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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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Den Erlenkönig mit Kron und Schweif? --
(Stimme des Baders, ruhig)
Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif. --
(flüsternde Stimme des Erlkönigs)
"Du liebes Kind, komm, geh mit mir!
Gar schöne Spiele spiel ich mit dir;
Manch bunte Blumen sind an dem Strand;
Meine Mutter hat manch gülden Gewand," --
(Kind unruhiger)
Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht,
Was Erlenkönig mir leise verspricht? --
(Vater, beruhigend)
Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind!
In dürren Blättern säuselt der Wind. --
(Erlkönig flüsternd)
"Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn?
Meine Töchter sollen dich warten schön;
Meine Töchter führen den nächtlichen Reihn
Und wiegen und tanzen und singen dich ein." --
(Kind, hastig)
Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort
Erlkönigs Töchter am düstern Ort? --
(Vater, unruhig)
Mein Sohn, mein Sohn, ich seh es genau;
Es scheinen die alten Weiden so grau. --
(Erlkönig, flüsternd, aber heftig)
"Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt;
Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt." --
(Kind, heftig, in höchster Angst)
Mein Vater, mein Bater, jetzt faßt er mich an!
(ersterbend)
Erlkönig hat mir ein Leids gethan. --
(große Pause, dumpf, eintönig bis zum Schluß)
Dem Vater grauscts, er reitet geschwind,
Er hält in den Armen das ächzende Kind,
Erreicht den Hof mit Müh und Noth;
In seinen Armen das Kind war todt.

Von dem unerschöpflichen Reichthum, der dem Herausgeber in solchen Vortrags-
bezeichnungen zu Gebote steht, gewährt diese Probe freilich nur eine schwache
Vorstellung. Man braucht nur flüchtig in dem Buche zu blättern, und man
wird staunen über die Menge von Registern, die auf der Vortragsorgel des
Herrn Armknecht gezogen werden tonnen. Rasch, langsam, laut, leise, rufend,
flüsternd, befehlend, bittend, rauh, zart, heftig, hastig, abgerissen, eintönig, schläfrig,
dumpf, schneidig, knapp, tieftonig, ruhig, mit Macht, kräftig, schalkhaft, kosend,
tölpisch, düster, geheimnißvoll, schneidig, traurig, freudig, heimlich, malend,
steigernd, wachsend, sinkend, schwellend, hinsterbend, verklagend -- das ist nur
eine kleine Auswahl aus den Farbennuancen, die dieser Sprachkünstler auf
seiner Palette hat.


Den Erlenkönig mit Kron und Schweif? —
(Stimme des Baders, ruhig)
Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif. —
(flüsternde Stimme des Erlkönigs)
„Du liebes Kind, komm, geh mit mir!
Gar schöne Spiele spiel ich mit dir;
Manch bunte Blumen sind an dem Strand;
Meine Mutter hat manch gülden Gewand," —
(Kind unruhiger)
Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht,
Was Erlenkönig mir leise verspricht? —
(Vater, beruhigend)
Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind!
In dürren Blättern säuselt der Wind. —
(Erlkönig flüsternd)
„Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn?
Meine Töchter sollen dich warten schön;
Meine Töchter führen den nächtlichen Reihn
Und wiegen und tanzen und singen dich ein." —
(Kind, hastig)
Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort
Erlkönigs Töchter am düstern Ort? —
(Vater, unruhig)
Mein Sohn, mein Sohn, ich seh es genau;
Es scheinen die alten Weiden so grau. —
(Erlkönig, flüsternd, aber heftig)
„Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt;
Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt." —
(Kind, heftig, in höchster Angst)
Mein Vater, mein Bater, jetzt faßt er mich an!
(ersterbend)
Erlkönig hat mir ein Leids gethan. —
(große Pause, dumpf, eintönig bis zum Schluß)
Dem Vater grauscts, er reitet geschwind,
Er hält in den Armen das ächzende Kind,
Erreicht den Hof mit Müh und Noth;
In seinen Armen das Kind war todt.

Von dem unerschöpflichen Reichthum, der dem Herausgeber in solchen Vortrags-
bezeichnungen zu Gebote steht, gewährt diese Probe freilich nur eine schwache
Vorstellung. Man braucht nur flüchtig in dem Buche zu blättern, und man
wird staunen über die Menge von Registern, die auf der Vortragsorgel des
Herrn Armknecht gezogen werden tonnen. Rasch, langsam, laut, leise, rufend,
flüsternd, befehlend, bittend, rauh, zart, heftig, hastig, abgerissen, eintönig, schläfrig,
dumpf, schneidig, knapp, tieftonig, ruhig, mit Macht, kräftig, schalkhaft, kosend,
tölpisch, düster, geheimnißvoll, schneidig, traurig, freudig, heimlich, malend,
steigernd, wachsend, sinkend, schwellend, hinsterbend, verklagend — das ist nur
eine kleine Auswahl aus den Farbennuancen, die dieser Sprachkünstler auf
seiner Palette hat.


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[0508] Den Erlenkönig mit Kron und Schweif? — (Stimme des Baders, ruhig) Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif. — (flüsternde Stimme des Erlkönigs) „Du liebes Kind, komm, geh mit mir! Gar schöne Spiele spiel ich mit dir; Manch bunte Blumen sind an dem Strand; Meine Mutter hat manch gülden Gewand," — (Kind unruhiger) Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht, Was Erlenkönig mir leise verspricht? — (Vater, beruhigend) Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind! In dürren Blättern säuselt der Wind. — (Erlkönig flüsternd) „Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn? Meine Töchter sollen dich warten schön; Meine Töchter führen den nächtlichen Reihn Und wiegen und tanzen und singen dich ein." — (Kind, hastig) Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort Erlkönigs Töchter am düstern Ort? — (Vater, unruhig) Mein Sohn, mein Sohn, ich seh es genau; Es scheinen die alten Weiden so grau. — (Erlkönig, flüsternd, aber heftig) „Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt; Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt." — (Kind, heftig, in höchster Angst) Mein Vater, mein Bater, jetzt faßt er mich an! (ersterbend) Erlkönig hat mir ein Leids gethan. — (große Pause, dumpf, eintönig bis zum Schluß) Dem Vater grauscts, er reitet geschwind, Er hält in den Armen das ächzende Kind, Erreicht den Hof mit Müh und Noth; In seinen Armen das Kind war todt. Von dem unerschöpflichen Reichthum, der dem Herausgeber in solchen Vortrags- bezeichnungen zu Gebote steht, gewährt diese Probe freilich nur eine schwache Vorstellung. Man braucht nur flüchtig in dem Buche zu blättern, und man wird staunen über die Menge von Registern, die auf der Vortragsorgel des Herrn Armknecht gezogen werden tonnen. Rasch, langsam, laut, leise, rufend, flüsternd, befehlend, bittend, rauh, zart, heftig, hastig, abgerissen, eintönig, schläfrig, dumpf, schneidig, knapp, tieftonig, ruhig, mit Macht, kräftig, schalkhaft, kosend, tölpisch, düster, geheimnißvoll, schneidig, traurig, freudig, heimlich, malend, steigernd, wachsend, sinkend, schwellend, hinsterbend, verklagend — das ist nur eine kleine Auswahl aus den Farbennuancen, die dieser Sprachkünstler auf seiner Palette hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/508>, abgerufen am 28.12.2024.