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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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und künstlerische Bearbeitung der Metalle, wobei sie das Leben gegenüber der
abstrakt idealistischen ägyptischen Manier in seiner bunten Mannigfaltigkeit in
durchaus realistischer Weise zum Ausdruck brachten.*)

Die ergiebigste Ausbeute wurde natürlich für die assyrisch-babylonische
Geschichte gemacht; nach dem Maße der Benutzung von selten Dunckers scheint
das neue Material in mehreren Partieen zu einer vollständigen Neukonstruk¬
tion derselben führen zu sollen. -- Für die alttestamentliche Schriftforschnng
kommen in dieser Richtung namentlich die Epochen von Salomo abwärts
bis zur Regierung des Persers Koresch in Frage; und wenn man auch sagen
kann, daß der allgemeine Hintergrund, auf dem sich die einzelnen biblischen
Mittheilungen abheben, durch diese neuen Funde im Großen und Ganzen be¬
stätigt wird, und die biblischen Angaben, namentlich anderen zweiten Quellen
gegenüber, sich durch ihre Korrektheit auszeichnen, so haben sich doch auch,
insbesondere in den Daten, den Dynastieangaben und den Namen einige Ab¬
weichungen gezeigt, so daß der Enthusiasmus gewisser Kreise über eine soge¬
nannte "Bestätigung" des biblischen Berichtes durch die assyrischen Monumente
doch nur sehr bedingungsweise Berechtigung hat.

Es findet sich aber unter dem großartigen geschichtlichen Materials auch
eine Bezeugung der Geschichtsschreibung als solcher. Die Könige geben uns
an ihren Palastwänden ausführliche Berichterstattung ihrer eigenen Thaten mit
recht reichlicher Schminke oder wählen ältere Zeiten zum Gegenstande einer
weniger geschminkten Darstellung. Namentlich pflegen sie in zahlreichen Listen
die Chronologie, und eine große Anzahl grammatischer Fragmente, welche
Studien über Schrift und Sprache enthalten**), beweisen, daß die Philologie
keineswegs eine moderne Wissenschaft ist. -- Ja, auch eine schöne Literatur ist
vorhanden. Eine Reihe von Liedern ist uns überkommen, welche nach
Schrader durch die Innigkeit des Gefühls und die Tiefe der Religiosität all¬
gemeineres Interesse verdienen; ihre strophische Anlage (in Strophe und Ge-
geustrophe, oder Strophe, Antistrophe und Epodos) ist durchaus diejenige der
hebräischen Psalmen. Sie ermüden aber, obgleich "ihnen an manchen Stellen
hohe Poesie nicht abzusprechen ist, durch fortwährende Wiederholungen von
Namen und Anrufungen einer Anzahl von bösen und guten Geistern. Den¬
noch wurden durch diese heiligen und herrlichen Hymnen ihrer Kindheit die
Assyrer zur höchsten Andacht erhoben, weil ihnen, wie dem Menschen über-




*) Riesen, a. ni. O,, x-^x. 106.
Diese für das Verständnis der assyrischen Schrift ungemein wichtigen Syllabarien
handeln von Nevo, dein Gotte der literarischen Gelehrsamkeit und Erfinder der Schrift, und
geben Anleitung zur Lösung der räthselhaften Schriftgehcimnisse dieses Gottes (cet. Welt¬
haufen, Rhein. Mus. für Phil., N. F., 31. Bd., x^. 164 und Riesen, ni, a. O., r>-^. 102).

und künstlerische Bearbeitung der Metalle, wobei sie das Leben gegenüber der
abstrakt idealistischen ägyptischen Manier in seiner bunten Mannigfaltigkeit in
durchaus realistischer Weise zum Ausdruck brachten.*)

Die ergiebigste Ausbeute wurde natürlich für die assyrisch-babylonische
Geschichte gemacht; nach dem Maße der Benutzung von selten Dunckers scheint
das neue Material in mehreren Partieen zu einer vollständigen Neukonstruk¬
tion derselben führen zu sollen. — Für die alttestamentliche Schriftforschnng
kommen in dieser Richtung namentlich die Epochen von Salomo abwärts
bis zur Regierung des Persers Koresch in Frage; und wenn man auch sagen
kann, daß der allgemeine Hintergrund, auf dem sich die einzelnen biblischen
Mittheilungen abheben, durch diese neuen Funde im Großen und Ganzen be¬
stätigt wird, und die biblischen Angaben, namentlich anderen zweiten Quellen
gegenüber, sich durch ihre Korrektheit auszeichnen, so haben sich doch auch,
insbesondere in den Daten, den Dynastieangaben und den Namen einige Ab¬
weichungen gezeigt, so daß der Enthusiasmus gewisser Kreise über eine soge¬
nannte „Bestätigung" des biblischen Berichtes durch die assyrischen Monumente
doch nur sehr bedingungsweise Berechtigung hat.

Es findet sich aber unter dem großartigen geschichtlichen Materials auch
eine Bezeugung der Geschichtsschreibung als solcher. Die Könige geben uns
an ihren Palastwänden ausführliche Berichterstattung ihrer eigenen Thaten mit
recht reichlicher Schminke oder wählen ältere Zeiten zum Gegenstande einer
weniger geschminkten Darstellung. Namentlich pflegen sie in zahlreichen Listen
die Chronologie, und eine große Anzahl grammatischer Fragmente, welche
Studien über Schrift und Sprache enthalten**), beweisen, daß die Philologie
keineswegs eine moderne Wissenschaft ist. — Ja, auch eine schöne Literatur ist
vorhanden. Eine Reihe von Liedern ist uns überkommen, welche nach
Schrader durch die Innigkeit des Gefühls und die Tiefe der Religiosität all¬
gemeineres Interesse verdienen; ihre strophische Anlage (in Strophe und Ge-
geustrophe, oder Strophe, Antistrophe und Epodos) ist durchaus diejenige der
hebräischen Psalmen. Sie ermüden aber, obgleich „ihnen an manchen Stellen
hohe Poesie nicht abzusprechen ist, durch fortwährende Wiederholungen von
Namen und Anrufungen einer Anzahl von bösen und guten Geistern. Den¬
noch wurden durch diese heiligen und herrlichen Hymnen ihrer Kindheit die
Assyrer zur höchsten Andacht erhoben, weil ihnen, wie dem Menschen über-




*) Riesen, a. ni. O,, x-^x. 106.
Diese für das Verständnis der assyrischen Schrift ungemein wichtigen Syllabarien
handeln von Nevo, dein Gotte der literarischen Gelehrsamkeit und Erfinder der Schrift, und
geben Anleitung zur Lösung der räthselhaften Schriftgehcimnisse dieses Gottes (cet. Welt¬
haufen, Rhein. Mus. für Phil., N. F., 31. Bd., x^. 164 und Riesen, ni, a. O., r>-^. 102).
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/57>, abgerufen am 29.12.2024.