Süden
herüber. Sie konnten bei uns keinen wesentlichen Einfluß haben. Immerhin
aber haben sie dazu gedient, den Eindruck, der sosort bei der Reichstagsauf-
Ivsuug in den weitesten Kreisen feststand, zu verstärken, daß die Reichsregierung
bei den Wahlen einen Kampf zwischen Konservatismus und Liberalismus aus¬
fechten lassen wolle, unter Beobachtung einer für ersteren wohlwollenden Neu¬
tralität. Im Verlauf des Wahlkampfes hat sich dieser Eindruck von Tag zu
Tage verstärkt, und er mußte sich verstärken, wesentlich in Folge des Umstandes,
daß unsere Deutsch-Konservativen unermüdet und mit dreistester Miene durch
ihre Presse, durch die Wahlreden ihrer Reichstagskaudidaten, namentlich aber
durch die für sie arbeitenden geistlichen Agitatoren versichern ließen, wie es dem
Reichskanzler einzig darum zu thun sei, den Liberalismus unschädlich zu machen
und die Reichspolitik in konservative d. i. reaktionäre Bahnen einzulenken.
Wer es treu mit Kaiser und Reich meint, der wählt keinen Nationalliberalen!
So haben konservative Wahlausrufe zu Dutzenden proklamirt, mit solch' abso¬
luter Bestimmtheit, daß man fast hätte annehmen können, Fürst Bismarck habe
diese Parole jedem einzelnen der kandidirenden Freiherren und jedem ihrer
geistlichen Schildknappen persönlich in die Ohren geflüstert. Wir haben oben
der offiziösen preußischen Presse Erwähnung gethan.. Die von uns in diesen
Blättern*) bereits erwähnte offiziöse Auslassung der „Karlsr. Zeit." betreffs
der Stellung der badischen Regierung zu der Frage der Reichstagsauslösung
hatte klar gesprochen. „Die der freisinnigen Richtung feindlich gegenüberstehen¬
den Parteien scheinen allerdings in der Auflösung und bevorstehenden Neu¬
wahl des Reichstags bereits das Anbrechen ihrer Aera zu erblicken. Dazu



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[0400] Gewinn zu erachten. Wir wissen uns frei von einseitiger Fraktionspolitik. Es ist unbestritten, daß die national-liberale Partei am selbstlosesten nnter allen ihr jeweiliges Verhalten nicht nach Fraktiousinteressen eingerichtet hat, sondern im Einklang mit ihren nationalen und liberalen Prinzipien lediglich nach sachlichen Erwägungen. Es ist bekannt, welchen Dank sie dafür seit Jahren von rechts und von links erntet. Es wird sie in ihrem Bestreben nicht irre machen, daß sie, anscheinend unter vollster Begünstigung der Regierung, bei den eben erfolgten Wahlen etwas „an die Wand" gedrückt wurde. Aber das darf und muß aus ihren Reihen heraus offen gesagt werden, daß die Arbeit für des Reiches Wohl ihr erschwert ist. Daß dieser Ausfall der Wahlen kommen werde, hat man bei uns in Baden klar vorausgesehen. Ja man glaubte ihn theilweise noch ungünstiger erwarten zu müssen. Die grimmen Posaunenstöße der preußischen Offiziösen und der „freiwillig gouvernementalen" Presse drangen auch in unsern Süden herüber. Sie konnten bei uns keinen wesentlichen Einfluß haben. Immerhin aber haben sie dazu gedient, den Eindruck, der sosort bei der Reichstagsauf- Ivsuug in den weitesten Kreisen feststand, zu verstärken, daß die Reichsregierung bei den Wahlen einen Kampf zwischen Konservatismus und Liberalismus aus¬ fechten lassen wolle, unter Beobachtung einer für ersteren wohlwollenden Neu¬ tralität. Im Verlauf des Wahlkampfes hat sich dieser Eindruck von Tag zu Tage verstärkt, und er mußte sich verstärken, wesentlich in Folge des Umstandes, daß unsere Deutsch-Konservativen unermüdet und mit dreistester Miene durch ihre Presse, durch die Wahlreden ihrer Reichstagskaudidaten, namentlich aber durch die für sie arbeitenden geistlichen Agitatoren versichern ließen, wie es dem Reichskanzler einzig darum zu thun sei, den Liberalismus unschädlich zu machen und die Reichspolitik in konservative d. i. reaktionäre Bahnen einzulenken. Wer es treu mit Kaiser und Reich meint, der wählt keinen Nationalliberalen! So haben konservative Wahlausrufe zu Dutzenden proklamirt, mit solch' abso¬ luter Bestimmtheit, daß man fast hätte annehmen können, Fürst Bismarck habe diese Parole jedem einzelnen der kandidirenden Freiherren und jedem ihrer geistlichen Schildknappen persönlich in die Ohren geflüstert. Wir haben oben der offiziösen preußischen Presse Erwähnung gethan.. Die von uns in diesen Blättern*) bereits erwähnte offiziöse Auslassung der „Karlsr. Zeit." betreffs der Stellung der badischen Regierung zu der Frage der Reichstagsauslösung hatte klar gesprochen. „Die der freisinnigen Richtung feindlich gegenüberstehen¬ den Parteien scheinen allerdings in der Auflösung und bevorstehenden Neu¬ wahl des Reichstags bereits das Anbrechen ihrer Aera zu erblicken. Dazu Grenzboten Ur. 27.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/400>, abgerufen am 22.07.2024.