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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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verloren sind, umfassen ungefähr 1000 Quadratmeilen mit, l'/z Millionen Ein¬
wohnern, bei welchen nur die füdslnvische, serbische Sprache herrscht, indem
die Anzahl der hier angesiedelten Türken eine verschwindend kleine ist. Anders
liegen freilich die religiösen Verhältnisse; diese zeigen keineswegs einheitliche
Gestaltung, und da das religiöse Moment hier von der größten Wichtigkeit ist,
so müssen wir auf dasselbe etwas näher eingehen.

Die Völker der Balkanhalbinsel sind mehr oder minder auf dem geistigen
Niveau des Mittelalters in ihren Anschauungen und Sitten stehen geblieben,
wobei die Unterschiede des gewohnheitsmäßigen religiösen Bekenntnisses eine
größere Macht ausüben als das Gefühl der durch die Spracheinheit bezeugten
Stammesgleichheit. Daher erklären sich denn die tiefgehenden Spaltungen in¬
nerhalb ein und derselben Race; ältere, bis ins Mittelalter zurückreichende
zwischen der morgen- und abendländischen Kirche und jüngere, seit dem fünf¬
zehnten Jahrhundert durch Hineindrängen des Islam. In merkwürdiger Er¬
gänzung dieser Erscheinung sehen wir dann wieder, wie ethnisch ganz verschie¬
dene Völker, wenn sie nur die Einheit des Glaubens besitzen, ein Gefühl histo¬
rischer Zusammengehörigkeit bekunden. So rechnen sich die mohammedanischen
Slaven und Albanesen einfach zu den Türken, trotzdem daß sie in Abstammung
und Sprache durchaus verschieden sind. Ein Beweis dafür ist der neuerliche
Aufstand der Pomaken im Despoto Dcigh gegen die Russen. Die Pomaken
sind nämlich Bulgaren, welche den Islam annahmen und nun lieber Türken
bleiben als zu dem Bulgaren nach den Bestimmungen von San Stefano ge¬
schlagen sein wollten.

In Bosnien und der Herzegowina finden wir nun drei Konfessionen in
nicht allzu ungleichartigen Summen vertreten, aber mit geringen Ausnahmen
über das ganze Land hin bunt gemischt und durcheinander gewürfelt. Die
illhrischen Provinzen wurden im neunten Jahrhundert durch den Slavenapostel
.Chrillus dem Christenthums gewonnen; im elften Jahrhundert gelangte das
römische Papstthum theilweise zur Anerkennung, aber die Nähe von Byzanz
brachte dann wieder der orientalischen Kirche das Uebergewicht. Mit der tür¬
kischen Eroberung trat der Islam hinzu, und die begüterte Klasse, der Adel
des Landes, die sogenannten Begs, nahmen die Religion des Propheten an.
Die Franziskaner, welche im Interesse Rom's in Bosnien thätig waren, ver¬
standen es, sich mit den Eroberern auf guten Fuß zu stellen und dadurch eiuen
großen Theil der Bevölkerung sür den Papst zu erhalten, wozu auch das be¬
nachbarte katholische Oesterreich mitwirkte. Von dort kamen reichliche Beiträge
zu Kirchen- und Schulzwecken, das Kaiserhaus selbst spendete mit vollen Hän¬
den, und auf dem bischöflichen Seminar zu Djakovar in Slavonien -- wo der
slavensrenndliche Bischof Strvßmaher wirkt -- wurden die katholischen Geist-


verloren sind, umfassen ungefähr 1000 Quadratmeilen mit, l'/z Millionen Ein¬
wohnern, bei welchen nur die füdslnvische, serbische Sprache herrscht, indem
die Anzahl der hier angesiedelten Türken eine verschwindend kleine ist. Anders
liegen freilich die religiösen Verhältnisse; diese zeigen keineswegs einheitliche
Gestaltung, und da das religiöse Moment hier von der größten Wichtigkeit ist,
so müssen wir auf dasselbe etwas näher eingehen.

Die Völker der Balkanhalbinsel sind mehr oder minder auf dem geistigen
Niveau des Mittelalters in ihren Anschauungen und Sitten stehen geblieben,
wobei die Unterschiede des gewohnheitsmäßigen religiösen Bekenntnisses eine
größere Macht ausüben als das Gefühl der durch die Spracheinheit bezeugten
Stammesgleichheit. Daher erklären sich denn die tiefgehenden Spaltungen in¬
nerhalb ein und derselben Race; ältere, bis ins Mittelalter zurückreichende
zwischen der morgen- und abendländischen Kirche und jüngere, seit dem fünf¬
zehnten Jahrhundert durch Hineindrängen des Islam. In merkwürdiger Er¬
gänzung dieser Erscheinung sehen wir dann wieder, wie ethnisch ganz verschie¬
dene Völker, wenn sie nur die Einheit des Glaubens besitzen, ein Gefühl histo¬
rischer Zusammengehörigkeit bekunden. So rechnen sich die mohammedanischen
Slaven und Albanesen einfach zu den Türken, trotzdem daß sie in Abstammung
und Sprache durchaus verschieden sind. Ein Beweis dafür ist der neuerliche
Aufstand der Pomaken im Despoto Dcigh gegen die Russen. Die Pomaken
sind nämlich Bulgaren, welche den Islam annahmen und nun lieber Türken
bleiben als zu dem Bulgaren nach den Bestimmungen von San Stefano ge¬
schlagen sein wollten.

In Bosnien und der Herzegowina finden wir nun drei Konfessionen in
nicht allzu ungleichartigen Summen vertreten, aber mit geringen Ausnahmen
über das ganze Land hin bunt gemischt und durcheinander gewürfelt. Die
illhrischen Provinzen wurden im neunten Jahrhundert durch den Slavenapostel
.Chrillus dem Christenthums gewonnen; im elften Jahrhundert gelangte das
römische Papstthum theilweise zur Anerkennung, aber die Nähe von Byzanz
brachte dann wieder der orientalischen Kirche das Uebergewicht. Mit der tür¬
kischen Eroberung trat der Islam hinzu, und die begüterte Klasse, der Adel
des Landes, die sogenannten Begs, nahmen die Religion des Propheten an.
Die Franziskaner, welche im Interesse Rom's in Bosnien thätig waren, ver¬
standen es, sich mit den Eroberern auf guten Fuß zu stellen und dadurch eiuen
großen Theil der Bevölkerung sür den Papst zu erhalten, wozu auch das be¬
nachbarte katholische Oesterreich mitwirkte. Von dort kamen reichliche Beiträge
zu Kirchen- und Schulzwecken, das Kaiserhaus selbst spendete mit vollen Hän¬
den, und auf dem bischöflichen Seminar zu Djakovar in Slavonien — wo der
slavensrenndliche Bischof Strvßmaher wirkt — wurden die katholischen Geist-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/242>, abgerufen am 22.07.2024.