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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Jahresversammlung der ^.lliaueö evMg-s1i(zu<z 1857 nach Berlin. Trübe ging
ein Jahr später dieses glänzende Gestirn unter.

König Wilhelm I. hat in der Ansprache an das erste Ministerium seiner
Wahl am 8. November 1858 seinen festen Willen ausgesprochen, die Union,
deren Bestand durch konfessionelle Parteien gefährdet schien, aufrecht zu er¬
halten und alle Scheinheiligkeit, welche die Religion zum Deckmantel politischer
Bestrebungen gemacht habe, möglichst zu entlarven. Der deutsche Krieg von
1866 war nichts weniger als ein Religionskrieg, obwohl man in Wien damals
offen aussprach, man habe sichere Nachrichten ans den preußischen Diözesen,
daß kein katholischer Soldat seine Flinte gegen den katholischen Kaiser abdrücken
werde. Der Sieg der protestantischen Macht verletzte alle ausschließlich römisch
gesinnten. Darum ist es wohl nicht ohne inneren Zusammenhang, daß 1870
fast gleichzeitig das vatikanische Konzil die Unfehlbarkeit des Papstes und
Frankreich den Krieg gegen Preußen erklärte. Nachdem der französische Krieg
glorreich beendet und aus demselben ein protestantisches Kaiserthum hervorge¬
gangen war, galt es sofort deu Kampf mit den römisch-hierarchischen Tendenzen
im eignen Lande auszunehmen. In den Reichsgesetzen, welche zu diesem Zwecke
erlassen wurden, sah die ultramontane Presse eine Kriegserklärung wider Gott
zur Verfolgung der katholischen Kirche, und Pius IX. sprach bereits von dem
Steinchen, das ohne Menschenhände von der Höhe sich ablöst, den Fuß des
Kolosses zu zertrümmern. In einem Rundschreiben vom 5. Februar 1875
erklärte er die Maigesetze, aus denen so viel Uebles gekommen und weiter zu
fürchten sei, dem ganzen katholischen Erdkreis als nichtige. Der Staat ant¬
wortete mit noch schärferen Gesetzen, welche doch nirgend dem Glauben oder
Gewissen zu nahe treten, sondern nur für den Kaiser fordern was des
Kaisers ist.

Auch die Toleranz hat ihre Schranke.

Es ist möglich, daß der Kampf zwischen dem preußischen Staat und der
römischen Kurie bald ein Ende findet. Möchte Kaiser Wilhelm auch diesen
Sieg und Frieden noch erleben. Aber bis das Ringen der Geister und das
rechte Verhältniß von Staat und Kirche die rechte Lösung gefunden hat, wer¬
den noch Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte vergehen. Daß es in Preußen
geschehen wird im Sinne echter Toleranz, dafür bürgt der Geist der Hohen-
zollern.




Grenzboten Hi. 1878,24

Jahresversammlung der ^.lliaueö evMg-s1i(zu<z 1857 nach Berlin. Trübe ging
ein Jahr später dieses glänzende Gestirn unter.

König Wilhelm I. hat in der Ansprache an das erste Ministerium seiner
Wahl am 8. November 1858 seinen festen Willen ausgesprochen, die Union,
deren Bestand durch konfessionelle Parteien gefährdet schien, aufrecht zu er¬
halten und alle Scheinheiligkeit, welche die Religion zum Deckmantel politischer
Bestrebungen gemacht habe, möglichst zu entlarven. Der deutsche Krieg von
1866 war nichts weniger als ein Religionskrieg, obwohl man in Wien damals
offen aussprach, man habe sichere Nachrichten ans den preußischen Diözesen,
daß kein katholischer Soldat seine Flinte gegen den katholischen Kaiser abdrücken
werde. Der Sieg der protestantischen Macht verletzte alle ausschließlich römisch
gesinnten. Darum ist es wohl nicht ohne inneren Zusammenhang, daß 1870
fast gleichzeitig das vatikanische Konzil die Unfehlbarkeit des Papstes und
Frankreich den Krieg gegen Preußen erklärte. Nachdem der französische Krieg
glorreich beendet und aus demselben ein protestantisches Kaiserthum hervorge¬
gangen war, galt es sofort deu Kampf mit den römisch-hierarchischen Tendenzen
im eignen Lande auszunehmen. In den Reichsgesetzen, welche zu diesem Zwecke
erlassen wurden, sah die ultramontane Presse eine Kriegserklärung wider Gott
zur Verfolgung der katholischen Kirche, und Pius IX. sprach bereits von dem
Steinchen, das ohne Menschenhände von der Höhe sich ablöst, den Fuß des
Kolosses zu zertrümmern. In einem Rundschreiben vom 5. Februar 1875
erklärte er die Maigesetze, aus denen so viel Uebles gekommen und weiter zu
fürchten sei, dem ganzen katholischen Erdkreis als nichtige. Der Staat ant¬
wortete mit noch schärferen Gesetzen, welche doch nirgend dem Glauben oder
Gewissen zu nahe treten, sondern nur für den Kaiser fordern was des
Kaisers ist.

