Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

gab er "Vermischte Schriften" heraus, darunter Lieder in der Art Gleim's,
die zu Gunsten einer heitern Lebensauffassung gegen den Trübsinn Protestiren.
Sie waren damals sehr beliebt, und eins: "Gestern, Brüder, könnt ihr's
glauben?" wird noch heute in jeder lustigen Studentengesellschaft gesungen.

"Zum Mädchen wünscht' ich mir -- und wollt' es, ha! recht lieben --
ein junges nettes tolles Ding, leicht zu erfreun, schwer zu betrüben, im Wuchse
schlank, im Gange flink, von Aug' ein Falk, von Micr' ein Schalk; das fleißig,
fleißig liest: weil alles was es liest, fein einzig Buch -- der Spiegel ist!
Das immer gaukelt, immer spricht, und spricht und spricht von tausend Sachen,
genug, es spricht mit Lachen, und kann sehr reizend lachen."

"Solch Mädchen wünscht' ich mir! -- Du Freund, magst deine Zeit nur
immerhin bei schöner Sittsamkeit, nicht ohne Seraphim'sche Thränen, bei Tugend
und Verstand vergähren."

Noch viel später erklärte er, er habe die Sprache nie so mißbraucht, eine
Schöne "göttlich" zu nennen. Uebrigens konnte er mitunter recht artig sein.

"Nachlässig hingestreckt, die Brust mit Flor bedeckt, der jedem Lüftchen
wich, das säuselnd thu durchstrich, ließ unter jenen Linden mein Glück mich
Laura finden. Sie schlief, und weit und breit schlug jede Blum' ihr Haupt
zur Erden, ans mißvergnügter Traurigkeit, von Laura uicht gesehn zu werden.
Sie schlief, und weit und breit erschallten keine Nachtigallen, aus weiser Furcht¬
samkeit, ihr minder zu gefallen als ihr der Schlaf gefiel, als ihr der Traum
gefiel, den sie vielleicht jetzt träumte, von dem, ich hoff' es, träumte, der stau¬
nend bei ihr stand, und viel zu viel empfand, um deutlich zu empfinden, wie¬
viel er da empfand. Ich ließ mich sanfte nieder, ich segnete und küßte sie, ich
segnete und küßte wieder; und schnell erwachte sie, schnell thaten sich die Augen
auf. Die Augen? -- nein, der Himmel that sich ans."

"Die Lieder", heißt es in der Vorrede, "enthalten nichts als Wein und
Liebe, nichts als Freude und Genuß; und ich wage es, ihnen vor den Augen
der ernsthaften Welt meinen Namen zu geben? Was wird man von mir
denken! -- Was man will. Man nenne sie jugendliche Aufwallungen einer
leichtsinnigen Moral oder poetische Nachbildungen niemals gefühlter Regungen;
man sage, ich habe meine Ausschweifungen darin verewigen wollen, oder man
sage, ich rühme mich darin solcher Ausschweifungen, zu welchen ich nicht ein¬
mal geschickt sei: alles wird mir einerlei sein. Genug, ich glaube, daß man
sich dieser Art von Gedichten so wenig als einer andern zu schämen hat."

Na ni er stimmte ihm bei; von Sulz er wurden beide als Wein- und
Liebesdichter scheel angesehn; er mußte das Herzeleid erleben, daß Ramler gar
an das Schachspiel die Poesie vergeudete! und tröstete sich nur am Studium
der heiligen Dichtungen Bodmers.


gab er „Vermischte Schriften" heraus, darunter Lieder in der Art Gleim's,
die zu Gunsten einer heitern Lebensauffassung gegen den Trübsinn Protestiren.
Sie waren damals sehr beliebt, und eins: „Gestern, Brüder, könnt ihr's
glauben?" wird noch heute in jeder lustigen Studentengesellschaft gesungen.

„Zum Mädchen wünscht' ich mir — und wollt' es, ha! recht lieben —
ein junges nettes tolles Ding, leicht zu erfreun, schwer zu betrüben, im Wuchse
schlank, im Gange flink, von Aug' ein Falk, von Micr' ein Schalk; das fleißig,
fleißig liest: weil alles was es liest, fein einzig Buch — der Spiegel ist!
Das immer gaukelt, immer spricht, und spricht und spricht von tausend Sachen,
genug, es spricht mit Lachen, und kann sehr reizend lachen."

„Solch Mädchen wünscht' ich mir! — Du Freund, magst deine Zeit nur
immerhin bei schöner Sittsamkeit, nicht ohne Seraphim'sche Thränen, bei Tugend
und Verstand vergähren."

Noch viel später erklärte er, er habe die Sprache nie so mißbraucht, eine
Schöne „göttlich" zu nennen. Uebrigens konnte er mitunter recht artig sein.

„Nachlässig hingestreckt, die Brust mit Flor bedeckt, der jedem Lüftchen
wich, das säuselnd thu durchstrich, ließ unter jenen Linden mein Glück mich
Laura finden. Sie schlief, und weit und breit schlug jede Blum' ihr Haupt
zur Erden, ans mißvergnügter Traurigkeit, von Laura uicht gesehn zu werden.
Sie schlief, und weit und breit erschallten keine Nachtigallen, aus weiser Furcht¬
samkeit, ihr minder zu gefallen als ihr der Schlaf gefiel, als ihr der Traum
gefiel, den sie vielleicht jetzt träumte, von dem, ich hoff' es, träumte, der stau¬
nend bei ihr stand, und viel zu viel empfand, um deutlich zu empfinden, wie¬
viel er da empfand. Ich ließ mich sanfte nieder, ich segnete und küßte sie, ich
segnete und küßte wieder; und schnell erwachte sie, schnell thaten sich die Augen
auf. Die Augen? — nein, der Himmel that sich ans."

