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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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gebührt Livingstone und Stanley das Verdienst, daß sie am 29. Nov. 1871
den Einfluß dieses Sees in dein in drei starken Strömungen einmündenden
Lnsige' oder Rusizi entdeckten.

Der Gedanke, der Livingstone's letzte Jahre beschäftigte, war der, des
"großen Stromes", den er im Seegebiet des Tanganika verfolgte. Auch er
glaubte darin den Urquell des Nils zu entdecken. Seine nngeläuterten missi¬
onärischen Velleitäten gaukelten ihm vor, daß er den Faden "der legenden¬
haften Erzählungen von Moses, der nach Unter-Aethiopien mit seiner Pflege¬
mutter Merr gezogen sei und dort eine Stadt gegründet habe, die er ihr zu
Ehren "Meroe" genannt", finden werde. Hätte er nur das einzige Buch von
Duncker's Geschichte des Alterthums vor sich gehabt, er wäre sofort klar dar¬
über gewesen, daß das Meroe, das er im See Mweru oder Moero vor sich
glaubte, viele Meilen weiter nordöstlich zu suchen sei. Livingstone selbst
wäre dann der untrüglichen Flnßspur gefolgt und hätte mit Naturnoth¬
wendigkeit alle Gewässer, die hier vor seinen Augen zusammentrafen, dem
Wassergebiet des großen Congo zugewiesen, dessen Lauf er ans einer so großen
Strecke gefolgt ist, daß Stanley den oberen Lauf des Flusses vom 15. bis 25
Längengrad und etwa vom 2. Grad nördl. bis zum 5. Grad südl. Breite
geradezu Livingstone-Fluß nennt. Aber Livingstone überließ es dem Lieutenant
Cameron, der im August 1874 auf Livingstone's Route nach Kusongo's Ge¬
biet in Manyema weiter gezogen war, und dann etwa 35 Meilen in einem
Canoe durchfahren hatte bis Nyangwe in Norden, wo Livingstone auch schon
gewesen, die kühne Hypothese auszusprechen: "Dieser große Strom muß einer
der Hauptzuflüsse des Congo sein." Auch Friedr. v. Hellwald spricht diesen
erst durch Stanley's neueste Reise außer Zweifel gestellten Gedanken schon
1875 in den Grenzboten aus.*)

Diese Fülle von Räthseln zu lösen war die Aufgabe Stanley's.





*) Grenzboten 1375. III. S. 170 fg. 201 fg. (206 a. E.)

gebührt Livingstone und Stanley das Verdienst, daß sie am 29. Nov. 1871
den Einfluß dieses Sees in dein in drei starken Strömungen einmündenden
Lnsige' oder Rusizi entdeckten.

Der Gedanke, der Livingstone's letzte Jahre beschäftigte, war der, des
„großen Stromes", den er im Seegebiet des Tanganika verfolgte. Auch er
glaubte darin den Urquell des Nils zu entdecken. Seine nngeläuterten missi¬
onärischen Velleitäten gaukelten ihm vor, daß er den Faden „der legenden¬
haften Erzählungen von Moses, der nach Unter-Aethiopien mit seiner Pflege¬
mutter Merr gezogen sei und dort eine Stadt gegründet habe, die er ihr zu
Ehren „Meroe" genannt", finden werde. Hätte er nur das einzige Buch von
Duncker's Geschichte des Alterthums vor sich gehabt, er wäre sofort klar dar¬
über gewesen, daß das Meroe, das er im See Mweru oder Moero vor sich
glaubte, viele Meilen weiter nordöstlich zu suchen sei. Livingstone selbst
wäre dann der untrüglichen Flnßspur gefolgt und hätte mit Naturnoth¬
wendigkeit alle Gewässer, die hier vor seinen Augen zusammentrafen, dem
Wassergebiet des großen Congo zugewiesen, dessen Lauf er ans einer so großen
Strecke gefolgt ist, daß Stanley den oberen Lauf des Flusses vom 15. bis 25
Längengrad und etwa vom 2. Grad nördl. bis zum 5. Grad südl. Breite
geradezu Livingstone-Fluß nennt. Aber Livingstone überließ es dem Lieutenant
Cameron, der im August 1874 auf Livingstone's Route nach Kusongo's Ge¬
biet in Manyema weiter gezogen war, und dann etwa 35 Meilen in einem
Canoe durchfahren hatte bis Nyangwe in Norden, wo Livingstone auch schon
gewesen, die kühne Hypothese auszusprechen: „Dieser große Strom muß einer
der Hauptzuflüsse des Congo sein." Auch Friedr. v. Hellwald spricht diesen
erst durch Stanley's neueste Reise außer Zweifel gestellten Gedanken schon
1875 in den Grenzboten aus.*)

Diese Fülle von Räthseln zu lösen war die Aufgabe Stanley's.





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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/111>, abgerufen am 29.06.2024.