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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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einer äußerlichen Gemeinschaft schließt die Toleranz nicht nur aus, sondern
macht die Intoleranz zur heiligen Pflicht. Was kam darauf an, den Leib zu
verbrennen, wo es galt die unsterbliche Seele zu retten, oder durch ein furcht¬
bares Flammengericht Tausend andere, bereits schwankende Gläubige der
seligmachenden Kirche zu erhalten! -- Durch die Reformation wurde gerade
dieses Dogma einer alleinseligmachenden Kirche bekämpft und erschüttert. Mit
mächtiger Beredsamkeit vertrat Luther das Prinzip der Toleranz. In Glaubens¬
sachen soll weder der Staat noch die Kirche Gewalt anwenden. "Ketzerei ist
ein geistlich Ding, das kann man mit keinem Eisen hanen, mit keinem Feuer
verbrennen, mit keinem Wasser ertränken. Wenn es Kunst wäre, mit Feuer
Ketzer Überwinden, so wären die Henker die gelehrtesten Doktores aus Erden."
Aber so gewiß die Idee der Toleranz mit den reformatorischen Grundsätzen
gegeben ist, so wenig hat die protestantische Kirche mit der Toleranz sofort
Ernst gemacht. Man darf nicht vergessen, daß die Reformation aus der Angst
eines Mönches um sein und seines Volkes Seelenheil hervorgegangen ist. Mit
allgemeinen Toleranzideen läßt sich keine Kirche begründen, und Luther selbst
ist intolerant geworden. Ein so großes und edles Prinzip wie das der
Toleranz wird nicht leicht errungen. Nicht ans dem religiösen Bewußtsein
heraus ist es erwachsen; der Nothwendigkeit, welche die Mutter auch vieler
edler Kinder ist, verdankt es zunächst sein Dasein, seine Anerkennung.

Der Streit der Religionsparteien seit der Reformation ist für die Staaten
ein Quell fast unaufhörlicher Schwierigkeiten geworden. Der preußische Staat
hat den Ruhm, diese Schwierigkeiten am frühesten im Geiste ächter Duldung,
wenn nicht überwunden, doch behandelt zu haben. Und dieser Ruhm fällt
zumeist seinen Fürsten zu.

Die Hinwendung der Hohenzollern zur Reformation hat mit der fränkischen
Linie begonnen. Als der Hochmeister Albrecht von Brandenburg 1522 zum
Reichstag reiste, im Herzen schon der.Reformation geneigt, ward er in Nürn¬
berg durch eine Predigt Osiander's gewonnen. Bei einer persönlichen Begegnung
mit Luther das Jahr darauf rieth ihm dieser zu heirathen und Preußen zu
einem weltlichen Herzogthum zu machen; Albrecht lachte und erwiederte nichts.
Auch sein Bruder, Markgraf Georg, der im Anspach'schen damit umging, die
Reformation einzuführen, redete ihm zu. Dazwischen hatte schon während der
Abwesenheit des Hochmeisters die Reformation in Preußen ihren Anfang ge¬
nommen. Am Christfest 1523 hatte Bischof Georg von Potenz im Dom zu
Königsberg die große Freude verkündigt, daß der Heiland seinem Volk von
Neuem geboren sei, und Luther schrieb: "Das Evangelium eilet mit vollem
Lauf, gleich einem Schiff, in dessen Segel der volle Wind bläset, nach Preußen."
Es ging nicht ohne Gewaltthätigkeiten ab. Das Volk brach in das Kloster


einer äußerlichen Gemeinschaft schließt die Toleranz nicht nur aus, sondern
macht die Intoleranz zur heiligen Pflicht. Was kam darauf an, den Leib zu
verbrennen, wo es galt die unsterbliche Seele zu retten, oder durch ein furcht¬
bares Flammengericht Tausend andere, bereits schwankende Gläubige der
seligmachenden Kirche zu erhalten! — Durch die Reformation wurde gerade
dieses Dogma einer alleinseligmachenden Kirche bekämpft und erschüttert. Mit
mächtiger Beredsamkeit vertrat Luther das Prinzip der Toleranz. In Glaubens¬
sachen soll weder der Staat noch die Kirche Gewalt anwenden. „Ketzerei ist
ein geistlich Ding, das kann man mit keinem Eisen hanen, mit keinem Feuer
verbrennen, mit keinem Wasser ertränken. Wenn es Kunst wäre, mit Feuer
Ketzer Überwinden, so wären die Henker die gelehrtesten Doktores aus Erden."
Aber so gewiß die Idee der Toleranz mit den reformatorischen Grundsätzen
gegeben ist, so wenig hat die protestantische Kirche mit der Toleranz sofort
Ernst gemacht. Man darf nicht vergessen, daß die Reformation aus der Angst
eines Mönches um sein und seines Volkes Seelenheil hervorgegangen ist. Mit
allgemeinen Toleranzideen läßt sich keine Kirche begründen, und Luther selbst
ist intolerant geworden. Ein so großes und edles Prinzip wie das der
Toleranz wird nicht leicht errungen. Nicht ans dem religiösen Bewußtsein
heraus ist es erwachsen; der Nothwendigkeit, welche die Mutter auch vieler
edler Kinder ist, verdankt es zunächst sein Dasein, seine Anerkennung.

Der Streit der Religionsparteien seit der Reformation ist für die Staaten
ein Quell fast unaufhörlicher Schwierigkeiten geworden. Der preußische Staat
hat den Ruhm, diese Schwierigkeiten am frühesten im Geiste ächter Duldung,
wenn nicht überwunden, doch behandelt zu haben. Und dieser Ruhm fällt
zumeist seinen Fürsten zu.

Die Hinwendung der Hohenzollern zur Reformation hat mit der fränkischen
Linie begonnen. Als der Hochmeister Albrecht von Brandenburg 1522 zum
Reichstag reiste, im Herzen schon der.Reformation geneigt, ward er in Nürn¬
berg durch eine Predigt Osiander's gewonnen. Bei einer persönlichen Begegnung
mit Luther das Jahr darauf rieth ihm dieser zu heirathen und Preußen zu
einem weltlichen Herzogthum zu machen; Albrecht lachte und erwiederte nichts.
Auch sein Bruder, Markgraf Georg, der im Anspach'schen damit umging, die
Reformation einzuführen, redete ihm zu. Dazwischen hatte schon während der
Abwesenheit des Hochmeisters die Reformation in Preußen ihren Anfang ge¬
nommen. Am Christfest 1523 hatte Bischof Georg von Potenz im Dom zu
Königsberg die große Freude verkündigt, daß der Heiland seinem Volk von
Neuem geboren sei, und Luther schrieb: „Das Evangelium eilet mit vollem
Lauf, gleich einem Schiff, in dessen Segel der volle Wind bläset, nach Preußen."
Es ging nicht ohne Gewaltthätigkeiten ab. Das Volk brach in das Kloster


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/180>, abgerufen am 22.07.2024.