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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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wie der stärksten Effekte gleich fähig ist. Und daneben weiß sie einen Schmelz,
eine Harmonie des Tons zu erreichen, die mit denen der Oelmalerei erfolgreich
wetteifern.

Was die englischen Maler ferner vor den Künstlern anderer Nationen
auszeichnet, ist die Noblesse ihrer Auffassung. Man sieht es ihren Bildern
an, daß sie sich in der Elite ihrer Gesellschaft bewegen, daß sich ihnen im
steten Verkehr mit den Besten ihres Landes immer neue Stoffgebiete, immer
neue Perspektiven eröffnen, daß sie auf das innigste mit der jeweilig herrschenden,
geistigen und literarischen Strömung vertraut sind. Ihr Stoffgebiet ist unbe¬
grenzt wie das Leben. Aber uicht zufrieden damit, suchen sie in ihren Schöpf¬
ungen alte Kulturen wieder zu beleben, deren Reste ihre Landsleute aus dem
Schlamme des Nil, aus dem Sande der Enphratländer, aus den Wüsten
Palästinas an das Tageslicht fördern.

Die Entwicklung der modernen englischen Kunst ist mit der der modernen
Romanliteratur parallel gelaufen. Die neuere Rviuaulitenitur England's hat
bekanntlich der Frau einen hervorragenden Platz angewiesen, einen Platz, den
sie Dank der ihr eigenen Charakterstärke, welche die englische Erziehung her¬
auszubilden pflegt, auch beanspruchen darf und zu behaupten weiß. Die
englischen Romane sind in Deutschland so populär geworden, daß es
keines weiteren Wortes zu ihrer Charakteristik bedarf. Das Geheimniß ihres
Erfolges liegt darin, daß sie ein, wenn auch nüchternes, so doch getreues und
lebendiges Abbild der Zeit sind, in der sie geschrieben wurden. Der deutsche
Romanschriftsteller lebt hingegen in einer selbst erschaffenen Idealwelt, in welcher
nur wenige mit ihm zu Hausen sich entschließen können, oder er spinnt sich
besten Falles in die verschollene Philistergesellschaft ein, die vor einem Menschen¬
alter unsere vielfältigen Vaterländer repräsentirte. Trotzdem wird man nicht
müde, die englischen Romane zu verspotten: man will von den ewigen Back¬
fischen, von den in der Welt hernmgestoßeneu Erzieherinnen und Gesellschafts¬
damen, von den reichen Erbinnen, die einsam, halb versteinert durchs Leben
wandern, bis der Prometheus kommt, der das Feuer bringt, nichts mehr wissen.
Aber man betrachte nnr darauf hin die Bilder der englischen Genremaler,
man sehe nur, wie sich die Romcmliteratnr in der Kunst spiegelt oder, richtiger
gesagt, wie die Kunst gleich der Literatur im Leben wurzelnd, den ergänzenden
und erläuternden Kommentar zu der letzteren bietet. Aus allen diesen Bildern
grüßt uns ein frisches, gesundes Leben. Süße Mädchengestalten von engelhafter
Schönheit blicken uns mit großen, leuchtenden Augen an, die so gescheidt drein¬
schauen, als wollten sie die unergründlichsten Welträthsel lösen. Die rosigen
Wangen strotzen von Gesundheit und Jugendfrische, ein Bischen Schwermuth
hockt tief unten in den Augensternen, aber die reizend geschwungenen Lippen


wie der stärksten Effekte gleich fähig ist. Und daneben weiß sie einen Schmelz,
eine Harmonie des Tons zu erreichen, die mit denen der Oelmalerei erfolgreich
wetteifern.

Was die englischen Maler ferner vor den Künstlern anderer Nationen
auszeichnet, ist die Noblesse ihrer Auffassung. Man sieht es ihren Bildern
an, daß sie sich in der Elite ihrer Gesellschaft bewegen, daß sich ihnen im
steten Verkehr mit den Besten ihres Landes immer neue Stoffgebiete, immer
neue Perspektiven eröffnen, daß sie auf das innigste mit der jeweilig herrschenden,
geistigen und literarischen Strömung vertraut sind. Ihr Stoffgebiet ist unbe¬
grenzt wie das Leben. Aber uicht zufrieden damit, suchen sie in ihren Schöpf¬
ungen alte Kulturen wieder zu beleben, deren Reste ihre Landsleute aus dem
Schlamme des Nil, aus dem Sande der Enphratländer, aus den Wüsten
Palästinas an das Tageslicht fördern.

Die Entwicklung der modernen englischen Kunst ist mit der der modernen
Romanliteratur parallel gelaufen. Die neuere Rviuaulitenitur England's hat
bekanntlich der Frau einen hervorragenden Platz angewiesen, einen Platz, den
sie Dank der ihr eigenen Charakterstärke, welche die englische Erziehung her¬
auszubilden pflegt, auch beanspruchen darf und zu behaupten weiß. Die
englischen Romane sind in Deutschland so populär geworden, daß es
keines weiteren Wortes zu ihrer Charakteristik bedarf. Das Geheimniß ihres
Erfolges liegt darin, daß sie ein, wenn auch nüchternes, so doch getreues und
lebendiges Abbild der Zeit sind, in der sie geschrieben wurden. Der deutsche
Romanschriftsteller lebt hingegen in einer selbst erschaffenen Idealwelt, in welcher
nur wenige mit ihm zu Hausen sich entschließen können, oder er spinnt sich
besten Falles in die verschollene Philistergesellschaft ein, die vor einem Menschen¬
alter unsere vielfältigen Vaterländer repräsentirte. Trotzdem wird man nicht
müde, die englischen Romane zu verspotten: man will von den ewigen Back¬
fischen, von den in der Welt hernmgestoßeneu Erzieherinnen und Gesellschafts¬
damen, von den reichen Erbinnen, die einsam, halb versteinert durchs Leben
wandern, bis der Prometheus kommt, der das Feuer bringt, nichts mehr wissen.
Aber man betrachte nnr darauf hin die Bilder der englischen Genremaler,
man sehe nur, wie sich die Romcmliteratnr in der Kunst spiegelt oder, richtiger
gesagt, wie die Kunst gleich der Literatur im Leben wurzelnd, den ergänzenden
und erläuternden Kommentar zu der letzteren bietet. Aus allen diesen Bildern
grüßt uns ein frisches, gesundes Leben. Süße Mädchengestalten von engelhafter
Schönheit blicken uns mit großen, leuchtenden Augen an, die so gescheidt drein¬
schauen, als wollten sie die unergründlichsten Welträthsel lösen. Die rosigen
Wangen strotzen von Gesundheit und Jugendfrische, ein Bischen Schwermuth
hockt tief unten in den Augensternen, aber die reizend geschwungenen Lippen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/118>, abgerufen am 03.07.2024.