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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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der Ligurer und Kelten aber konnte für Hannibal dasselbe werden, was im
Jahre 1812 für Napoleon Polen gewesen ist: Vorhalle, Stapelplatz und ergie¬
bigste Rekrutirungsquelle. Diese den Jtalikern stammfremden, in ihrer Existenz
bedrohten Stämme, um welche sich soeben die ersten Ringe der römischen
Straßen und Festuugsketteu legten, sie mußten ihre Retter in einem Heere er¬
kennen, das Rom mit Macht entgegentrat und das so zahlreiche spanische Kelten
in seinen Reihen hatte. Wenn aber die Gallier früher schon mit ihrer rohen,
barbarischen Kriegsweise Rom zu erschüttern vermocht, was konnte ein Hannibal
nicht hoffen, mit ihnen auszuführen, wenn er sie seinen geschulten Truppen ein¬
reihte. Und die Lande am Po deuteten zugleich nach dem Osten, wo das
jüngst erst bekämpfte Illyrien und Makedonien den Römern grollend gegen¬
überstanden. Wenn es möglich war, die Heere von der Bucht von Valencia
mit denen vom aegeischen Meere zu vereinigen, so konnte das nur in der Ebene
des Po geschehen.

Mit dem Beginne der guten Jahreszeit sammelte Hannibal sein Heer bei
Kartagena: 90,000 Mann zu Fuß, 12,000 Reiter und 37 Elephanten. Die
letzteren nahm er wohl mehr mit, um deu Kelten zu imponiren, als aus takti¬
scher Nothwendigkeit. Sein Fußvolk hatte es nicht mehr nöthig, sich hinter
diesen Thieren zu bergen, wie das des Xanthippos. Am Ebro traf Hannibal
auf heftigen Widerstand der Eingeborenen, welchen niederzuschlagen er mehrere
Monate brauchte. Er verlor dabei den vierten Theil seines Heeres und ließ
ein beträchtliches Korps zwischen den Pyrenäen und dem Ebro zurück. Einen
anderen Theil des Heeres entließ er in die Heimath, weil er ihm nicht zuver¬
lässig oder körperlich ungenügend erschien, und mit nur 50,000 Mann zu Fuß
und 9000 Reitern überschritt er das Gebirge. Es waren lauter alte erfahrene
Soldaten; aber ihre Zahl war doch klein.

Der entschlossenen Initiative Hannibal's gegenüber macht das Verhalten
der Römer den Eindruck befremdender Unsicherheit. Das Vollgefühl mili¬
tärischer Ueberlegenheit, in dem man sich wiegte, war allerdings wohl begründet.
Seit dem ersten punischen Kriege war die Macht Rom's um ein Bedeutendes
gewachsen. Damals waren erst 10 Jahre seit der völligen Unterweisung
Italien's verflossen; jetzt war eine neue Generation herangewachsen, die keinen
Groll mehr hegte gegen Rom. In materieller Beziehung fanden die Jtaliker
Ersatz für die verlorene Unabhängigkeit. Das unerträglichste Uebel der Ver¬
gangenheit, die beständigen kleinen Kriege und Fehden hatten aufgehört. Wenn
sie ihre Mannschaft gestellt und ihre Kriegslasten getragen hatten, konnten sie
ruhig ihre Felder bebauen im Gefühl vollkommenen Schutzes durch Rom.
Auch der Kriegsdienst war nicht drückend für kriegerische Völkerschaften, zumal
da vielfach Aussicht auf Beute war. Die Zahl der waffenfähigen Männer be-


der Ligurer und Kelten aber konnte für Hannibal dasselbe werden, was im
Jahre 1812 für Napoleon Polen gewesen ist: Vorhalle, Stapelplatz und ergie¬
bigste Rekrutirungsquelle. Diese den Jtalikern stammfremden, in ihrer Existenz
bedrohten Stämme, um welche sich soeben die ersten Ringe der römischen
Straßen und Festuugsketteu legten, sie mußten ihre Retter in einem Heere er¬
kennen, das Rom mit Macht entgegentrat und das so zahlreiche spanische Kelten
in seinen Reihen hatte. Wenn aber die Gallier früher schon mit ihrer rohen,
barbarischen Kriegsweise Rom zu erschüttern vermocht, was konnte ein Hannibal
nicht hoffen, mit ihnen auszuführen, wenn er sie seinen geschulten Truppen ein¬
reihte. Und die Lande am Po deuteten zugleich nach dem Osten, wo das
jüngst erst bekämpfte Illyrien und Makedonien den Römern grollend gegen¬
überstanden. Wenn es möglich war, die Heere von der Bucht von Valencia
mit denen vom aegeischen Meere zu vereinigen, so konnte das nur in der Ebene
des Po geschehen.

