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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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fcnnilie an der Mauer eines Parkes. Die Frau hat dein Gatten das Mittag¬
brod und ihre beiden frischen Knaben gebracht, Glück und Seligkeit thront
inmitten der kleinen Gruppe, während durch das Gitter eine Lady in Trauer¬
kleidern von schmerzlichen Erinnerungen ergriffen auf die Fröhlichen blickt.

So vornehm die englischen Genremaler auch sind und so sehr sie in ihrer
Auffassung und Formengebung aristokratische Neigungen verrathen, so wenig
machen sie das Leben der großen Gesellschaft zum Gegenstande ihrer Bilder.
Das Leben der Landleute bietet ihnen ungleich größere Reize als die Ballsäle
und die Gesellschaftszimmer der Hauptstädte. Unter den dreihundert Oelge-
mälden der Ausstellung befindet sich nur ein einziges, das uns in einen Salon
der eleganten Welt führt: Die Morgenröthe von Gregors. Der poetische Titel
rechtfertigt das Sujet des Bildes keineswegs. In der Mitte des Salons steht
eine Dame in rosenfarbenen Kleide vor einem Blumentisch, aus dein sich ein
üppiger Azaleenflor entfaltet, und ihr gegenüber ein schwarz befrackter Herr,
der mit ihr eine Konversation führt. Im Hintergrunde sitzt ein anderer Herr
am Piano. Noch brennen die Lampen im Saal, aber durch die Vorhänge
bricht schon das Morgenroth, das mit dem gelben Lampenlicht kämpft. Aus
diesem Wechselspiel verschiedener Lichter ergeben sich pikante Effekte, die sich
besonders da, wo das Licht auf die Blumen und auf die Dcnnentoilette fällt,
ans das Lebhafteste markiren.

Der Engländer betrachtet das Leben der Bauern nicht von so idealen
Gesichtspunkten wie Frankreich's größter Bauernmaler, Breton. Er malt nicht
die sentimentalen, gedankenschwerer Landleute der Georges Sand, er verfällt
aber auch nicht in den widerlichen, wenn auch genialen Realismus Courbet's,
der leider auch in Deutschland bereits um sich gegriffen hat. Er sucht die
Bauern bei ihrer Arbeit auf, beim Säen, Pflügen, bei der Kartoffel- und Heu¬
ernte, aber er malt sie nicht um ihrer selbst, sondern um der Natur willen,
die sie verschönen und zum Tribut zwingen. Breton liebt als echter Franzose
die Gruppe, das lebende Bild, die theatralische Pose. Er malt heimkehrende
Schnitterinnen von der Poesie des Abendgvlds verklärt, Mäher und Müherinnen,
die auf dem Rasen Mittagsruhe halten, während das Sonnenlicht in den
Zweigen spielt. Der Engländer ist nüchterner, aber auch um vieles wahrer,
und darin liegt seine Poesie.

R. W. Maebeth ist der bedeutendste dieser Bauernmaler. Auf der "Kar¬
toffelernte in Lincolnshire" welch' ein geschäftiges Treiben der Männer, Frauen
und Kinder, über deren Köpfen sich schwarze Wolken zusammenthürmen! Wie
lebendig ist die athemlose Hast ausgedrückt, mit der hier geschafft wird, und
wie charakteristisch ist die dumpfe Gewitterschwüle! Ein zweites Bild des¬
selben Malers hebt den Schleier von einer sozialen Schattenseite des lustigen


fcnnilie an der Mauer eines Parkes. Die Frau hat dein Gatten das Mittag¬
brod und ihre beiden frischen Knaben gebracht, Glück und Seligkeit thront
inmitten der kleinen Gruppe, während durch das Gitter eine Lady in Trauer¬
kleidern von schmerzlichen Erinnerungen ergriffen auf die Fröhlichen blickt.

So vornehm die englischen Genremaler auch sind und so sehr sie in ihrer
Auffassung und Formengebung aristokratische Neigungen verrathen, so wenig
machen sie das Leben der großen Gesellschaft zum Gegenstande ihrer Bilder.
Das Leben der Landleute bietet ihnen ungleich größere Reize als die Ballsäle
und die Gesellschaftszimmer der Hauptstädte. Unter den dreihundert Oelge-
mälden der Ausstellung befindet sich nur ein einziges, das uns in einen Salon
der eleganten Welt führt: Die Morgenröthe von Gregors. Der poetische Titel
rechtfertigt das Sujet des Bildes keineswegs. In der Mitte des Salons steht
eine Dame in rosenfarbenen Kleide vor einem Blumentisch, aus dein sich ein
üppiger Azaleenflor entfaltet, und ihr gegenüber ein schwarz befrackter Herr,
der mit ihr eine Konversation führt. Im Hintergrunde sitzt ein anderer Herr
am Piano. Noch brennen die Lampen im Saal, aber durch die Vorhänge
bricht schon das Morgenroth, das mit dem gelben Lampenlicht kämpft. Aus
diesem Wechselspiel verschiedener Lichter ergeben sich pikante Effekte, die sich
besonders da, wo das Licht auf die Blumen und auf die Dcnnentoilette fällt,
ans das Lebhafteste markiren.

