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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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zösischen Maler mit verschwenderischer Hand in ihre Säle ausgestreut haben.
Die Körper dieser Damen, deren Reize hier in den erdenklichsten Situationen
ausgestellt sind, unterscheiden sich nicht sehr von einander. Sie sind alle
sehr sorgfältig gezeichnet, sehr geschickt und weich modellirt, sehr zart
abgetönt, aber sonst ziemlich charakterlos. Ihre zierliche, süßliche Eleganz
wirkt schließlich auf das Auge wie ein kalligraphischer Schnörkel: trotz
des emsigsten Naturstudiums schrecken die französischen Maler vor der Natur¬
wahrheit zurück, wo diese über den landesüblichen Kanon hinausgeht. Den
Muth, die Natur so ungeschminkt darzustellen, wie sie ist,, haben nach Courbet,
dem kühnen, genialen Bahnbrecher des Realismus, nur äußerst wenige gehabt.
An und für sich ermüden diese Nymphen, Odcilisken und Modellfiguren in ihrer
unabsehbaren Wiederkehr: nur das raffinirte Arrangement und der Kontrast
der Farben verleiht hie und da einem Bilde besondere Reize. So ruht z. B.
eine Dame Henuer's auf einem schwarzen Divan, der wunderbar auf dem weißen
Körper reflektirt. Ebenso pikant ist das Farbenspiel auf dem Körper einer
Dame, welcher Dargent einen Platz auf einem violetten Divan angewiesen hat.
Hirsch und Parrot lüften den Schleier von den Geheimnissen des Ateliers und
gewähren uns einen Blick, der eine in das Atelier eines Malers, der andere
in das eines Bildhauers, wo gerade ein schönes Mädchen auf der Drehscheibe
steht, um das Modell für eine Galathee herzugeben.

Eine zweite Gruppe von solchen Figuren, die sich aber wenigstens den
Luxus eines mythologischen Mäntelchens erlauben, sind die Bacchantinnen, die
Quell-, Fluß- und Waldnymphen und die allegorischen Damen. Die Ahnfrau
dieses Geschlechts ist die berühmte "Quelle" von Ingres, die eben jetzt ans
Privatbesitz durch Vermächtniß in den Louvre gelangt ist. Dieser Kanon wurde
später aufgefrischt durch die "Wahrheit" von Lefebvre, eine schöne, nackte Frauen¬
gestalt mit ernsten, großen Angen, die mit der kerzengerade aufgerichteten Rechten
einen Spiegel emporhält, aus welchem blitzende Strahlen sprühen. Dieses Bild
ist außerordentlich populär geworden und 1870 in das Luxemburgmuseum ge¬
kommen. Im Grunde ist es eine ziemlich flache, nichtssagende Arbeit. Man
sieht an ihr, mit wie wenigem man bei den Franzosen sein Glück machen kann.

Eine der wenigen völlig sympathischen, durch und durch gesunden Künstler¬
gestalten des jungen Frankreich's ist der Bauernmaler Breton, dessen wir schon
bei der Charakteristik der englischen Genremaler gedachten. Seine Bilder gleichen
den Eklogen Vergil's: ohne in das Sentimentale und Unwahre zu verfallen, sind
seine Darstellungen aus dem Leben der bretonischen Bauern mit einem gewissen
poetischen Lichte übergössen, das sie in eine ideale, von den Plagen des Daseins
befreite Sphäre rückt. Er zeigt uns Säerinnen und Schnitterinnen bei der
Arbeit, vollkräftige Gestalten vou gesunder Schönheit strotzend, etwa wie wir


zösischen Maler mit verschwenderischer Hand in ihre Säle ausgestreut haben.
Die Körper dieser Damen, deren Reize hier in den erdenklichsten Situationen
ausgestellt sind, unterscheiden sich nicht sehr von einander. Sie sind alle
sehr sorgfältig gezeichnet, sehr geschickt und weich modellirt, sehr zart
abgetönt, aber sonst ziemlich charakterlos. Ihre zierliche, süßliche Eleganz
wirkt schließlich auf das Auge wie ein kalligraphischer Schnörkel: trotz
des emsigsten Naturstudiums schrecken die französischen Maler vor der Natur¬
wahrheit zurück, wo diese über den landesüblichen Kanon hinausgeht. Den
Muth, die Natur so ungeschminkt darzustellen, wie sie ist,, haben nach Courbet,
dem kühnen, genialen Bahnbrecher des Realismus, nur äußerst wenige gehabt.
An und für sich ermüden diese Nymphen, Odcilisken und Modellfiguren in ihrer
unabsehbaren Wiederkehr: nur das raffinirte Arrangement und der Kontrast
der Farben verleiht hie und da einem Bilde besondere Reize. So ruht z. B.
eine Dame Henuer's auf einem schwarzen Divan, der wunderbar auf dem weißen
Körper reflektirt. Ebenso pikant ist das Farbenspiel auf dem Körper einer
Dame, welcher Dargent einen Platz auf einem violetten Divan angewiesen hat.
Hirsch und Parrot lüften den Schleier von den Geheimnissen des Ateliers und
gewähren uns einen Blick, der eine in das Atelier eines Malers, der andere
in das eines Bildhauers, wo gerade ein schönes Mädchen auf der Drehscheibe
steht, um das Modell für eine Galathee herzugeben.

Eine zweite Gruppe von solchen Figuren, die sich aber wenigstens den
Luxus eines mythologischen Mäntelchens erlauben, sind die Bacchantinnen, die
Quell-, Fluß- und Waldnymphen und die allegorischen Damen. Die Ahnfrau
dieses Geschlechts ist die berühmte „Quelle" von Ingres, die eben jetzt ans
Privatbesitz durch Vermächtniß in den Louvre gelangt ist. Dieser Kanon wurde
später aufgefrischt durch die „Wahrheit" von Lefebvre, eine schöne, nackte Frauen¬
gestalt mit ernsten, großen Angen, die mit der kerzengerade aufgerichteten Rechten
einen Spiegel emporhält, aus welchem blitzende Strahlen sprühen. Dieses Bild
ist außerordentlich populär geworden und 1870 in das Luxemburgmuseum ge¬
kommen. Im Grunde ist es eine ziemlich flache, nichtssagende Arbeit. Man
sieht an ihr, mit wie wenigem man bei den Franzosen sein Glück machen kann.

Eine der wenigen völlig sympathischen, durch und durch gesunden Künstler¬
gestalten des jungen Frankreich's ist der Bauernmaler Breton, dessen wir schon
bei der Charakteristik der englischen Genremaler gedachten. Seine Bilder gleichen
den Eklogen Vergil's: ohne in das Sentimentale und Unwahre zu verfallen, sind
seine Darstellungen aus dem Leben der bretonischen Bauern mit einem gewissen
poetischen Lichte übergössen, das sie in eine ideale, von den Plagen des Daseins
befreite Sphäre rückt. Er zeigt uns Säerinnen und Schnitterinnen bei der
Arbeit, vollkräftige Gestalten vou gesunder Schönheit strotzend, etwa wie wir


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/354>, abgerufen am 22.07.2024.