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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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unentschiedenen Kriege um Sizilien, namentlich um das vielumwvrbene Lily--
bäon, Fehlschlag auf Fehlschlag.

Der römische Senat war rathlos. Sechzehn Jahre währte nun schon
der Krieg, und man schien weiter vom Ziele als im ersten Jahre. Vier große
Flotten waren zu Grunde gegangen, darunter drei mit römischen Heeren am
Bord; ein ausgesuchtes Landheer war in Libyen vernichtet worden; und wie¬
viel Menschen hatten die Schlachten, die Postengesechte, die Seuchen gefordert!
Binnen fünf Jahren war die Bttrgerrolle, welche im Jahre 252 die Zahl von
298 Tausend Bürgern aufgewiesen hatte, um den siebenten Theil der Ge-
sammtzahl, um 40,000 Köpfe gesunken -- ganz ungerechnet die mindestens
gleichen Verluste der Bundesgenossen. Waren doch die in Seeschlachten und
Schiffbrüchen zu Grunde gegangenen meist nicht Römer sondern sovil navalss!
Die finanziellen Einbußen, namentlich die durch das Erlahmen des Handels,
waren außerordentlich groß. Die Partei der Kleinmüthigen kam ans Ruder.
Mau schaffte die Flotte ab, förderte höchstens die Kaperei und führte den
sizilischen Landkrieg nur dem Namen nach fort. -- Und Karthago? Anstatt
jetzt sein finanzielles Uebergewicht auszubeuten und einen großen Schlag zu
thun, ging es denselben Weg. Es folgten sechs thaten- und ruhmlose Kriegs¬
jahre, aus denen nur eine einzige Gestalt hervorleuchtet: Hamilkar Barkas,
der im Jahre 247 den Oberbefehl in Sizilien übernahm. Wie jeder kartha¬
gischen Armee fehlte es auch der seinigen an gutem Fußvolk. Die Regierung
that nichts, ein solches zu schaffen; denn national-punische oder auch nur
libyische Rekruten lieferte sie niemals, sondern lediglich Söldner, und Hamilkar
wußte wohl, daß diesen Karthago ebenso gleichgiltig sei wie Rom. Aber er
setzte seine eigene kraftvolle Feldherrnpersönlichkeit an die Stelle der Ideale und
übertrug den Schwung, der ihn selbst beseelte, in bewunderungswürdiger Weise
auf sein Heer. Eine kühne Unternehmung reihte sich an die andere; ohne
Geld von den Pnniern zu fordern, ernährte er sein Heer reichlich; immer
weitergreifend wurden seine Expeditionen, immer verwegener geberdeten sich
seine wenigen Kaper an der italischen Küste.

Da geschah in Rom etwas, das noch größer erscheint als diese persönliche
Kraft eines talentvollen Führers. Ohne jede Unterstützung des indolenten
Senates trat eine Anzahl patriotischer Bürger zusammen und bot eine Flotte
von 200 Linienschiffen mit 00,000 Matrosen und Ruderern freiwillig dem
Staate dar -- eine Thatsache, die in der ganzen Geschichte kumm ihres
Gleichen hat.

Diese neue römische Flotte fand in der sizilischen See eigentlich keinen
Gegner, und fast ohne Widerstand besetzten die Römer die Häfen von Lily-
vaeon und Drepcma, deren Belagerung nun energisch begonnen ward. Und


unentschiedenen Kriege um Sizilien, namentlich um das vielumwvrbene Lily--
bäon, Fehlschlag auf Fehlschlag.

Der römische Senat war rathlos. Sechzehn Jahre währte nun schon
der Krieg, und man schien weiter vom Ziele als im ersten Jahre. Vier große
Flotten waren zu Grunde gegangen, darunter drei mit römischen Heeren am
Bord; ein ausgesuchtes Landheer war in Libyen vernichtet worden; und wie¬
viel Menschen hatten die Schlachten, die Postengesechte, die Seuchen gefordert!
Binnen fünf Jahren war die Bttrgerrolle, welche im Jahre 252 die Zahl von
298 Tausend Bürgern aufgewiesen hatte, um den siebenten Theil der Ge-
sammtzahl, um 40,000 Köpfe gesunken — ganz ungerechnet die mindestens
gleichen Verluste der Bundesgenossen. Waren doch die in Seeschlachten und
Schiffbrüchen zu Grunde gegangenen meist nicht Römer sondern sovil navalss!
Die finanziellen Einbußen, namentlich die durch das Erlahmen des Handels,
waren außerordentlich groß. Die Partei der Kleinmüthigen kam ans Ruder.
Mau schaffte die Flotte ab, förderte höchstens die Kaperei und führte den
sizilischen Landkrieg nur dem Namen nach fort. — Und Karthago? Anstatt
jetzt sein finanzielles Uebergewicht auszubeuten und einen großen Schlag zu
thun, ging es denselben Weg. Es folgten sechs thaten- und ruhmlose Kriegs¬
jahre, aus denen nur eine einzige Gestalt hervorleuchtet: Hamilkar Barkas,
der im Jahre 247 den Oberbefehl in Sizilien übernahm. Wie jeder kartha¬
gischen Armee fehlte es auch der seinigen an gutem Fußvolk. Die Regierung
that nichts, ein solches zu schaffen; denn national-punische oder auch nur
libyische Rekruten lieferte sie niemals, sondern lediglich Söldner, und Hamilkar
wußte wohl, daß diesen Karthago ebenso gleichgiltig sei wie Rom. Aber er
setzte seine eigene kraftvolle Feldherrnpersönlichkeit an die Stelle der Ideale und
übertrug den Schwung, der ihn selbst beseelte, in bewunderungswürdiger Weise
auf sein Heer. Eine kühne Unternehmung reihte sich an die andere; ohne
Geld von den Pnniern zu fordern, ernährte er sein Heer reichlich; immer
weitergreifend wurden seine Expeditionen, immer verwegener geberdeten sich
seine wenigen Kaper an der italischen Küste.

