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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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jetzt im Privatbesitz befindlichen Prvduktivkapitalien (der gestimmte Grund und
Boden, alle Fabriken und Werkstätten, alle Maschinen und Werkzeuge, alle
Werthpapiere und Ersparnisse, die vorhandenen Rohstoffe, Transportmittel,
Vieh u. s. w.) in den Gesellschaftsbesitz, in den Besitz des durchaus gleichheitlich
organisirten Staates übergehen sollen. Die Staatsregierung würde dann die
gesammte nationale Güterproduktivn in ihrer Hand haben, ähnlich wie jetzt das
Direktorium einer großen Aktienfabrik die Produktion eines weit engeren Kreises
leitet. Es würde aller Handel, alle freie Konkurrenz aufhören, indem der
Staat durch seine Beamten auch das ungeheure Werk der Vertheilung des
Gesmnmtprodukts unter die einzelnen Unterthanen nach einem einheitlichen
Maßstabe vornehmen ließe.

Wir wollen hier zunächst nicht untersuchen, ob ein so organisirter Staat
überhaupt existiren kann, ob, wenn er möglich sein sollte, die Einführung dieser
allgemeinen Bevormundungsanstalt mit ihrer zahllosen Bureaukratie einen
Fortschritt gegenüber den jetzt bestehenden Zuständen und uicht vielmehr einen
Rückfall in die schlimmsten Zeiten des Despotismus und der Unkultur darstellen
würde. Vielmehr wollen wir hier nnr die Frage betrachten, welches Recht
denn der Staat hätte, den Einzelnen den größten Theil ihres
Vermögens zu konfisziren?

Nach der jetzt bestehenden Rechtsordnung garantirt der Staat den unge¬
störten Genuß seines Besitzes einem Jeden, welcher denselben nicht widerrechtlich
erworben hat. So ist das Privateigenthum und in noch erhöhtem Maße das
Erbrecht der mächtigste Hebel zur Erzielung einer gesteigerten Wirtschaftlichkeit,
der Sparsamkeit und des Fleißes, da ein Jeder sich bewußt ist, daß die
Früchte seiner Mühen auch wirklich ihm selbst und denen, die ihm am nächsten
stehen, zu Gute kommen werden.

Freilich giebt es in allen zivilisirten Staaten der Neuzeit ein Expropria¬
tionsrecht des Staates. Die Staatsgewalt ist befugt, deu Einzelnen zur Ab¬
tretung gewisser für das Gemeiuinteresse nothwendiger Objekte zu zwingen --
aber nur gegen vollkommenen Ersatz für den Werth des abgetretenen Gegen¬
standes und für das sonstige Interesse des bisherigen Besitzers an dem Behalten
seiner Sache.

Ganz unzweifelhaft darf die Staatsgewalt, wenn eine höhere sittliche oder
ökonomische Rücksicht es erheischt, auch ganzen Kategorien von Vermögensob¬
jekten die ihnen bisher innewohnende Qualität nehmen, Objekte von Privat¬
rechten zu sein. Aber selbstverständlich ist er den bisherigen Berechtigten für
die Aufhebung dieser Rechtsverhältnisse zu vollem Schadensersatz verpflichtet.
Solange die Sklaverei in den Kolonien der europäischen Kulturstaaten noch
bestand, konnten Menschen gleich leblosen Sachen und Thieren Objekte der


Grenzboten III. W78, 13

jetzt im Privatbesitz befindlichen Prvduktivkapitalien (der gestimmte Grund und
Boden, alle Fabriken und Werkstätten, alle Maschinen und Werkzeuge, alle
Werthpapiere und Ersparnisse, die vorhandenen Rohstoffe, Transportmittel,
Vieh u. s. w.) in den Gesellschaftsbesitz, in den Besitz des durchaus gleichheitlich
organisirten Staates übergehen sollen. Die Staatsregierung würde dann die
gesammte nationale Güterproduktivn in ihrer Hand haben, ähnlich wie jetzt das
Direktorium einer großen Aktienfabrik die Produktion eines weit engeren Kreises
leitet. Es würde aller Handel, alle freie Konkurrenz aufhören, indem der
Staat durch seine Beamten auch das ungeheure Werk der Vertheilung des
Gesmnmtprodukts unter die einzelnen Unterthanen nach einem einheitlichen
Maßstabe vornehmen ließe.

Wir wollen hier zunächst nicht untersuchen, ob ein so organisirter Staat
überhaupt existiren kann, ob, wenn er möglich sein sollte, die Einführung dieser
allgemeinen Bevormundungsanstalt mit ihrer zahllosen Bureaukratie einen
Fortschritt gegenüber den jetzt bestehenden Zuständen und uicht vielmehr einen
Rückfall in die schlimmsten Zeiten des Despotismus und der Unkultur darstellen
würde. Vielmehr wollen wir hier nnr die Frage betrachten, welches Recht
denn der Staat hätte, den Einzelnen den größten Theil ihres
Vermögens zu konfisziren?

Nach der jetzt bestehenden Rechtsordnung garantirt der Staat den unge¬
störten Genuß seines Besitzes einem Jeden, welcher denselben nicht widerrechtlich
erworben hat. So ist das Privateigenthum und in noch erhöhtem Maße das
Erbrecht der mächtigste Hebel zur Erzielung einer gesteigerten Wirtschaftlichkeit,
der Sparsamkeit und des Fleißes, da ein Jeder sich bewußt ist, daß die
Früchte seiner Mühen auch wirklich ihm selbst und denen, die ihm am nächsten
stehen, zu Gute kommen werden.

Freilich giebt es in allen zivilisirten Staaten der Neuzeit ein Expropria¬
tionsrecht des Staates. Die Staatsgewalt ist befugt, deu Einzelnen zur Ab¬
tretung gewisser für das Gemeiuinteresse nothwendiger Objekte zu zwingen —
aber nur gegen vollkommenen Ersatz für den Werth des abgetretenen Gegen¬
standes und für das sonstige Interesse des bisherigen Besitzers an dem Behalten
seiner Sache.

Ganz unzweifelhaft darf die Staatsgewalt, wenn eine höhere sittliche oder
ökonomische Rücksicht es erheischt, auch ganzen Kategorien von Vermögensob¬
jekten die ihnen bisher innewohnende Qualität nehmen, Objekte von Privat¬
rechten zu sein. Aber selbstverständlich ist er den bisherigen Berechtigten für
die Aufhebung dieser Rechtsverhältnisse zu vollem Schadensersatz verpflichtet.
Solange die Sklaverei in den Kolonien der europäischen Kulturstaaten noch
bestand, konnten Menschen gleich leblosen Sachen und Thieren Objekte der


Grenzboten III. W78, 13
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/145>, abgerufen am 22.07.2024.