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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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lichen für Bosnien ausgebildet. So erklärt es sich, daß, im Gegensatz zu abend¬
ländischen Verhältnissen, aber entsprechend dem in diesen halbbarbarischen Län¬
dern noch lebendigen mittelalterlichen Geiste, die Franziskaner - Minoriten bei
weitem den gebildetsten Theil der Bevölkerung ausmachen. Sie verfügen über
94 Pfarren in Bosnien und der Herzegowina mit etwa 200,000 Angehörigen.
Bei diesen wird jedenfalls die österreichische Besitzergreifung des Landes auf
das freundlichste Entgegenkommen treffen. Weit stärker an Zahl sind die grie¬
chisch-orthodoxen Christen vertreten, deren man wohl 800,000 rechnen kann.
Den Nest machen dann die Mohammedaner ans.

Montenegro, das Land der Schwarzen Berge, erhält auch einen Ge¬
bietszuwachs, indessen steht derselbe durchaus nicht im Verhältnisse zu der
Thätigkeit, welche das Ländchen im Kriege gegen die Türkei entfaltete. Fast
stets glücklich kümpfend, waren die Montenegriner weit nach Norden und Süden
über ihre Grenzen vorgedrungen und hatten nördlich Strecken der Herzegowina
bis Gatzkv und Fotscha erobert, während sie im Süden in das albanesische Ge¬
biet übergriffen. Bei Rußland's langjährigen bekannten Sympathieen für die
tapferen aber barbarischen Tschernagorzen war es vorauszusehen, daß im Frie¬
den von San Stefano der ihnen zukommende Beuteantheil kein unbedeutender
sein würde. So wurde denn das 78 Qu.-M. mit 170,000 Bewohnern zählende
Ländchen auf 248 Qu.-M. mit 313,000 Bewohnern vergrößert. Der Eifersucht und
Einsprache Oesterreich's auf dem Berliner Kongresse haben es indessen die Mon¬
tenegriner zu verdanken, wenn sie einen bedeutenden Theil des bereits empfangenen
Gebietes wieder herausgeben müssen. Das Land wird etwa nur 170 Quadrat¬
meilen groß, reicht im Norden bis über den Darmitor und gewinnt nur ein
kleines Stückchen Seekttste am adriatischen Meere. Dies ist eines der wichtigsten
Zugeständnisse an Monteuegro. Bisher war es ganz vom Meere ausgeschlossen,
nun aber erhält es den Hafen Antivari, allerdings ohne das Recht, Kriegs¬
schiffe zu besitzen oder eine Kriegsflagge zu führen; auch fällt die See- und
Gesundheitspolizei in Antivari Oesterreich anheim. Da nach den neuen Grenz¬
bestimmungen etwa die Hälfte des Sees von Skutari an die Montenegriner
kommt, was mit Rücksicht auf dessen Fischreichthum von Wichtigkeit ist, so ist
mich die freie und unbeschränkte Schifffahrt auf dem Abflusse des Sees, der
Bojcma, den Montenegrinern zugestanden worden, trotzdem daß dieser Fluß
ganz durch türkisches Gebiet laust. Die Vergrößerung, welche Montenegro im
Süden und Südosten erhält und die gegen 50 Quadrcitmeilen beträgt, liegt
vollständig auf dem Boden Albanien's. Es finden sich darin nur in der soge¬
nannten Zeta, der von der Moratscha von der bisherigen Grenze bei Podgoritza
zum See von Skutari herab durchflossenen Ebene, und außerdem im oberen
Hochthale des Lia um Plawa und Gusinje serbische Ortschaften oder Bevöl-


lichen für Bosnien ausgebildet. So erklärt es sich, daß, im Gegensatz zu abend¬
ländischen Verhältnissen, aber entsprechend dem in diesen halbbarbarischen Län¬
dern noch lebendigen mittelalterlichen Geiste, die Franziskaner - Minoriten bei
weitem den gebildetsten Theil der Bevölkerung ausmachen. Sie verfügen über
94 Pfarren in Bosnien und der Herzegowina mit etwa 200,000 Angehörigen.
Bei diesen wird jedenfalls die österreichische Besitzergreifung des Landes auf
das freundlichste Entgegenkommen treffen. Weit stärker an Zahl sind die grie¬
chisch-orthodoxen Christen vertreten, deren man wohl 800,000 rechnen kann.
Den Nest machen dann die Mohammedaner ans.