Da geschah in Rom etwas, das noch größer erscheint als diese persönliche
Kraft eines talentvollen Führers. Ohne jede Unterstützung des indolenten
Senates trat eine Anzahl patriotischer Bürger zusammen und bot eine Flotte
von 200 Linienschiffen mit 00,000 Matrosen und Ruderern freiwillig dem
Staate dar — eine Thatsache, die in der ganzen Geschichte kumm ihres
Gleichen hat.

Diese neue römische Flotte fand in der sizilischen See eigentlich keinen
Gegner, und fast ohne Widerstand besetzten die Römer die Häfen von Lily-
vaeon und Drepcma, deren Belagerung nun energisch begonnen ward. Und


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[0255] unentschiedenen Kriege um Sizilien, namentlich um das vielumwvrbene Lily-- bäon, Fehlschlag auf Fehlschlag. Der römische Senat war rathlos. Sechzehn Jahre währte nun schon der Krieg, und man schien weiter vom Ziele als im ersten Jahre. Vier große Flotten waren zu Grunde gegangen, darunter drei mit römischen Heeren am Bord; ein ausgesuchtes Landheer war in Libyen vernichtet worden; und wie¬ viel Menschen hatten die Schlachten, die Postengesechte, die Seuchen gefordert! Binnen fünf Jahren war die Bttrgerrolle, welche im Jahre 252 die Zahl von 298 Tausend Bürgern aufgewiesen hatte, um den siebenten Theil der Ge- sammtzahl, um 40,000 Köpfe gesunken — ganz ungerechnet die mindestens gleichen Verluste der Bundesgenossen. Waren doch die in Seeschlachten und Schiffbrüchen zu Grunde gegangenen meist nicht Römer sondern sovil navalss! Die finanziellen Einbußen, namentlich die durch das Erlahmen des Handels, waren außerordentlich groß. Die Partei der Kleinmüthigen kam ans Ruder. Mau schaffte die Flotte ab, förderte höchstens die Kaperei und führte den sizilischen Landkrieg nur dem Namen nach fort. — Und Karthago? Anstatt jetzt sein finanzielles Uebergewicht auszubeuten und einen großen Schlag zu thun, ging es denselben Weg. Es folgten sechs thaten- und ruhmlose Kriegs¬ jahre, aus denen nur eine einzige Gestalt hervorleuchtet: Hamilkar Barkas, der im Jahre 247 den Oberbefehl in Sizilien übernahm. Wie jeder kartha¬ gischen Armee fehlte es auch der seinigen an gutem Fußvolk. Die Regierung that nichts, ein solches zu schaffen; denn national-punische oder auch nur libyische Rekruten lieferte sie niemals, sondern lediglich Söldner, und Hamilkar wußte wohl, daß diesen Karthago ebenso gleichgiltig sei wie Rom. Aber er setzte seine eigene kraftvolle Feldherrnpersönlichkeit an die Stelle der Ideale und übertrug den Schwung, der ihn selbst beseelte, in bewunderungswürdiger Weise auf sein Heer. Eine kühne Unternehmung reihte sich an die andere; ohne Geld von den Pnniern zu fordern, ernährte er sein Heer reichlich; immer weitergreifend wurden seine Expeditionen, immer verwegener geberdeten sich seine wenigen Kaper an der italischen Küste. Da geschah in Rom etwas, das noch größer erscheint als diese persönliche Kraft eines talentvollen Führers. Ohne jede Unterstützung des indolenten Senates trat eine Anzahl patriotischer Bürger zusammen und bot eine Flotte von 200 Linienschiffen mit 00,000 Matrosen und Ruderern freiwillig dem Staate dar — eine Thatsache, die in der ganzen Geschichte kumm ihres Gleichen hat. Diese neue römische Flotte fand in der sizilischen See eigentlich keinen Gegner, und fast ohne Widerstand besetzten die Römer die Häfen von Lily- vaeon und Drepcma, deren Belagerung nun energisch begonnen ward. Und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/255>, abgerufen am 22.07.2024.