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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Ehe auf den Inhalt dieser Staatsschrift eingegangen werden kann, muß
kurz berichtet werden, wie die Sachlage für die Schweiz durch die Luzerner
Konferenz vom 5. Januar d. I. sich gestaltet hatte.

Danach sollten die Mehrbedürfnisse, welche nach der vorjährigen neuen
Berechnung das Gotthardnuteruehmen zu seiner Vollendung auf der Strecke
Jimnensee-Flüelen-Pluv bedarf, von der Schweiz im Gesammtbetrage von acht
Millionen Franken aufgebracht werden. Anderthalb Millionen hiervon hatten
die betheiligten schweizerischen Eisenbahnen, die Centralbahn und die Nordost¬
bahn fest und unbedingt zur Zahlung übernommen. Die übrigen K'/z Milli¬
onen sollten die betheiligten Kantone aufbringen: Bern, Zürich, Basel, Luzern,
Aargau, Zug, Uri, Schwyz, Unterwalden n. f. w. Die nichts als katholischen,
und daher für weitere Interessen unzugänglichen kleinen Kantone Uri, Nid-
walden, Zug, hatten, wie vorauszusehen, ihren Antheil an den Mehrkosten
dieser Weltbahn abgelehnt. Das schlug dem Fasse noch nicht gerade den Boden aus.
Denn mancher wohlhabende Maun pflegt in Deutschland, wenn er mal stirbt
seiner Vaterstadt mehr an gemeinnützigen Legaten zu hinterlassen, als diese drei
Kantvnli, in ihrer von der Vorsehung speziell regierten Konfusion von Staats¬
weisheit zusammengenommen, dem gemeinen Nutzen bei dieser Gelegenheit ver¬
weigern zu müssen glaubten.

Für Fernstehende durchaus überraschend kam dagegen am 20. Mai d. I.
die Kunde, "das Volk von Zürich" habe am 19. Mai die den Kanton treffende
Subvention von 800,000 Franks ausdrücklich abgelehnt; um so unerwarteter,
da der Züricher Kantonsrath nach mehrtägigen, gründlichen Verhandlungen diese
Summe gemäß dem Vertrage vom 5. Januar d. I. für den Kanton Zürich
übernommen hatte.

Diese Kunde kam den Fernstehenden sehr überraschend und wirkte überaus
deprimirend, namentlich in Deutschland. Bei uns gilt die Stadt und der
Kanton Zürich in mancher Hinsicht als der unserm Volksthum, namentlich
dem süddeutschen verwandteste der Schweiz. Das Völkchen ist dort betriebsam,
in hervorragender Weise industriell thätig; die Leute kommen in der Welt
herum und verbauern nicht auf der Scholle; in mancherlei Beziehung wird der
Kanton Zürich bei uns und in der Schweiz selbst als der erste der Schweiz
angesehen. Weite Gesichtspunkte, lebendigen, verständigen Sinn für eine große
internationale Verkehrsfrage hofften wohl die meisten gerade von Zürich am
ersten gewürdigt zu sehen. Waren doch von dorther der Schweiz seit einem
Menschenalter nicht die schlechtesten Staatsmänner gekommen, wirkte hier doch,
von allen Anderen abgesehen, der große und berechtigte Einfluß Alfred Escher's
für die Subvention des Kantons zu Gunsten der Gotthardbahn, hatte in
demselben Sinne doch von Anfang an ein bestredigirtes, maßvolles und von


Ehe auf den Inhalt dieser Staatsschrift eingegangen werden kann, muß
kurz berichtet werden, wie die Sachlage für die Schweiz durch die Luzerner
Konferenz vom 5. Januar d. I. sich gestaltet hatte.

Danach sollten die Mehrbedürfnisse, welche nach der vorjährigen neuen
Berechnung das Gotthardnuteruehmen zu seiner Vollendung auf der Strecke
Jimnensee-Flüelen-Pluv bedarf, von der Schweiz im Gesammtbetrage von acht
Millionen Franken aufgebracht werden. Anderthalb Millionen hiervon hatten
die betheiligten schweizerischen Eisenbahnen, die Centralbahn und die Nordost¬
bahn fest und unbedingt zur Zahlung übernommen. Die übrigen K'/z Milli¬
onen sollten die betheiligten Kantone aufbringen: Bern, Zürich, Basel, Luzern,
Aargau, Zug, Uri, Schwyz, Unterwalden n. f. w. Die nichts als katholischen,
und daher für weitere Interessen unzugänglichen kleinen Kantone Uri, Nid-
walden, Zug, hatten, wie vorauszusehen, ihren Antheil an den Mehrkosten
dieser Weltbahn abgelehnt. Das schlug dem Fasse noch nicht gerade den Boden aus.
Denn mancher wohlhabende Maun pflegt in Deutschland, wenn er mal stirbt
seiner Vaterstadt mehr an gemeinnützigen Legaten zu hinterlassen, als diese drei
Kantvnli, in ihrer von der Vorsehung speziell regierten Konfusion von Staats¬
weisheit zusammengenommen, dem gemeinen Nutzen bei dieser Gelegenheit ver¬
weigern zu müssen glaubten.

