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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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bewegte Handlung -- beide Bilder können nicht einmal ans den Namen eines
Historienbildes, sondern höchstens auf den eines Repräsentationsstückes Anspruch
erheben, sondern die glänzende Technik, das leuchtende Kolorit war es,
das alle bestach und alle zur Nachahmung anfeuerte. Die Belgier, im stolzen
Gefühl einer eben erst erkämpften Unabhängigkeit, griffen in die glorreichen Zeiten
ihres ersten Freiheitskampfes gegen die spanische Tyrannei zurück und spiegelten
die stolze Gegenwart in dem Ruhm der Vergangenheit. Das neu errungene
Vaterlandsgefühl schuf ihnen auch eine neue vaterländische Kunst und verlieh
ihnen jene glühende, farbenprangende Beredsamkeit, welche ganz Europa ent¬
zückte. Die Farbenfrische und -fröhlichkeit eines Veronese vereinigte sich hier
mit der schwärmerischen Vornehmheit, dem geistigen Adel eines van Dyk.
Gallait steht ungleich höher als de Biöfve; nichtsdestoweniger fand das Ge¬
mälde des letzteren in Berlin ungleich größeren Beifall als das des ersteren, viel¬
leicht weil de Biöfve fester an die Traditionen der heimischen Kunst, an Rubens
und van Dyk hielt als Gallait, der, in höherem Grade Eklektiker, sich gegen
französischen Einfluß, wie den Delaroche's, nicht verschloß.

Wie groß die Bewegung gewesen ist, welche diese Bilder in Berlin her¬
vorriefen, läßt sich selbst aus den nüchternen Aufzeichnungen Gottfried Schadows
schließen, der doch als Vater des Düsseldorfer Akademiedirektors gegründete
Ursache hatte, den Erfolg der belgischen Bilder, die eine Zeit lang den Glanz
der neuen Düsseldorfer Historienmalerei verdunkelten, mit scheelen Augen an¬
zusehen. "Wer sie gesehen, sagt er, dem werden sie in der Erinnerung geblieben
sein; sie wurden von Jedermann mit Vergnügen und Bewunderung betrachtet
und schon wegen ihrer Ausdehnung und Größe angestaunt. Bei einigen Künst¬
lern brachten sie die Wirkung hervor, selbst das Beste unserer Landsleute ge¬
ring zu schätzen; sie fühlten so sehr den Drang der Mittheilung, daß sie es in
Druck ausgehen ließen. Gestehen muß man, daß gewisse Wirkungen, die nnter
der Benennung "Effekt" begriffen werden, auf diesen Bildern in einem so
hohen Grade hervortraten, wie uns bisher noch nicht vorgekommen war.
Dazu die Harmonie der Farben und die Herzhaftigkeit der Pinselführung, wo¬
durch es begreiflich wird, wie bei Künstlern von lebhaftem Temperamente eine
solche Aufregung entstehen konnte. Kunstkenner, die von Belgien kommen,
sagen aus: man halte dort den Maler Gallait für ihren ersten Meister in der
Malerei. Von der Akademie wurden beide Bilder in dem königlichen Museum
in der Rotunde aufgestellt, wo sie im Schatten standen und dennoch volle
Wirkung hervorbrachten." Heute, nachdem die moderne Malerei immer ent¬
schiedener in der von den Belgiern eingeschlagenen, koloristischen Richtung vor¬
gegangen ist, vermögen wir den Enthusiasmus, welchen die belgischen Gemälde
vor dreißig Jahren in Berlin erregt, kaum zu begreifen, zumal besonders de


bewegte Handlung — beide Bilder können nicht einmal ans den Namen eines
Historienbildes, sondern höchstens auf den eines Repräsentationsstückes Anspruch
erheben, sondern die glänzende Technik, das leuchtende Kolorit war es,
das alle bestach und alle zur Nachahmung anfeuerte. Die Belgier, im stolzen
Gefühl einer eben erst erkämpften Unabhängigkeit, griffen in die glorreichen Zeiten
ihres ersten Freiheitskampfes gegen die spanische Tyrannei zurück und spiegelten
die stolze Gegenwart in dem Ruhm der Vergangenheit. Das neu errungene
Vaterlandsgefühl schuf ihnen auch eine neue vaterländische Kunst und verlieh
ihnen jene glühende, farbenprangende Beredsamkeit, welche ganz Europa ent¬
zückte. Die Farbenfrische und -fröhlichkeit eines Veronese vereinigte sich hier
mit der schwärmerischen Vornehmheit, dem geistigen Adel eines van Dyk.
Gallait steht ungleich höher als de Biöfve; nichtsdestoweniger fand das Ge¬
mälde des letzteren in Berlin ungleich größeren Beifall als das des ersteren, viel¬
leicht weil de Biöfve fester an die Traditionen der heimischen Kunst, an Rubens
und van Dyk hielt als Gallait, der, in höherem Grade Eklektiker, sich gegen
französischen Einfluß, wie den Delaroche's, nicht verschloß.

Wie groß die Bewegung gewesen ist, welche diese Bilder in Berlin her¬
vorriefen, läßt sich selbst aus den nüchternen Aufzeichnungen Gottfried Schadows
schließen, der doch als Vater des Düsseldorfer Akademiedirektors gegründete
Ursache hatte, den Erfolg der belgischen Bilder, die eine Zeit lang den Glanz
der neuen Düsseldorfer Historienmalerei verdunkelten, mit scheelen Augen an¬
zusehen. „Wer sie gesehen, sagt er, dem werden sie in der Erinnerung geblieben
sein; sie wurden von Jedermann mit Vergnügen und Bewunderung betrachtet
und schon wegen ihrer Ausdehnung und Größe angestaunt. Bei einigen Künst¬
lern brachten sie die Wirkung hervor, selbst das Beste unserer Landsleute ge¬
ring zu schätzen; sie fühlten so sehr den Drang der Mittheilung, daß sie es in
Druck ausgehen ließen. Gestehen muß man, daß gewisse Wirkungen, die nnter
der Benennung „Effekt" begriffen werden, auf diesen Bildern in einem so
hohen Grade hervortraten, wie uns bisher noch nicht vorgekommen war.
Dazu die Harmonie der Farben und die Herzhaftigkeit der Pinselführung, wo¬
durch es begreiflich wird, wie bei Künstlern von lebhaftem Temperamente eine
solche Aufregung entstehen konnte. Kunstkenner, die von Belgien kommen,
sagen aus: man halte dort den Maler Gallait für ihren ersten Meister in der
Malerei. Von der Akademie wurden beide Bilder in dem königlichen Museum
in der Rotunde aufgestellt, wo sie im Schatten standen und dennoch volle
Wirkung hervorbrachten." Heute, nachdem die moderne Malerei immer ent¬
schiedener in der von den Belgiern eingeschlagenen, koloristischen Richtung vor¬
gegangen ist, vermögen wir den Enthusiasmus, welchen die belgischen Gemälde
vor dreißig Jahren in Berlin erregt, kaum zu begreifen, zumal besonders de


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/94>, abgerufen am 09.11.2024.