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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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wirklich staatsmännischen Gesichtspunkten geleitetes Organ der Schweiz, die
"Neue Züricher Zeitung", gewirkt.

Aber andrerseits haben die genaueren Beobachter des politischen und
sozialen Lebens in diesem Kanton kaum etwas anderes erwartet, als die Ver¬
werfung der Gotthardsubsidien durch das "Züricher Volk". Der Radikalismus
hat dort seit Jahren das Regiment besessen. Das "Referendum", d. h. die
durch eine einfache, unmotivirte und unverantwortliche Abstimmung des Volkes
verfassungsmäßig eingesetzte Oberkritik der zufälligen souveränen Mehrheit über
die sorgfältigsten, kenntnißreichsten Arbeiten von Sachverständigen, von Ab¬
geordneten, die ohnehin aus einem auf breitester demokratischer Basis etablirten
Wahlrecht hervorgegangen sind, ist in unsern Augen eine Waffe, die fast aus¬
nahmslos im gesunden Fleisch des Staates wüthen wird. Denn nichts ist der
großen Masse unverständlicher und schwerer anzuerziehen, als die interesselose
Pflichterfüllung für den Staat, der kategorische Imperativ c^na-na wöms, die
Auferlegung harter Lasten, die Alle im Volke treffen, durch das Volk, d. h. die
Massen selbst. Vollends verhängnißvoll aber wird diese Abstimmung immer
sich äußern in Gemeinwesen, die schon jahrelang der Negation und Auflösung
der Staatsordnung vorgearbeitet haben dadurch, daß sie den Radikalismus in
die Regierungsgewali eingesetzt hatten, d. h. diejenige Partei, für welche das
animalische Behagen gleichbedeutend ist mit der politischen Freiheit des Bürgers,
die konsequenterweise also jede Last, die der Staat auferlegt, als eine Minderung
der angeborenen Freiheitsrechte empfinden muß.

Genug davon. Deun schließlich ist es ja ganz gleichgültig, aus welchen
souverüuen Erwägungen seines Beliebens das "Volk von Zürich" die Subsidien
zur Gotthardbahn verworfen und dadurch die ganze Schweiz und das noch
größere Italien und Deutschland vor die Möglichkeit gestellt hat, daß die Gott¬
hardbahn nicht zu Stande komme und alle ans Grund einer schweizerischen
Verfassung, die das Referendum nicht kannte, eingezahlten Beiträge der Ver¬
tragsstaaten verloren sind. Genug, daß es so ist. Die Lehre wird für keinen
der Vertragsstaaten verloren sein. Auch nicht für den schweizerischen Bundes-
rath, dessen "Botschaft" ganz klar ausdrückt, daß er sich durchaus keiner Illusion
hingiebt, sobald er zu dem Hazardspiel des Referendum seine Karten hergeben
soll. Der schweizerische Bundesrath sagt in seiner Denkschrift offen heraus:
"Wenn Zürich, das an dem Zustandekommen einer Schienenverbindung mit
Italien wohl mehr als irgend ein andrer Theil der Schweiz interessirt ist, sich
an einer Nachsubvention ans kantonalen Mitteln nicht betheiligen will, so wird
kein anderer Kanton es thun und wird es auch billigerweise keinem andern
zugemuthet werden können. Es werden daher alle, die noch nicht gesprochen
haben, ohne allen Zweifel dem Beispiele Zürich's folgen, und diejenigen die


wirklich staatsmännischen Gesichtspunkten geleitetes Organ der Schweiz, die
„Neue Züricher Zeitung", gewirkt.

Aber andrerseits haben die genaueren Beobachter des politischen und
sozialen Lebens in diesem Kanton kaum etwas anderes erwartet, als die Ver¬
werfung der Gotthardsubsidien durch das „Züricher Volk". Der Radikalismus
hat dort seit Jahren das Regiment besessen. Das „Referendum", d. h. die
durch eine einfache, unmotivirte und unverantwortliche Abstimmung des Volkes
verfassungsmäßig eingesetzte Oberkritik der zufälligen souveränen Mehrheit über
die sorgfältigsten, kenntnißreichsten Arbeiten von Sachverständigen, von Ab¬
geordneten, die ohnehin aus einem auf breitester demokratischer Basis etablirten
Wahlrecht hervorgegangen sind, ist in unsern Augen eine Waffe, die fast aus¬
nahmslos im gesunden Fleisch des Staates wüthen wird. Denn nichts ist der
großen Masse unverständlicher und schwerer anzuerziehen, als die interesselose
Pflichterfüllung für den Staat, der kategorische Imperativ c^na-na wöms, die
Auferlegung harter Lasten, die Alle im Volke treffen, durch das Volk, d. h. die
Massen selbst. Vollends verhängnißvoll aber wird diese Abstimmung immer
sich äußern in Gemeinwesen, die schon jahrelang der Negation und Auflösung
der Staatsordnung vorgearbeitet haben dadurch, daß sie den Radikalismus in
die Regierungsgewali eingesetzt hatten, d. h. diejenige Partei, für welche das
animalische Behagen gleichbedeutend ist mit der politischen Freiheit des Bürgers,
die konsequenterweise also jede Last, die der Staat auferlegt, als eine Minderung
der angeborenen Freiheitsrechte empfinden muß.

Genug davon. Deun schließlich ist es ja ganz gleichgültig, aus welchen
souverüuen Erwägungen seines Beliebens das „Volk von Zürich" die Subsidien
zur Gotthardbahn verworfen und dadurch die ganze Schweiz und das noch
größere Italien und Deutschland vor die Möglichkeit gestellt hat, daß die Gott¬
hardbahn nicht zu Stande komme und alle ans Grund einer schweizerischen
Verfassung, die das Referendum nicht kannte, eingezahlten Beiträge der Ver¬
tragsstaaten verloren sind. Genug, daß es so ist. Die Lehre wird für keinen
der Vertragsstaaten verloren sein. Auch nicht für den schweizerischen Bundes-
rath, dessen „Botschaft" ganz klar ausdrückt, daß er sich durchaus keiner Illusion
hingiebt, sobald er zu dem Hazardspiel des Referendum seine Karten hergeben
soll. Der schweizerische Bundesrath sagt in seiner Denkschrift offen heraus:
„Wenn Zürich, das an dem Zustandekommen einer Schienenverbindung mit
Italien wohl mehr als irgend ein andrer Theil der Schweiz interessirt ist, sich
an einer Nachsubvention ans kantonalen Mitteln nicht betheiligen will, so wird
kein anderer Kanton es thun und wird es auch billigerweise keinem andern
zugemuthet werden können. Es werden daher alle, die noch nicht gesprochen
haben, ohne allen Zweifel dem Beispiele Zürich's folgen, und diejenigen die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/124>, abgerufen am 22.07.2024.