Der Engländer betrachtet das Leben der Bauern nicht von so idealen
Gesichtspunkten wie Frankreich's größter Bauernmaler, Breton. Er malt nicht
die sentimentalen, gedankenschwerer Landleute der Georges Sand, er verfällt
aber auch nicht in den widerlichen, wenn auch genialen Realismus Courbet's,
der leider auch in Deutschland bereits um sich gegriffen hat. Er sucht die
Bauern bei ihrer Arbeit auf, beim Säen, Pflügen, bei der Kartoffel- und Heu¬
ernte, aber er malt sie nicht um ihrer selbst, sondern um der Natur willen,
die sie verschönen und zum Tribut zwingen. Breton liebt als echter Franzose
die Gruppe, das lebende Bild, die theatralische Pose. Er malt heimkehrende
Schnitterinnen von der Poesie des Abendgvlds verklärt, Mäher und Müherinnen,
die auf dem Rasen Mittagsruhe halten, während das Sonnenlicht in den
Zweigen spielt. Der Engländer ist nüchterner, aber auch um vieles wahrer,
und darin liegt seine Poesie.

R. W. Maebeth ist der bedeutendste dieser Bauernmaler. Auf der „Kar¬
toffelernte in Lincolnshire" welch' ein geschäftiges Treiben der Männer, Frauen
und Kinder, über deren Köpfen sich schwarze Wolken zusammenthürmen! Wie
lebendig ist die athemlose Hast ausgedrückt, mit der hier geschafft wird, und
wie charakteristisch ist die dumpfe Gewitterschwüle! Ein zweites Bild des¬
selben Malers hebt den Schleier von einer sozialen Schattenseite des lustigen


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[0120] fcnnilie an der Mauer eines Parkes. Die Frau hat dein Gatten das Mittag¬ brod und ihre beiden frischen Knaben gebracht, Glück und Seligkeit thront inmitten der kleinen Gruppe, während durch das Gitter eine Lady in Trauer¬ kleidern von schmerzlichen Erinnerungen ergriffen auf die Fröhlichen blickt. So vornehm die englischen Genremaler auch sind und so sehr sie in ihrer Auffassung und Formengebung aristokratische Neigungen verrathen, so wenig machen sie das Leben der großen Gesellschaft zum Gegenstande ihrer Bilder. Das Leben der Landleute bietet ihnen ungleich größere Reize als die Ballsäle und die Gesellschaftszimmer der Hauptstädte. Unter den dreihundert Oelge- mälden der Ausstellung befindet sich nur ein einziges, das uns in einen Salon der eleganten Welt führt: Die Morgenröthe von Gregors. Der poetische Titel rechtfertigt das Sujet des Bildes keineswegs. In der Mitte des Salons steht eine Dame in rosenfarbenen Kleide vor einem Blumentisch, aus dein sich ein üppiger Azaleenflor entfaltet, und ihr gegenüber ein schwarz befrackter Herr, der mit ihr eine Konversation führt. Im Hintergrunde sitzt ein anderer Herr am Piano. Noch brennen die Lampen im Saal, aber durch die Vorhänge bricht schon das Morgenroth, das mit dem gelben Lampenlicht kämpft. Aus diesem Wechselspiel verschiedener Lichter ergeben sich pikante Effekte, die sich besonders da, wo das Licht auf die Blumen und auf die Dcnnentoilette fällt, ans das Lebhafteste markiren. Der Engländer betrachtet das Leben der Bauern nicht von so idealen Gesichtspunkten wie Frankreich's größter Bauernmaler, Breton. Er malt nicht die sentimentalen, gedankenschwerer Landleute der Georges Sand, er verfällt aber auch nicht in den widerlichen, wenn auch genialen Realismus Courbet's, der leider auch in Deutschland bereits um sich gegriffen hat. Er sucht die Bauern bei ihrer Arbeit auf, beim Säen, Pflügen, bei der Kartoffel- und Heu¬ ernte, aber er malt sie nicht um ihrer selbst, sondern um der Natur willen, die sie verschönen und zum Tribut zwingen. Breton liebt als echter Franzose die Gruppe, das lebende Bild, die theatralische Pose. Er malt heimkehrende Schnitterinnen von der Poesie des Abendgvlds verklärt, Mäher und Müherinnen, die auf dem Rasen Mittagsruhe halten, während das Sonnenlicht in den Zweigen spielt. Der Engländer ist nüchterner, aber auch um vieles wahrer, und darin liegt seine Poesie. R. W. Maebeth ist der bedeutendste dieser Bauernmaler. Auf der „Kar¬ toffelernte in Lincolnshire" welch' ein geschäftiges Treiben der Männer, Frauen und Kinder, über deren Köpfen sich schwarze Wolken zusammenthürmen! Wie lebendig ist die athemlose Hast ausgedrückt, mit der hier geschafft wird, und wie charakteristisch ist die dumpfe Gewitterschwüle! Ein zweites Bild des¬ selben Malers hebt den Schleier von einer sozialen Schattenseite des lustigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/120>, abgerufen am 03.07.2024.