Mit dem Beginne der guten Jahreszeit sammelte Hannibal sein Heer bei
Kartagena: 90,000 Mann zu Fuß, 12,000 Reiter und 37 Elephanten. Die
letzteren nahm er wohl mehr mit, um deu Kelten zu imponiren, als aus takti¬
scher Nothwendigkeit. Sein Fußvolk hatte es nicht mehr nöthig, sich hinter
diesen Thieren zu bergen, wie das des Xanthippos. Am Ebro traf Hannibal
auf heftigen Widerstand der Eingeborenen, welchen niederzuschlagen er mehrere
Monate brauchte. Er verlor dabei den vierten Theil seines Heeres und ließ
ein beträchtliches Korps zwischen den Pyrenäen und dem Ebro zurück. Einen
anderen Theil des Heeres entließ er in die Heimath, weil er ihm nicht zuver¬
lässig oder körperlich ungenügend erschien, und mit nur 50,000 Mann zu Fuß
und 9000 Reitern überschritt er das Gebirge. Es waren lauter alte erfahrene
Soldaten; aber ihre Zahl war doch klein.

Der entschlossenen Initiative Hannibal's gegenüber macht das Verhalten
der Römer den Eindruck befremdender Unsicherheit. Das Vollgefühl mili¬
tärischer Ueberlegenheit, in dem man sich wiegte, war allerdings wohl begründet.
Seit dem ersten punischen Kriege war die Macht Rom's um ein Bedeutendes
gewachsen. Damals waren erst 10 Jahre seit der völligen Unterweisung
Italien's verflossen; jetzt war eine neue Generation herangewachsen, die keinen
Groll mehr hegte gegen Rom. In materieller Beziehung fanden die Jtaliker
Ersatz für die verlorene Unabhängigkeit. Das unerträglichste Uebel der Ver¬
gangenheit, die beständigen kleinen Kriege und Fehden hatten aufgehört. Wenn
sie ihre Mannschaft gestellt und ihre Kriegslasten getragen hatten, konnten sie
ruhig ihre Felder bebauen im Gefühl vollkommenen Schutzes durch Rom.
Auch der Kriegsdienst war nicht drückend für kriegerische Völkerschaften, zumal
da vielfach Aussicht auf Beute war. Die Zahl der waffenfähigen Männer be-


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[0312] der Ligurer und Kelten aber konnte für Hannibal dasselbe werden, was im Jahre 1812 für Napoleon Polen gewesen ist: Vorhalle, Stapelplatz und ergie¬ bigste Rekrutirungsquelle. Diese den Jtalikern stammfremden, in ihrer Existenz bedrohten Stämme, um welche sich soeben die ersten Ringe der römischen Straßen und Festuugsketteu legten, sie mußten ihre Retter in einem Heere er¬ kennen, das Rom mit Macht entgegentrat und das so zahlreiche spanische Kelten in seinen Reihen hatte. Wenn aber die Gallier früher schon mit ihrer rohen, barbarischen Kriegsweise Rom zu erschüttern vermocht, was konnte ein Hannibal nicht hoffen, mit ihnen auszuführen, wenn er sie seinen geschulten Truppen ein¬ reihte. Und die Lande am Po deuteten zugleich nach dem Osten, wo das jüngst erst bekämpfte Illyrien und Makedonien den Römern grollend gegen¬ überstanden. Wenn es möglich war, die Heere von der Bucht von Valencia mit denen vom aegeischen Meere zu vereinigen, so konnte das nur in der Ebene des Po geschehen. Mit dem Beginne der guten Jahreszeit sammelte Hannibal sein Heer bei Kartagena: 90,000 Mann zu Fuß, 12,000 Reiter und 37 Elephanten. Die letzteren nahm er wohl mehr mit, um deu Kelten zu imponiren, als aus takti¬ scher Nothwendigkeit. Sein Fußvolk hatte es nicht mehr nöthig, sich hinter diesen Thieren zu bergen, wie das des Xanthippos. Am Ebro traf Hannibal auf heftigen Widerstand der Eingeborenen, welchen niederzuschlagen er mehrere Monate brauchte. Er verlor dabei den vierten Theil seines Heeres und ließ ein beträchtliches Korps zwischen den Pyrenäen und dem Ebro zurück. Einen anderen Theil des Heeres entließ er in die Heimath, weil er ihm nicht zuver¬ lässig oder körperlich ungenügend erschien, und mit nur 50,000 Mann zu Fuß und 9000 Reitern überschritt er das Gebirge. Es waren lauter alte erfahrene Soldaten; aber ihre Zahl war doch klein. Der entschlossenen Initiative Hannibal's gegenüber macht das Verhalten der Römer den Eindruck befremdender Unsicherheit. Das Vollgefühl mili¬ tärischer Ueberlegenheit, in dem man sich wiegte, war allerdings wohl begründet. Seit dem ersten punischen Kriege war die Macht Rom's um ein Bedeutendes gewachsen. Damals waren erst 10 Jahre seit der völligen Unterweisung Italien's verflossen; jetzt war eine neue Generation herangewachsen, die keinen Groll mehr hegte gegen Rom. In materieller Beziehung fanden die Jtaliker Ersatz für die verlorene Unabhängigkeit. Das unerträglichste Uebel der Ver¬ gangenheit, die beständigen kleinen Kriege und Fehden hatten aufgehört. Wenn sie ihre Mannschaft gestellt und ihre Kriegslasten getragen hatten, konnten sie ruhig ihre Felder bebauen im Gefühl vollkommenen Schutzes durch Rom. Auch der Kriegsdienst war nicht drückend für kriegerische Völkerschaften, zumal da vielfach Aussicht auf Beute war. Die Zahl der waffenfähigen Männer be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/312>, abgerufen am 30.06.2024.