Für Fernstehende durchaus überraschend kam dagegen am 20. Mai d. I.
die Kunde, „das Volk von Zürich" habe am 19. Mai die den Kanton treffende
Subvention von 800,000 Franks ausdrücklich abgelehnt; um so unerwarteter,
da der Züricher Kantonsrath nach mehrtägigen, gründlichen Verhandlungen diese
Summe gemäß dem Vertrage vom 5. Januar d. I. für den Kanton Zürich
übernommen hatte.

Diese Kunde kam den Fernstehenden sehr überraschend und wirkte überaus
deprimirend, namentlich in Deutschland. Bei uns gilt die Stadt und der
Kanton Zürich in mancher Hinsicht als der unserm Volksthum, namentlich
dem süddeutschen verwandteste der Schweiz. Das Völkchen ist dort betriebsam,
in hervorragender Weise industriell thätig; die Leute kommen in der Welt
herum und verbauern nicht auf der Scholle; in mancherlei Beziehung wird der
Kanton Zürich bei uns und in der Schweiz selbst als der erste der Schweiz
angesehen. Weite Gesichtspunkte, lebendigen, verständigen Sinn für eine große
internationale Verkehrsfrage hofften wohl die meisten gerade von Zürich am
ersten gewürdigt zu sehen. Waren doch von dorther der Schweiz seit einem
Menschenalter nicht die schlechtesten Staatsmänner gekommen, wirkte hier doch,
von allen Anderen abgesehen, der große und berechtigte Einfluß Alfred Escher's
für die Subvention des Kantons zu Gunsten der Gotthardbahn, hatte in
demselben Sinne doch von Anfang an ein bestredigirtes, maßvolles und von


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[0123] Ehe auf den Inhalt dieser Staatsschrift eingegangen werden kann, muß kurz berichtet werden, wie die Sachlage für die Schweiz durch die Luzerner Konferenz vom 5. Januar d. I. sich gestaltet hatte. Danach sollten die Mehrbedürfnisse, welche nach der vorjährigen neuen Berechnung das Gotthardnuteruehmen zu seiner Vollendung auf der Strecke Jimnensee-Flüelen-Pluv bedarf, von der Schweiz im Gesammtbetrage von acht Millionen Franken aufgebracht werden. Anderthalb Millionen hiervon hatten die betheiligten schweizerischen Eisenbahnen, die Centralbahn und die Nordost¬ bahn fest und unbedingt zur Zahlung übernommen. Die übrigen K'/z Milli¬ onen sollten die betheiligten Kantone aufbringen: Bern, Zürich, Basel, Luzern, Aargau, Zug, Uri, Schwyz, Unterwalden n. f. w. Die nichts als katholischen, und daher für weitere Interessen unzugänglichen kleinen Kantone Uri, Nid- walden, Zug, hatten, wie vorauszusehen, ihren Antheil an den Mehrkosten dieser Weltbahn abgelehnt. Das schlug dem Fasse noch nicht gerade den Boden aus. Denn mancher wohlhabende Maun pflegt in Deutschland, wenn er mal stirbt seiner Vaterstadt mehr an gemeinnützigen Legaten zu hinterlassen, als diese drei Kantvnli, in ihrer von der Vorsehung speziell regierten Konfusion von Staats¬ weisheit zusammengenommen, dem gemeinen Nutzen bei dieser Gelegenheit ver¬ weigern zu müssen glaubten. Für Fernstehende durchaus überraschend kam dagegen am 20. Mai d. I. die Kunde, „das Volk von Zürich" habe am 19. Mai die den Kanton treffende Subvention von 800,000 Franks ausdrücklich abgelehnt; um so unerwarteter, da der Züricher Kantonsrath nach mehrtägigen, gründlichen Verhandlungen diese Summe gemäß dem Vertrage vom 5. Januar d. I. für den Kanton Zürich übernommen hatte. Diese Kunde kam den Fernstehenden sehr überraschend und wirkte überaus deprimirend, namentlich in Deutschland. Bei uns gilt die Stadt und der Kanton Zürich in mancher Hinsicht als der unserm Volksthum, namentlich dem süddeutschen verwandteste der Schweiz. Das Völkchen ist dort betriebsam, in hervorragender Weise industriell thätig; die Leute kommen in der Welt herum und verbauern nicht auf der Scholle; in mancherlei Beziehung wird der Kanton Zürich bei uns und in der Schweiz selbst als der erste der Schweiz angesehen. Weite Gesichtspunkte, lebendigen, verständigen Sinn für eine große internationale Verkehrsfrage hofften wohl die meisten gerade von Zürich am ersten gewürdigt zu sehen. Waren doch von dorther der Schweiz seit einem Menschenalter nicht die schlechtesten Staatsmänner gekommen, wirkte hier doch, von allen Anderen abgesehen, der große und berechtigte Einfluß Alfred Escher's für die Subvention des Kantons zu Gunsten der Gotthardbahn, hatte in demselben Sinne doch von Anfang an ein bestredigirtes, maßvolles und von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/123>, abgerufen am 22.07.2024.