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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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heilen in dem alten Testamente und seinen apokryphischen Erzeugnissen ge¬
statten jetzt eine ziemlich sichere Beziehung auf die wirklichen Momente des
Götterglaubens, wie derselbe seinem wesentlichen Umfange nach dnrch die
nationalen Geschichtsquellen und Poesien bezeugt vorliegt. -- Die Assyriologen
sehen sich durch die vorschreitende Vertrautheit mit dem ihnen vorliegenden Jn-
schriftenmaterial immer mehr in den Stand gesetzt, auf die früher immerhin
recht undurchsichtigen Beziehungen zwischen Religion und Astrologie Licht
fallen zu lassen und die wesentlichen Momente des Gvtterglcinbens in seinem
religiösen Kerne mit zunehmender Klarheit zu bestimmen. Auch das Ver¬
hältnis des assyrischen zum babylonischen und dasjenige dieser beiden Völker
zum urchaldäischen Pantheon tritt in immer wachsender Deutlichkeit hervor.
An der Spitze der babylonischen Götterliste stand .71 (Babel ----- Babiln -----
Pforte des ^1), während die Assyrer ihren Obergott den "guten Gott" nannten,
Usur, der schließlich den babylonischen ^1--M vollständig verdrängte. Auf den
ältesten babylonischen Inschriften genießen ferner der Mondgott Sir, später
Merodach und Nebo vorzügliches Ansehen (Nebukadnezar z. B. richtet sein
Gebet und Gelübde auf seinen Inschriften fast ausschließlich an die beiden
letzters; die Assyrer dagegen wenden sich in ihren religiösen Bedürfnissen
neben Usur an Adar und Istar, und die babylonische" Merodach und Nebo
kehren erst unter den Inschriften des späten Sargon wieder, "wohl in unver¬
kennbarer Rückwirkung des neu unterworfenen Babylonier mit seinem Kult." --
Es ist ersichtlich, wie nahe sich die kulturgeschichtlichen mit diesen religiösen
Beziehungen berühren; für jene so wie für die sozialen Erkenntnisse sind die
Keilschriften von der höchsten Wichtigkeit geworden. Wie die übrigen asiatischen
Weltmonarchien war auch die assyrische eine absolute Despotie. Das ganze
Staatswesen war straff organisirt, und eine Anzahl Inschriften, welche Schen¬
kungsurkunden enthalten, geben interessante Aufschlüsse über den streng legalen
Verkehr der Unterthanen zu einander.**) Auch die militärische Organisation,
welcher die Assyrer in erster Linie ihre großen politischen Erfolge verdanken,
findet sich auf den Inschriften bezeugt. Hand in Hand aber mit diesem wohl-
organisirten Staatsthum ging eine nicht zu unterschätzende, in Eunuchenhänden
liegende Pflege von Kunst und Wissenschaft, so daß jetzt als ausgemacht zu
gelten scheint, daß die Griechen, auf deren Schultern wir moderne Kultur¬
menschen stehen, nicht die Aegypter, sondern die Assyrer zu ihren Lehrmeistern
gehabt. ***) Dies findet namentlich statt in Bezug auf ihre Architektur, Plastik





") Riesen, Handwörterbuch d. KM. Werth., Heft 2, z^g. Jip.
"5) In dieser Beziehung ist besonders zu vergleichen 6. Santi (und lZ, L-^ve,),
I-Iistor^ ot L^Joula, 1877, xsx. 29--31.
^) Lübke, Geschichte der Plastik, Leipzig, x^- 78.

heilen in dem alten Testamente und seinen apokryphischen Erzeugnissen ge¬
statten jetzt eine ziemlich sichere Beziehung auf die wirklichen Momente des
Götterglaubens, wie derselbe seinem wesentlichen Umfange nach dnrch die
nationalen Geschichtsquellen und Poesien bezeugt vorliegt. — Die Assyriologen
sehen sich durch die vorschreitende Vertrautheit mit dem ihnen vorliegenden Jn-
schriftenmaterial immer mehr in den Stand gesetzt, auf die früher immerhin
recht undurchsichtigen Beziehungen zwischen Religion und Astrologie Licht
fallen zu lassen und die wesentlichen Momente des Gvtterglcinbens in seinem
religiösen Kerne mit zunehmender Klarheit zu bestimmen. Auch das Ver¬
hältnis des assyrischen zum babylonischen und dasjenige dieser beiden Völker
zum urchaldäischen Pantheon tritt in immer wachsender Deutlichkeit hervor.
An der Spitze der babylonischen Götterliste stand .71 (Babel ----- Babiln -----
Pforte des ^1), während die Assyrer ihren Obergott den „guten Gott" nannten,
Usur, der schließlich den babylonischen ^1—M vollständig verdrängte. Auf den
ältesten babylonischen Inschriften genießen ferner der Mondgott Sir, später
Merodach und Nebo vorzügliches Ansehen (Nebukadnezar z. B. richtet sein
Gebet und Gelübde auf seinen Inschriften fast ausschließlich an die beiden
letzters; die Assyrer dagegen wenden sich in ihren religiösen Bedürfnissen
neben Usur an Adar und Istar, und die babylonische» Merodach und Nebo
kehren erst unter den Inschriften des späten Sargon wieder, „wohl in unver¬
kennbarer Rückwirkung des neu unterworfenen Babylonier mit seinem Kult." —
Es ist ersichtlich, wie nahe sich die kulturgeschichtlichen mit diesen religiösen
Beziehungen berühren; für jene so wie für die sozialen Erkenntnisse sind die
Keilschriften von der höchsten Wichtigkeit geworden. Wie die übrigen asiatischen
Weltmonarchien war auch die assyrische eine absolute Despotie. Das ganze
Staatswesen war straff organisirt, und eine Anzahl Inschriften, welche Schen¬
kungsurkunden enthalten, geben interessante Aufschlüsse über den streng legalen
Verkehr der Unterthanen zu einander.**) Auch die militärische Organisation,
welcher die Assyrer in erster Linie ihre großen politischen Erfolge verdanken,
findet sich auf den Inschriften bezeugt. Hand in Hand aber mit diesem wohl-
organisirten Staatsthum ging eine nicht zu unterschätzende, in Eunuchenhänden
liegende Pflege von Kunst und Wissenschaft, so daß jetzt als ausgemacht zu
gelten scheint, daß die Griechen, auf deren Schultern wir moderne Kultur¬
menschen stehen, nicht die Aegypter, sondern die Assyrer zu ihren Lehrmeistern
gehabt. ***) Dies findet namentlich statt in Bezug auf ihre Architektur, Plastik





