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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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als im Frühjahr 241 eine eilig zusammengeraffte karthagische Flotte zum Entsatz
erschien, erlitt sie bei der Insel Aegusa eine vollkommene Niederlage. Fünfzig
punische Schiffe wurden versenkt, mit 70 eroberten Kielen fuhren die Sieger
in den Hafen von Lilybaeon ein.

Diese freiwillige, große Anstrengung der römischen Patrioten brachte den
Sieg und den" Frieden. Zunächst kreuzigten die Karthager den besiegten
Admiral, wie das geschlagenen Feldherren gegenüber ihre böse Sitte war; dann
befahlen sie dem Hamilkar, Frieden zu schließen. Sizilien gehörte den Römern.

Blickt man auf den ganzen 23jährigen Krieg zurück, so läßt sich nicht
verkennen, daß, trotz einer Reihe höchst großartiger Momente, die militärische
und politische Führung der Römer bei Weitem weniger sicher war als sonst.
Es liegt das daran, daß dieser Krieg mitten inne steht zwischen einer Zeit
lokal-italischer und einer Zeit universeller Großstaatspvlitik. Senat und Heer
der Römer waren für rein italische Zwecke vortrefflich organisirt. Bisher
hatte es sich immer nur um Kontinentalfeldzüge gehandelt, deren natürliche
Basis Rom selbst war. Von Rom führten die großen Heerstraßen mit ihren
befestigten Kolonien als wohlvorbereitete Operationslinien weiter. Die Auf¬
gaben waren vorzugsweise taktisch, uicht strategisch; Märsche und Operationen
hatten geringe Bedeutung; das ganze Verfahren drängte schnell zur Schlacht.
Der Festungskrieg war in der Kindheit; der Seekrieg kam gar nicht in Betracht.
Bedenkt man nun, daß in den Schlachten selbst wesentlich das Handgemenge
mit der blanken Waffe entschied, so versteht man es, wie eine Rathsversamm-
lung diese Feldzüge anzuordnen, wie der jeweilige Bürgermeister sie zu leiten
im Stande war. Dies ist nun alles auf einmal umgewandelt. In unab¬
sehbare Ferne, ja bis in einen fremden Erdtheil dehnt sich das Operations¬
gebiet aus; das Meer gewährt dem seekundigen Feinde tausend Straßen; in
jedem Hafen darf man ihn erwarten. Die Belagerung der Festungen, namentlich
der Küstenplätze, an deren Stärke die vorzüglichsten Taktiker Griechenland's
gescheitert waren, bot den ungeschickten Römern eine nicht zu bewältigende
Aufgabe. Es galt, eine Flotte zu schaffen, es galt, umfassende strategische
Kombinationen zu entwerfen; es galt, das römische Kriegswesen über den
Rahmen einer Bürgermiliz hinaus weiter zu bilden. Das waren große For¬
derungen! Energie und Glück halfen viel überwinden. Der erste Flottenbau
gleich ist ein Beweis seltener nachdrücklicher Kraft -- und doch ist es nur ein
Nothbehelf und nur hinsichtlich der Enterbrücken eine römische Leistung. Die
Erfolge zur See sind unzweifelhaft nicht den Römern, sondern den griechischen
Schiffsbaumeistern und Seeleuten zu verdanken. Niemals wurde die Flotte
dem Heere ebenbürtig, niemals wie dies eine volksthümliche Einrichtung, welche
mit dem innersten Wesen der Nation verschmolz. Neben dem hochgeehrten


als im Frühjahr 241 eine eilig zusammengeraffte karthagische Flotte zum Entsatz
erschien, erlitt sie bei der Insel Aegusa eine vollkommene Niederlage. Fünfzig
punische Schiffe wurden versenkt, mit 70 eroberten Kielen fuhren die Sieger
in den Hafen von Lilybaeon ein.

Diese freiwillige, große Anstrengung der römischen Patrioten brachte den
Sieg und den» Frieden. Zunächst kreuzigten die Karthager den besiegten
Admiral, wie das geschlagenen Feldherren gegenüber ihre böse Sitte war; dann
befahlen sie dem Hamilkar, Frieden zu schließen. Sizilien gehörte den Römern.

