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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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samen Orthodoxie gegenüber vertrat der Pietismus Spener's die Innerlichkeit
eines frommen und freisinnigen Christenthums. Gleichzeitig bereitete die philo¬
sophische Einwirkung Descartes', Locke's, Leibnitzens das Zeitalter der Aufklä¬
rung vor. Glänzend und scharf, in deutscher Sprache, trat Thomasius als
Kämpfer gegen den alten Wust pedantischer Gelehrsamkeit und als Advokat
der Pietisten auf. Als er die Heirath des lutherischen Herzogs Moritz von
Sachsen-Zeitz mit der reformirten Herzogin von Mecklenburg-Schwerin ver¬
theidigte und nachwies, daß eine solche Verbindung in keiner Weise weder gegen
göttliche noch gegen menschliche Gebote verstoße, mußte er seine Heimath Leipzig
verlassen. Er fand, gleichwie Spener, der in Dresden als Beichtvater in Un°°
gnade gefallen war, in den preußischen Staaten eine Zuflucht und bald einen
Lehrstuhl. Welcher Umschwung in den letzten Jahrzehnten in Preußen sich
vollzogen hatte, zeigt auch der Umstand, daß, als Friedrich III. die Königs¬
krone nahm, am Portal der Schloßkirche zwei Hofprediger ihn empfingen, von
denen der eine reformirt, der andere lutherisch war, und daß sie gemeinsam,
nachdem sie Tags zuvor geadelt und zu Bischöfen ernannt worden waren, die
Salbung vollzogen. Ans welchem freien philosophischen Standpunkte die geist¬
reiche Königin Sophie Charlotte, die Freundin Leibnitzens und die geistige
Urheberin der Akademie der Wissenschaften und Künste stand, ist allbekannt.
Und doch sollte der König die religiöse Zwietracht noch in seiner eigenen
Familie erfahren. Gedrängt durch die Vorspiegelung, daß das kronprinzliche
Paar nach der ersten fehlgeschlagenen Hoffnung kinderlos bleiben werde, hatte
er sich nach dem Tode seiner zweiten Gemahlin nochmals zur Ehe bereit er¬
klärt. Die Königin, eine mecklenburgische Priuzeß, war in schroffem Luther-
thum erzogen und verbitterte dem König seine letzten Jahre durch ihre Unduld¬
samkeit gegen die Reformirten, welche zuletzt in Schwermuth und Irrsinn
endete. Die letzte Freude des Königs war, daß er wider Erwarten noch einen
Enkel in seinen Armen hielt, der nach ihm Friedrich, von der Nachwelt der
Große genannt ward.

Friedrich Wilhelm I., der seinem Vater 1713 in der Regierung folgte, war
von echter Gottesfurcht durchdrungen. Er selbst besuchte den Gottesdienst
regelmäßig und forderte dasselbe von den Mitgliedern seiner Familie, den
Offizieren und Beamten. Gelehrte Predigten waren ihm zuwider; auf eine
Predigt, die länger als eine Stunde dauerte, setzte er eine Geldstrafe. Den
Unterschied zwischen lutherisch und reformirt hielt er für Pfaffengezänk. "Gott
verzeihe allen Pfaffen, denn die werden Rechenschaft geben dem Gericht Gottes,
daß sie Schulratzen aufwiegeln, das wahre Wort Gottes in Uneinigkeit zu
bringen. Was wahrhaft geistliche Prediger sind, die sagen, daß man sich soll
einer den andern dulden und nur Christi Ruhm vermehren." Eifrig war er


samen Orthodoxie gegenüber vertrat der Pietismus Spener's die Innerlichkeit
eines frommen und freisinnigen Christenthums. Gleichzeitig bereitete die philo¬
sophische Einwirkung Descartes', Locke's, Leibnitzens das Zeitalter der Aufklä¬
rung vor. Glänzend und scharf, in deutscher Sprache, trat Thomasius als
Kämpfer gegen den alten Wust pedantischer Gelehrsamkeit und als Advokat
der Pietisten auf. Als er die Heirath des lutherischen Herzogs Moritz von
Sachsen-Zeitz mit der reformirten Herzogin von Mecklenburg-Schwerin ver¬
theidigte und nachwies, daß eine solche Verbindung in keiner Weise weder gegen
göttliche noch gegen menschliche Gebote verstoße, mußte er seine Heimath Leipzig
verlassen. Er fand, gleichwie Spener, der in Dresden als Beichtvater in Un°°
gnade gefallen war, in den preußischen Staaten eine Zuflucht und bald einen
Lehrstuhl. Welcher Umschwung in den letzten Jahrzehnten in Preußen sich
vollzogen hatte, zeigt auch der Umstand, daß, als Friedrich III. die Königs¬
krone nahm, am Portal der Schloßkirche zwei Hofprediger ihn empfingen, von
denen der eine reformirt, der andere lutherisch war, und daß sie gemeinsam,
nachdem sie Tags zuvor geadelt und zu Bischöfen ernannt worden waren, die
Salbung vollzogen. Ans welchem freien philosophischen Standpunkte die geist¬
reiche Königin Sophie Charlotte, die Freundin Leibnitzens und die geistige
Urheberin der Akademie der Wissenschaften und Künste stand, ist allbekannt.
Und doch sollte der König die religiöse Zwietracht noch in seiner eigenen
Familie erfahren. Gedrängt durch die Vorspiegelung, daß das kronprinzliche
Paar nach der ersten fehlgeschlagenen Hoffnung kinderlos bleiben werde, hatte
er sich nach dem Tode seiner zweiten Gemahlin nochmals zur Ehe bereit er¬
klärt. Die Königin, eine mecklenburgische Priuzeß, war in schroffem Luther-
thum erzogen und verbitterte dem König seine letzten Jahre durch ihre Unduld¬
samkeit gegen die Reformirten, welche zuletzt in Schwermuth und Irrsinn
endete. Die letzte Freude des Königs war, daß er wider Erwarten noch einen
Enkel in seinen Armen hielt, der nach ihm Friedrich, von der Nachwelt der
Große genannt ward.