») Riesen, Handwörterbuch d. KM. Werth., Heft 2, z^g. Jip.
»5) In dieser Beziehung ist besonders zu vergleichen 6. Santi (und lZ, L-^ve,),
I-Iistor^ ot L^Joula, 1877, xsx. 29—31.
^) Lübke, Geschichte der Plastik, Leipzig, x^- 78.
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[0056] heilen in dem alten Testamente und seinen apokryphischen Erzeugnissen ge¬ statten jetzt eine ziemlich sichere Beziehung auf die wirklichen Momente des Götterglaubens, wie derselbe seinem wesentlichen Umfange nach dnrch die nationalen Geschichtsquellen und Poesien bezeugt vorliegt. — Die Assyriologen sehen sich durch die vorschreitende Vertrautheit mit dem ihnen vorliegenden Jn- schriftenmaterial immer mehr in den Stand gesetzt, auf die früher immerhin recht undurchsichtigen Beziehungen zwischen Religion und Astrologie Licht fallen zu lassen und die wesentlichen Momente des Gvtterglcinbens in seinem religiösen Kerne mit zunehmender Klarheit zu bestimmen. Auch das Ver¬ hältnis des assyrischen zum babylonischen und dasjenige dieser beiden Völker zum urchaldäischen Pantheon tritt in immer wachsender Deutlichkeit hervor. An der Spitze der babylonischen Götterliste stand .71 (Babel ----- Babiln ----- Pforte des ^1), während die Assyrer ihren Obergott den „guten Gott" nannten, Usur, der schließlich den babylonischen ^1—M vollständig verdrängte. Auf den ältesten babylonischen Inschriften genießen ferner der Mondgott Sir, später Merodach und Nebo vorzügliches Ansehen (Nebukadnezar z. B. richtet sein Gebet und Gelübde auf seinen Inschriften fast ausschließlich an die beiden letzters; die Assyrer dagegen wenden sich in ihren religiösen Bedürfnissen neben Usur an Adar und Istar, und die babylonische» Merodach und Nebo kehren erst unter den Inschriften des späten Sargon wieder, „wohl in unver¬ kennbarer Rückwirkung des neu unterworfenen Babylonier mit seinem Kult." — Es ist ersichtlich, wie nahe sich die kulturgeschichtlichen mit diesen religiösen Beziehungen berühren; für jene so wie für die sozialen Erkenntnisse sind die Keilschriften von der höchsten Wichtigkeit geworden. Wie die übrigen asiatischen Weltmonarchien war auch die assyrische eine absolute Despotie. Das ganze Staatswesen war straff organisirt, und eine Anzahl Inschriften, welche Schen¬ kungsurkunden enthalten, geben interessante Aufschlüsse über den streng legalen Verkehr der Unterthanen zu einander.**) Auch die militärische Organisation, welcher die Assyrer in erster Linie ihre großen politischen Erfolge verdanken, findet sich auf den Inschriften bezeugt. Hand in Hand aber mit diesem wohl- organisirten Staatsthum ging eine nicht zu unterschätzende, in Eunuchenhänden liegende Pflege von Kunst und Wissenschaft, so daß jetzt als ausgemacht zu gelten scheint, daß die Griechen, auf deren Schultern wir moderne Kultur¬ menschen stehen, nicht die Aegypter, sondern die Assyrer zu ihren Lehrmeistern gehabt. ***) Dies findet namentlich statt in Bezug auf ihre Architektur, Plastik ») Riesen, Handwörterbuch d. KM. Werth., Heft 2, z^g. Jip. »5) In dieser Beziehung ist besonders zu vergleichen 6. Santi (und lZ, L-^ve,), I-Iistor^ ot L^Joula, 1877, xsx. 29—31. ^) Lübke, Geschichte der Plastik, Leipzig, x^- 78.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/56>, abgerufen am 01.09.2024.