Blickt man auf den ganzen 23jährigen Krieg zurück, so läßt sich nicht
verkennen, daß, trotz einer Reihe höchst großartiger Momente, die militärische
und politische Führung der Römer bei Weitem weniger sicher war als sonst.
Es liegt das daran, daß dieser Krieg mitten inne steht zwischen einer Zeit
lokal-italischer und einer Zeit universeller Großstaatspvlitik. Senat und Heer
der Römer waren für rein italische Zwecke vortrefflich organisirt. Bisher
hatte es sich immer nur um Kontinentalfeldzüge gehandelt, deren natürliche
Basis Rom selbst war. Von Rom führten die großen Heerstraßen mit ihren
befestigten Kolonien als wohlvorbereitete Operationslinien weiter. Die Auf¬
gaben waren vorzugsweise taktisch, uicht strategisch; Märsche und Operationen
hatten geringe Bedeutung; das ganze Verfahren drängte schnell zur Schlacht.
Der Festungskrieg war in der Kindheit; der Seekrieg kam gar nicht in Betracht.
Bedenkt man nun, daß in den Schlachten selbst wesentlich das Handgemenge
mit der blanken Waffe entschied, so versteht man es, wie eine Rathsversamm-
lung diese Feldzüge anzuordnen, wie der jeweilige Bürgermeister sie zu leiten
im Stande war. Dies ist nun alles auf einmal umgewandelt. In unab¬
sehbare Ferne, ja bis in einen fremden Erdtheil dehnt sich das Operations¬
gebiet aus; das Meer gewährt dem seekundigen Feinde tausend Straßen; in
jedem Hafen darf man ihn erwarten. Die Belagerung der Festungen, namentlich
der Küstenplätze, an deren Stärke die vorzüglichsten Taktiker Griechenland's
gescheitert waren, bot den ungeschickten Römern eine nicht zu bewältigende
Aufgabe. Es galt, eine Flotte zu schaffen, es galt, umfassende strategische
Kombinationen zu entwerfen; es galt, das römische Kriegswesen über den
Rahmen einer Bürgermiliz hinaus weiter zu bilden. Das waren große For¬
derungen! Energie und Glück halfen viel überwinden. Der erste Flottenbau
gleich ist ein Beweis seltener nachdrücklicher Kraft — und doch ist es nur ein
Nothbehelf und nur hinsichtlich der Enterbrücken eine römische Leistung. Die
Erfolge zur See sind unzweifelhaft nicht den Römern, sondern den griechischen
Schiffsbaumeistern und Seeleuten zu verdanken. Niemals wurde die Flotte
dem Heere ebenbürtig, niemals wie dies eine volksthümliche Einrichtung, welche
mit dem innersten Wesen der Nation verschmolz. Neben dem hochgeehrten


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[0256] als im Frühjahr 241 eine eilig zusammengeraffte karthagische Flotte zum Entsatz erschien, erlitt sie bei der Insel Aegusa eine vollkommene Niederlage. Fünfzig punische Schiffe wurden versenkt, mit 70 eroberten Kielen fuhren die Sieger in den Hafen von Lilybaeon ein. Diese freiwillige, große Anstrengung der römischen Patrioten brachte den Sieg und den» Frieden. Zunächst kreuzigten die Karthager den besiegten Admiral, wie das geschlagenen Feldherren gegenüber ihre böse Sitte war; dann befahlen sie dem Hamilkar, Frieden zu schließen. Sizilien gehörte den Römern. Blickt man auf den ganzen 23jährigen Krieg zurück, so läßt sich nicht verkennen, daß, trotz einer Reihe höchst großartiger Momente, die militärische und politische Führung der Römer bei Weitem weniger sicher war als sonst. Es liegt das daran, daß dieser Krieg mitten inne steht zwischen einer Zeit lokal-italischer und einer Zeit universeller Großstaatspvlitik. Senat und Heer der Römer waren für rein italische Zwecke vortrefflich organisirt. Bisher hatte es sich immer nur um Kontinentalfeldzüge gehandelt, deren natürliche Basis Rom selbst war. Von Rom führten die großen Heerstraßen mit ihren befestigten Kolonien als wohlvorbereitete Operationslinien weiter. Die Auf¬ gaben waren vorzugsweise taktisch, uicht strategisch; Märsche und Operationen hatten geringe Bedeutung; das ganze Verfahren drängte schnell zur Schlacht. Der Festungskrieg war in der Kindheit; der Seekrieg kam gar nicht in Betracht. Bedenkt man nun, daß in den Schlachten selbst wesentlich das Handgemenge mit der blanken Waffe entschied, so versteht man es, wie eine Rathsversamm- lung diese Feldzüge anzuordnen, wie der jeweilige Bürgermeister sie zu leiten im Stande war. Dies ist nun alles auf einmal umgewandelt. In unab¬ sehbare Ferne, ja bis in einen fremden Erdtheil dehnt sich das Operations¬ gebiet aus; das Meer gewährt dem seekundigen Feinde tausend Straßen; in jedem Hafen darf man ihn erwarten. Die Belagerung der Festungen, namentlich der Küstenplätze, an deren Stärke die vorzüglichsten Taktiker Griechenland's gescheitert waren, bot den ungeschickten Römern eine nicht zu bewältigende Aufgabe. Es galt, eine Flotte zu schaffen, es galt, umfassende strategische Kombinationen zu entwerfen; es galt, das römische Kriegswesen über den Rahmen einer Bürgermiliz hinaus weiter zu bilden. Das waren große For¬ derungen! Energie und Glück halfen viel überwinden. Der erste Flottenbau gleich ist ein Beweis seltener nachdrücklicher Kraft — und doch ist es nur ein Nothbehelf und nur hinsichtlich der Enterbrücken eine römische Leistung. Die Erfolge zur See sind unzweifelhaft nicht den Römern, sondern den griechischen Schiffsbaumeistern und Seeleuten zu verdanken. Niemals wurde die Flotte dem Heere ebenbürtig, niemals wie dies eine volksthümliche Einrichtung, welche mit dem innersten Wesen der Nation verschmolz. Neben dem hochgeehrten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/256>, abgerufen am 22.07.2024.