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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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-- mythologische oder biblische Figuren -- ist so leichtfertig hingeklecktst, daß
man nur mit Hülfe des Katalogs erfahren kann, daß eine Anzahl gelber, rother
und grüner Flecke den "heiligen Sebastian gepflegt von den heiligen Frauen"
darzustellen haben.

Wenn man die Säle der französischen Ausstellung zum ersten, zum zweiten
Male betritt, wird man geblendet dnrch die über alle Beschreibung glänzende
Technik, durch die Neuheit der behandelten Probleme, durch die Kühnheit in
ihrer Lösung. Aber allgemach verliert sich der erste Eindruck. Man sucht
Geist und findet espritvolle Mache, man sucht Empfindung und Herz und
findet hohle Routine. Der französischen Malerei fehlt der große nationale Zug:
sie ist allmählich zu einem Sammelplatz von Raritäten und Kuriositäten geworden.

Die fünf Jahre, welche seit der Wiener Weltausstellung verflossen sind,
sind selbstverständlich eine zu kurze Spanne Zeit, als daß ihr Einfluß auf
eine Weiterentwicklung der europäischen Kunstiudustrien ein augenfälliger sein
konnte. Auch würde sich nach der Pariser Weltausstellung kein endgiltiges
nud umfassendes Urtheil über deu gegenwärtigen Stand der Kunstindustrie
in deu zivilisirten Ländern der Welt fällen lassen, da die politischen Wirren
zwei große Länder, Deutschland und die Türkei, veranlaßt haben, ganz von
der Weltausstellung fern zu bleiben -- die deutsche Bilderabtheilung kommt
hierbei nicht in Betracht --, andere, wie Rußland und Nordamerika, sich nur
in geringem Grade zu betheiligen. Amerika ist offenbar ausstellungsmüde.
Die Weltausstellung von Philadelphia hat seine Kräfte zu sehr in Anspruch
genommen. Auch mögen die commerziellen Verhältnisse in den Vereinigten
Staaten auf die Beschickung an der Pariser Ausstellung lähmend gewirkt haben.
Die nordamerikanische Abtheilung giebt in keiner Hinsicht ein Bild von dem
hohen Stande der Industrie und besonders von der großen Summe von In¬
dustriezweigen, die unter dem Schutze des Sternenbanners kultivirt werden.
Mehr als in jedem andern Lande ist hier der Zufall der Arrangeur der Aus¬
stellung gewesen.

Am meisten hat selbstverständlich Oesterreich von der Wiener Weltaus¬
stellung profitirt. In diesem Lande ist während der letzten fünf Jahre erstaun¬
lich viel gearbeitet worden. Nicht daß etwas neues, überraschendes produzirt
worden wäre. Die Fortschritte, welche die österreichische Kunstindustrie gemacht
hat, sind vielmehr darin zu erkennen, daß ans allen ihren Gebieten nach ver¬
nünftigen klassischen Traditionen und Mustern geschaffen wird. Die systematische
Agitation für eine Veredlung des Kunstgewerbes, sür ein Zurückgreifen auf die
italienische und deutsche Renaissance macht sich überall bemerkbar. Mit einem
Wort: die österreichische Kunstindustrie hat eine bestimmte Richtung eingeschlagen,
die sie konsequent festzuhalten sucht, sie hat Stil bekommen.


— mythologische oder biblische Figuren — ist so leichtfertig hingeklecktst, daß
man nur mit Hülfe des Katalogs erfahren kann, daß eine Anzahl gelber, rother
und grüner Flecke den „heiligen Sebastian gepflegt von den heiligen Frauen"
darzustellen haben.

Wenn man die Säle der französischen Ausstellung zum ersten, zum zweiten
Male betritt, wird man geblendet dnrch die über alle Beschreibung glänzende
Technik, durch die Neuheit der behandelten Probleme, durch die Kühnheit in
ihrer Lösung. Aber allgemach verliert sich der erste Eindruck. Man sucht
Geist und findet espritvolle Mache, man sucht Empfindung und Herz und
findet hohle Routine. Der französischen Malerei fehlt der große nationale Zug:
sie ist allmählich zu einem Sammelplatz von Raritäten und Kuriositäten geworden.