Montenegro, das Land der Schwarzen Berge, erhält auch einen Ge¬
bietszuwachs, indessen steht derselbe durchaus nicht im Verhältnisse zu der
Thätigkeit, welche das Ländchen im Kriege gegen die Türkei entfaltete. Fast
stets glücklich kümpfend, waren die Montenegriner weit nach Norden und Süden
über ihre Grenzen vorgedrungen und hatten nördlich Strecken der Herzegowina
bis Gatzkv und Fotscha erobert, während sie im Süden in das albanesische Ge¬
biet übergriffen. Bei Rußland's langjährigen bekannten Sympathieen für die
tapferen aber barbarischen Tschernagorzen war es vorauszusehen, daß im Frie¬
den von San Stefano der ihnen zukommende Beuteantheil kein unbedeutender
sein würde. So wurde denn das 78 Qu.-M. mit 170,000 Bewohnern zählende
Ländchen auf 248 Qu.-M. mit 313,000 Bewohnern vergrößert. Der Eifersucht und
Einsprache Oesterreich's auf dem Berliner Kongresse haben es indessen die Mon¬
tenegriner zu verdanken, wenn sie einen bedeutenden Theil des bereits empfangenen
Gebietes wieder herausgeben müssen. Das Land wird etwa nur 170 Quadrat¬
meilen groß, reicht im Norden bis über den Darmitor und gewinnt nur ein
kleines Stückchen Seekttste am adriatischen Meere. Dies ist eines der wichtigsten
Zugeständnisse an Monteuegro. Bisher war es ganz vom Meere ausgeschlossen,
nun aber erhält es den Hafen Antivari, allerdings ohne das Recht, Kriegs¬
schiffe zu besitzen oder eine Kriegsflagge zu führen; auch fällt die See- und
Gesundheitspolizei in Antivari Oesterreich anheim. Da nach den neuen Grenz¬
bestimmungen etwa die Hälfte des Sees von Skutari an die Montenegriner
kommt, was mit Rücksicht auf dessen Fischreichthum von Wichtigkeit ist, so ist
mich die freie und unbeschränkte Schifffahrt auf dem Abflusse des Sees, der
Bojcma, den Montenegrinern zugestanden worden, trotzdem daß dieser Fluß
ganz durch türkisches Gebiet laust. Die Vergrößerung, welche Montenegro im
Süden und Südosten erhält und die gegen 50 Quadrcitmeilen beträgt, liegt
vollständig auf dem Boden Albanien's. Es finden sich darin nur in der soge¬
nannten Zeta, der von der Moratscha von der bisherigen Grenze bei Podgoritza
zum See von Skutari herab durchflossenen Ebene, und außerdem im oberen
Hochthale des Lia um Plawa und Gusinje serbische Ortschaften oder Bevöl-


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[0243] lichen für Bosnien ausgebildet. So erklärt es sich, daß, im Gegensatz zu abend¬ ländischen Verhältnissen, aber entsprechend dem in diesen halbbarbarischen Län¬ dern noch lebendigen mittelalterlichen Geiste, die Franziskaner - Minoriten bei weitem den gebildetsten Theil der Bevölkerung ausmachen. Sie verfügen über 94 Pfarren in Bosnien und der Herzegowina mit etwa 200,000 Angehörigen. Bei diesen wird jedenfalls die österreichische Besitzergreifung des Landes auf das freundlichste Entgegenkommen treffen. Weit stärker an Zahl sind die grie¬ chisch-orthodoxen Christen vertreten, deren man wohl 800,000 rechnen kann. Den Nest machen dann die Mohammedaner ans. Montenegro, das Land der Schwarzen Berge, erhält auch einen Ge¬ bietszuwachs, indessen steht derselbe durchaus nicht im Verhältnisse zu der Thätigkeit, welche das Ländchen im Kriege gegen die Türkei entfaltete. Fast stets glücklich kümpfend, waren die Montenegriner weit nach Norden und Süden über ihre Grenzen vorgedrungen und hatten nördlich Strecken der Herzegowina bis Gatzkv und Fotscha erobert, während sie im Süden in das albanesische Ge¬ biet übergriffen. Bei Rußland's langjährigen bekannten Sympathieen für die tapferen aber barbarischen Tschernagorzen war es vorauszusehen, daß im Frie¬ den von San Stefano der ihnen zukommende Beuteantheil kein unbedeutender sein würde. So wurde denn das 78 Qu.-M. mit 170,000 Bewohnern zählende Ländchen auf 248 Qu.-M. mit 313,000 Bewohnern vergrößert. Der Eifersucht und Einsprache Oesterreich's auf dem Berliner Kongresse haben es indessen die Mon¬ tenegriner zu verdanken, wenn sie einen bedeutenden Theil des bereits empfangenen Gebietes wieder herausgeben müssen. Das Land wird etwa nur 170 Quadrat¬ meilen groß, reicht im Norden bis über den Darmitor und gewinnt nur ein kleines Stückchen Seekttste am adriatischen Meere. Dies ist eines der wichtigsten Zugeständnisse an Monteuegro. Bisher war es ganz vom Meere ausgeschlossen, nun aber erhält es den Hafen Antivari, allerdings ohne das Recht, Kriegs¬ schiffe zu besitzen oder eine Kriegsflagge zu führen; auch fällt die See- und Gesundheitspolizei in Antivari Oesterreich anheim. Da nach den neuen Grenz¬ bestimmungen etwa die Hälfte des Sees von Skutari an die Montenegriner kommt, was mit Rücksicht auf dessen Fischreichthum von Wichtigkeit ist, so ist mich die freie und unbeschränkte Schifffahrt auf dem Abflusse des Sees, der Bojcma, den Montenegrinern zugestanden worden, trotzdem daß dieser Fluß ganz durch türkisches Gebiet laust. Die Vergrößerung, welche Montenegro im Süden und Südosten erhält und die gegen 50 Quadrcitmeilen beträgt, liegt vollständig auf dem Boden Albanien's. Es finden sich darin nur in der soge¬ nannten Zeta, der von der Moratscha von der bisherigen Grenze bei Podgoritza zum See von Skutari herab durchflossenen Ebene, und außerdem im oberen Hochthale des Lia um Plawa und Gusinje serbische Ortschaften oder Bevöl-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/243>, abgerufen am 22.07.2024.