Friedrich Wilhelm I., der seinem Vater 1713 in der Regierung folgte, war
von echter Gottesfurcht durchdrungen. Er selbst besuchte den Gottesdienst
regelmäßig und forderte dasselbe von den Mitgliedern seiner Familie, den
Offizieren und Beamten. Gelehrte Predigten waren ihm zuwider; auf eine
Predigt, die länger als eine Stunde dauerte, setzte er eine Geldstrafe. Den
Unterschied zwischen lutherisch und reformirt hielt er für Pfaffengezänk. „Gott
verzeihe allen Pfaffen, denn die werden Rechenschaft geben dem Gericht Gottes,
daß sie Schulratzen aufwiegeln, das wahre Wort Gottes in Uneinigkeit zu
bringen. Was wahrhaft geistliche Prediger sind, die sagen, daß man sich soll
einer den andern dulden und nur Christi Ruhm vermehren." Eifrig war er


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[0187] samen Orthodoxie gegenüber vertrat der Pietismus Spener's die Innerlichkeit eines frommen und freisinnigen Christenthums. Gleichzeitig bereitete die philo¬ sophische Einwirkung Descartes', Locke's, Leibnitzens das Zeitalter der Aufklä¬ rung vor. Glänzend und scharf, in deutscher Sprache, trat Thomasius als Kämpfer gegen den alten Wust pedantischer Gelehrsamkeit und als Advokat der Pietisten auf. Als er die Heirath des lutherischen Herzogs Moritz von Sachsen-Zeitz mit der reformirten Herzogin von Mecklenburg-Schwerin ver¬ theidigte und nachwies, daß eine solche Verbindung in keiner Weise weder gegen göttliche noch gegen menschliche Gebote verstoße, mußte er seine Heimath Leipzig verlassen. Er fand, gleichwie Spener, der in Dresden als Beichtvater in Un°° gnade gefallen war, in den preußischen Staaten eine Zuflucht und bald einen Lehrstuhl. Welcher Umschwung in den letzten Jahrzehnten in Preußen sich vollzogen hatte, zeigt auch der Umstand, daß, als Friedrich III. die Königs¬ krone nahm, am Portal der Schloßkirche zwei Hofprediger ihn empfingen, von denen der eine reformirt, der andere lutherisch war, und daß sie gemeinsam, nachdem sie Tags zuvor geadelt und zu Bischöfen ernannt worden waren, die Salbung vollzogen. Ans welchem freien philosophischen Standpunkte die geist¬ reiche Königin Sophie Charlotte, die Freundin Leibnitzens und die geistige Urheberin der Akademie der Wissenschaften und Künste stand, ist allbekannt. Und doch sollte der König die religiöse Zwietracht noch in seiner eigenen Familie erfahren. Gedrängt durch die Vorspiegelung, daß das kronprinzliche Paar nach der ersten fehlgeschlagenen Hoffnung kinderlos bleiben werde, hatte er sich nach dem Tode seiner zweiten Gemahlin nochmals zur Ehe bereit er¬ klärt. Die Königin, eine mecklenburgische Priuzeß, war in schroffem Luther- thum erzogen und verbitterte dem König seine letzten Jahre durch ihre Unduld¬ samkeit gegen die Reformirten, welche zuletzt in Schwermuth und Irrsinn endete. Die letzte Freude des Königs war, daß er wider Erwarten noch einen Enkel in seinen Armen hielt, der nach ihm Friedrich, von der Nachwelt der Große genannt ward. Friedrich Wilhelm I., der seinem Vater 1713 in der Regierung folgte, war von echter Gottesfurcht durchdrungen. Er selbst besuchte den Gottesdienst regelmäßig und forderte dasselbe von den Mitgliedern seiner Familie, den Offizieren und Beamten. Gelehrte Predigten waren ihm zuwider; auf eine Predigt, die länger als eine Stunde dauerte, setzte er eine Geldstrafe. Den Unterschied zwischen lutherisch und reformirt hielt er für Pfaffengezänk. „Gott verzeihe allen Pfaffen, denn die werden Rechenschaft geben dem Gericht Gottes, daß sie Schulratzen aufwiegeln, das wahre Wort Gottes in Uneinigkeit zu bringen. Was wahrhaft geistliche Prediger sind, die sagen, daß man sich soll einer den andern dulden und nur Christi Ruhm vermehren." Eifrig war er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/187>, abgerufen am 23.07.2024.