Auch die Toleranz hat ihre Schranke.

Es ist möglich, daß der Kampf zwischen dem preußischen Staat und der
römischen Kurie bald ein Ende findet. Möchte Kaiser Wilhelm auch diesen
Sieg und Frieden noch erleben. Aber bis das Ringen der Geister und das
rechte Verhältniß von Staat und Kirche die rechte Lösung gefunden hat, wer¬
den noch Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte vergehen. Daß es in Preußen
geschehen wird im Sinne echter Toleranz, dafür bürgt der Geist der Hohen-
zollern.




Grenzboten Hi. 1878,24
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[0193] Jahresversammlung der ^.lliaueö evMg-s1i(zu<z 1857 nach Berlin. Trübe ging ein Jahr später dieses glänzende Gestirn unter. König Wilhelm I. hat in der Ansprache an das erste Ministerium seiner Wahl am 8. November 1858 seinen festen Willen ausgesprochen, die Union, deren Bestand durch konfessionelle Parteien gefährdet schien, aufrecht zu er¬ halten und alle Scheinheiligkeit, welche die Religion zum Deckmantel politischer Bestrebungen gemacht habe, möglichst zu entlarven. Der deutsche Krieg von 1866 war nichts weniger als ein Religionskrieg, obwohl man in Wien damals offen aussprach, man habe sichere Nachrichten ans den preußischen Diözesen, daß kein katholischer Soldat seine Flinte gegen den katholischen Kaiser abdrücken werde. Der Sieg der protestantischen Macht verletzte alle ausschließlich römisch gesinnten. Darum ist es wohl nicht ohne inneren Zusammenhang, daß 1870 fast gleichzeitig das vatikanische Konzil die Unfehlbarkeit des Papstes und Frankreich den Krieg gegen Preußen erklärte. Nachdem der französische Krieg glorreich beendet und aus demselben ein protestantisches Kaiserthum hervorge¬ gangen war, galt es sofort deu Kampf mit den römisch-hierarchischen Tendenzen im eignen Lande auszunehmen. In den Reichsgesetzen, welche zu diesem Zwecke erlassen wurden, sah die ultramontane Presse eine Kriegserklärung wider Gott zur Verfolgung der katholischen Kirche, und Pius IX. sprach bereits von dem Steinchen, das ohne Menschenhände von der Höhe sich ablöst, den Fuß des Kolosses zu zertrümmern. In einem Rundschreiben vom 5. Februar 1875 erklärte er die Maigesetze, aus denen so viel Uebles gekommen und weiter zu fürchten sei, dem ganzen katholischen Erdkreis als nichtige. Der Staat ant¬ wortete mit noch schärferen Gesetzen, welche doch nirgend dem Glauben oder Gewissen zu nahe treten, sondern nur für den Kaiser fordern was des Kaisers ist. Auch die Toleranz hat ihre Schranke. Es ist möglich, daß der Kampf zwischen dem preußischen Staat und der römischen Kurie bald ein Ende findet. Möchte Kaiser Wilhelm auch diesen Sieg und Frieden noch erleben. Aber bis das Ringen der Geister und das rechte Verhältniß von Staat und Kirche die rechte Lösung gefunden hat, wer¬ den noch Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte vergehen. Daß es in Preußen geschehen wird im Sinne echter Toleranz, dafür bürgt der Geist der Hohen- zollern. Grenzboten Hi. 1878,24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/193>, abgerufen am 22.07.2024.