Die fünf Jahre, welche seit der Wiener Weltausstellung verflossen sind,
sind selbstverständlich eine zu kurze Spanne Zeit, als daß ihr Einfluß auf
eine Weiterentwicklung der europäischen Kunstiudustrien ein augenfälliger sein
konnte. Auch würde sich nach der Pariser Weltausstellung kein endgiltiges
nud umfassendes Urtheil über deu gegenwärtigen Stand der Kunstindustrie
in deu zivilisirten Ländern der Welt fällen lassen, da die politischen Wirren
zwei große Länder, Deutschland und die Türkei, veranlaßt haben, ganz von
der Weltausstellung fern zu bleiben — die deutsche Bilderabtheilung kommt
hierbei nicht in Betracht —, andere, wie Rußland und Nordamerika, sich nur
in geringem Grade zu betheiligen. Amerika ist offenbar ausstellungsmüde.
Die Weltausstellung von Philadelphia hat seine Kräfte zu sehr in Anspruch
genommen. Auch mögen die commerziellen Verhältnisse in den Vereinigten
Staaten auf die Beschickung an der Pariser Ausstellung lähmend gewirkt haben.
Die nordamerikanische Abtheilung giebt in keiner Hinsicht ein Bild von dem
hohen Stande der Industrie und besonders von der großen Summe von In¬
dustriezweigen, die unter dem Schutze des Sternenbanners kultivirt werden.
Mehr als in jedem andern Lande ist hier der Zufall der Arrangeur der Aus¬
stellung gewesen.

Am meisten hat selbstverständlich Oesterreich von der Wiener Weltaus¬
stellung profitirt. In diesem Lande ist während der letzten fünf Jahre erstaun¬
lich viel gearbeitet worden. Nicht daß etwas neues, überraschendes produzirt
worden wäre. Die Fortschritte, welche die österreichische Kunstindustrie gemacht
hat, sind vielmehr darin zu erkennen, daß ans allen ihren Gebieten nach ver¬
nünftigen klassischen Traditionen und Mustern geschaffen wird. Die systematische
Agitation für eine Veredlung des Kunstgewerbes, sür ein Zurückgreifen auf die
italienische und deutsche Renaissance macht sich überall bemerkbar. Mit einem
Wort: die österreichische Kunstindustrie hat eine bestimmte Richtung eingeschlagen,
die sie konsequent festzuhalten sucht, sie hat Stil bekommen.


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[0358] — mythologische oder biblische Figuren — ist so leichtfertig hingeklecktst, daß man nur mit Hülfe des Katalogs erfahren kann, daß eine Anzahl gelber, rother und grüner Flecke den „heiligen Sebastian gepflegt von den heiligen Frauen" darzustellen haben. Wenn man die Säle der französischen Ausstellung zum ersten, zum zweiten Male betritt, wird man geblendet dnrch die über alle Beschreibung glänzende Technik, durch die Neuheit der behandelten Probleme, durch die Kühnheit in ihrer Lösung. Aber allgemach verliert sich der erste Eindruck. Man sucht Geist und findet espritvolle Mache, man sucht Empfindung und Herz und findet hohle Routine. Der französischen Malerei fehlt der große nationale Zug: sie ist allmählich zu einem Sammelplatz von Raritäten und Kuriositäten geworden. Die fünf Jahre, welche seit der Wiener Weltausstellung verflossen sind, sind selbstverständlich eine zu kurze Spanne Zeit, als daß ihr Einfluß auf eine Weiterentwicklung der europäischen Kunstiudustrien ein augenfälliger sein konnte. Auch würde sich nach der Pariser Weltausstellung kein endgiltiges nud umfassendes Urtheil über deu gegenwärtigen Stand der Kunstindustrie in deu zivilisirten Ländern der Welt fällen lassen, da die politischen Wirren zwei große Länder, Deutschland und die Türkei, veranlaßt haben, ganz von der Weltausstellung fern zu bleiben — die deutsche Bilderabtheilung kommt hierbei nicht in Betracht —, andere, wie Rußland und Nordamerika, sich nur in geringem Grade zu betheiligen. Amerika ist offenbar ausstellungsmüde. Die Weltausstellung von Philadelphia hat seine Kräfte zu sehr in Anspruch genommen. Auch mögen die commerziellen Verhältnisse in den Vereinigten Staaten auf die Beschickung an der Pariser Ausstellung lähmend gewirkt haben. Die nordamerikanische Abtheilung giebt in keiner Hinsicht ein Bild von dem hohen Stande der Industrie und besonders von der großen Summe von In¬ dustriezweigen, die unter dem Schutze des Sternenbanners kultivirt werden. Mehr als in jedem andern Lande ist hier der Zufall der Arrangeur der Aus¬ stellung gewesen. Am meisten hat selbstverständlich Oesterreich von der Wiener Weltaus¬ stellung profitirt. In diesem Lande ist während der letzten fünf Jahre erstaun¬ lich viel gearbeitet worden. Nicht daß etwas neues, überraschendes produzirt worden wäre. Die Fortschritte, welche die österreichische Kunstindustrie gemacht hat, sind vielmehr darin zu erkennen, daß ans allen ihren Gebieten nach ver¬ nünftigen klassischen Traditionen und Mustern geschaffen wird. Die systematische Agitation für eine Veredlung des Kunstgewerbes, sür ein Zurückgreifen auf die italienische und deutsche Renaissance macht sich überall bemerkbar. Mit einem Wort: die österreichische Kunstindustrie hat eine bestimmte Richtung eingeschlagen, die sie konsequent festzuhalten sucht, sie hat Stil bekommen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/358>, abgerufen am 22.07.2024.