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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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dem Druck der Zeit am meisten. Unter diesen Umständen fand denn auch die
sozialdemokratische Agitation dort einen günstigen Boden.

Wüste Demagogen, die schon in Europa die sozialdemokratische Schule
gründlich durchgemacht hatten und durch ihr verbrecherisches Treiben über
das Meer gejagt waren, fanden sür ihre hochtönenden Weltverbesserungspläne
bei den leidenden amerikanischen Arbeitern nur zu leicht Gehör. An unruhigen
Köpfen hatte Amerika, namentlich seit dem Sezessionskriege, ohnehin keinen
Mangel; es gab dort Leute genug, die, jeder ordentlichen und ernsten Arbeit
feind, in der Agitation selbst ihren Lebenszweck suchten und fanden, und so
geschah es, daß eingeborne Amerikaner bald mit den importirten Revolutionären
wetteiferten, die unzufriedenen Elemente durch demagogische Vorspiegelungen
zu Gesetzwidrigkeiten und Gewaltthaten hinzureißen. Außer ewigen geflüchteten
Mitgliedern der Pariser Kommune waren es leider vorzugsweise deutsche
Agitatoren, die in sozialistischen und kommunistischen Reden und Blättern
nachzuweisen suchten, daß man den besitzenden Klassen den Krieg erklären
müsse. Die überall wuchernde Korruption gab zu Angriffen Veranlassung
genug. Sorgfältig wurde natürlich von den Agitatoren verschwiegen, daß
die allgemeine Korruption auch die Arbeiterklassen schon um deshalb mit er¬
greifen mußte, weil Noth, Armuth und Mangel an Bildung keine günstigen
Vorbedingungen sür sittlich reine Zustände sind. Wahrheit und Sittlichkeit
sind überhaupt Dinge, um die sich die Sozialdemokraten weder in der alten,
noch in der neuen Welt besonders gekümmert haben; es läßt sich aber auch
wie die "New Jorker Staatszeitung" kürzlich mit Recht hervorhob, gar leicht nach¬
weisen, daß es in der nordamerikanischen Union niemals zu so beklagenswerthen
Zuständen Hütte kommen können, wie sie jetzt dort in Wirklichkeit existiren, wenn es
nicht Leuten wie Tweed und Konsorten gelungen wäre und noch immer gelänge,
auch eiuen großen Theil der Arbeiter mit zu korrumpireu. Hierher gehört es
denn auch, daß bei den häufigen und unter deu verschiedensten Umständen er¬
folgenden Arbeitseinstellungen die sozialdemokratischen Agitatoren sich stets
unbedingt auf die Seite der Arbeiter stellten und selbst die dabei nur zu oft
vorkommenden Gewaltmaßregeln und ungesetzlichen Ausschreitungen zu ver¬
theidigen pflegten. Agitation und Kampf, Umsturz und Vernichtung des Be-
stehenden, -- so lautet auch in Amerika der Wahlspruch der Sozialdemokraten.
In wie hohem Grade dieser Wahlspruch bei dem großen Eisenbahnansstaude,
welcher im Jahre 1877 in verschiedenen Unionsstaaten in Szene gesetzt wurde,
seine praktische Anwendung fand, haben wir' schon früher in diesen Blättern
auseinandergesetzt und brauchen daher jetzt nicht darauf zurückzukommen.

Statt anch den Arbeitern einmal den Spiegel der Selbsterkenntniß vor¬
zuhalten, suchte die soziuldemokrntische und kommunistische Agitation vor allen


Grenzboten III. IL7S, 2

dem Druck der Zeit am meisten. Unter diesen Umständen fand denn auch die
sozialdemokratische Agitation dort einen günstigen Boden.

Wüste Demagogen, die schon in Europa die sozialdemokratische Schule
gründlich durchgemacht hatten und durch ihr verbrecherisches Treiben über
das Meer gejagt waren, fanden sür ihre hochtönenden Weltverbesserungspläne
bei den leidenden amerikanischen Arbeitern nur zu leicht Gehör. An unruhigen
Köpfen hatte Amerika, namentlich seit dem Sezessionskriege, ohnehin keinen
Mangel; es gab dort Leute genug, die, jeder ordentlichen und ernsten Arbeit
feind, in der Agitation selbst ihren Lebenszweck suchten und fanden, und so
geschah es, daß eingeborne Amerikaner bald mit den importirten Revolutionären
wetteiferten, die unzufriedenen Elemente durch demagogische Vorspiegelungen
zu Gesetzwidrigkeiten und Gewaltthaten hinzureißen. Außer ewigen geflüchteten
Mitgliedern der Pariser Kommune waren es leider vorzugsweise deutsche
Agitatoren, die in sozialistischen und kommunistischen Reden und Blättern
nachzuweisen suchten, daß man den besitzenden Klassen den Krieg erklären
müsse. Die überall wuchernde Korruption gab zu Angriffen Veranlassung
genug. Sorgfältig wurde natürlich von den Agitatoren verschwiegen, daß
die allgemeine Korruption auch die Arbeiterklassen schon um deshalb mit er¬
greifen mußte, weil Noth, Armuth und Mangel an Bildung keine günstigen
Vorbedingungen sür sittlich reine Zustände sind. Wahrheit und Sittlichkeit
sind überhaupt Dinge, um die sich die Sozialdemokraten weder in der alten,
noch in der neuen Welt besonders gekümmert haben; es läßt sich aber auch
wie die „New Jorker Staatszeitung" kürzlich mit Recht hervorhob, gar leicht nach¬
weisen, daß es in der nordamerikanischen Union niemals zu so beklagenswerthen
Zuständen Hütte kommen können, wie sie jetzt dort in Wirklichkeit existiren, wenn es
nicht Leuten wie Tweed und Konsorten gelungen wäre und noch immer gelänge,
auch eiuen großen Theil der Arbeiter mit zu korrumpireu. Hierher gehört es
denn auch, daß bei den häufigen und unter deu verschiedensten Umständen er¬
folgenden Arbeitseinstellungen die sozialdemokratischen Agitatoren sich stets
unbedingt auf die Seite der Arbeiter stellten und selbst die dabei nur zu oft
vorkommenden Gewaltmaßregeln und ungesetzlichen Ausschreitungen zu ver¬
theidigen pflegten. Agitation und Kampf, Umsturz und Vernichtung des Be-
stehenden, — so lautet auch in Amerika der Wahlspruch der Sozialdemokraten.
In wie hohem Grade dieser Wahlspruch bei dem großen Eisenbahnansstaude,
welcher im Jahre 1877 in verschiedenen Unionsstaaten in Szene gesetzt wurde,
seine praktische Anwendung fand, haben wir' schon früher in diesen Blättern
auseinandergesetzt und brauchen daher jetzt nicht darauf zurückzukommen.

Statt anch den Arbeitern einmal den Spiegel der Selbsterkenntniß vor¬
zuhalten, suchte die soziuldemokrntische und kommunistische Agitation vor allen


Grenzboten III. IL7S, 2
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/17>, abgerufen am 22.07.2024.