„Die Lieder", heißt es in der Vorrede, „enthalten nichts als Wein und
Liebe, nichts als Freude und Genuß; und ich wage es, ihnen vor den Augen
der ernsthaften Welt meinen Namen zu geben? Was wird man von mir
denken! — Was man will. Man nenne sie jugendliche Aufwallungen einer
leichtsinnigen Moral oder poetische Nachbildungen niemals gefühlter Regungen;
man sage, ich habe meine Ausschweifungen darin verewigen wollen, oder man
sage, ich rühme mich darin solcher Ausschweifungen, zu welchen ich nicht ein¬
mal geschickt sei: alles wird mir einerlei sein. Genug, ich glaube, daß man
sich dieser Art von Gedichten so wenig als einer andern zu schämen hat."

Na ni er stimmte ihm bei; von Sulz er wurden beide als Wein- und
Liebesdichter scheel angesehn; er mußte das Herzeleid erleben, daß Ramler gar
an das Schachspiel die Poesie vergeudete! und tröstete sich nur am Studium
der heiligen Dichtungen Bodmers.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0047" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/139868"/>
          <p xml:id="ID_145" prev="#ID_144"> gab er &#x201E;Vermischte Schriften" heraus, darunter Lieder in der Art Gleim's,<lb/>
die zu Gunsten einer heitern Lebensauffassung gegen den Trübsinn Protestiren.<lb/>
Sie waren damals sehr beliebt, und eins: &#x201E;Gestern, Brüder, könnt ihr's<lb/>
glauben?" wird noch heute in jeder lustigen Studentengesellschaft gesungen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_146"> &#x201E;Zum Mädchen wünscht' ich mir &#x2014; und wollt' es, ha! recht lieben &#x2014;<lb/>
ein junges nettes tolles Ding, leicht zu erfreun, schwer zu betrüben, im Wuchse<lb/>
schlank, im Gange flink, von Aug' ein Falk, von Micr' ein Schalk; das fleißig,<lb/>
fleißig liest: weil alles was es liest, fein einzig Buch &#x2014; der Spiegel ist!<lb/>
Das immer gaukelt, immer spricht, und spricht und spricht von tausend Sachen,<lb/>
genug, es spricht mit Lachen, und kann sehr reizend lachen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_147"> &#x201E;Solch Mädchen wünscht' ich mir! &#x2014; Du Freund, magst deine Zeit nur<lb/>
immerhin bei schöner Sittsamkeit, nicht ohne Seraphim'sche Thränen, bei Tugend<lb/>
und Verstand vergähren."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_148"> Noch viel später erklärte er, er habe die Sprache nie so mißbraucht, eine<lb/>
Schöne &#x201E;göttlich" zu nennen. Uebrigens konnte er mitunter recht artig sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_149"> &#x201E;Nachlässig hingestreckt, die Brust mit Flor bedeckt, der jedem Lüftchen<lb/>
wich, das säuselnd thu durchstrich, ließ unter jenen Linden mein Glück mich<lb/>
Laura finden. Sie schlief, und weit und breit schlug jede Blum' ihr Haupt<lb/>
zur Erden, ans mißvergnügter Traurigkeit, von Laura uicht gesehn zu werden.<lb/>
Sie schlief, und weit und breit erschallten keine Nachtigallen, aus weiser Furcht¬<lb/>
samkeit, ihr minder zu gefallen als ihr der Schlaf gefiel, als ihr der Traum<lb/>
gefiel, den sie vielleicht jetzt träumte, von dem, ich hoff' es, träumte, der stau¬<lb/>
nend bei ihr stand, und viel zu viel empfand, um deutlich zu empfinden, wie¬<lb/>
viel er da empfand. Ich ließ mich sanfte nieder, ich segnete und küßte sie, ich<lb/>
segnete und küßte wieder; und schnell erwachte sie, schnell thaten sich die Augen<lb/>
auf. Die Augen? &#x2014; nein, der Himmel that sich ans."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_150"> &#x201E;Die Lieder", heißt es in der Vorrede, &#x201E;enthalten nichts als Wein und<lb/>
Liebe, nichts als Freude und Genuß; und ich wage es, ihnen vor den Augen<lb/>
der ernsthaften Welt meinen Namen zu geben? Was wird man von mir<lb/>
denken! &#x2014; Was man will. Man nenne sie jugendliche Aufwallungen einer<lb/>
leichtsinnigen Moral oder poetische Nachbildungen niemals gefühlter Regungen;<lb/>
man sage, ich habe meine Ausschweifungen darin verewigen wollen, oder man<lb/>
sage, ich rühme mich darin solcher Ausschweifungen, zu welchen ich nicht ein¬<lb/>
mal geschickt sei: alles wird mir einerlei sein. Genug, ich glaube, daß man<lb/>
sich dieser Art von Gedichten so wenig als einer andern zu schämen hat."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_151"> Na ni er stimmte ihm bei; von Sulz er wurden beide als Wein- und<lb/>
Liebesdichter scheel angesehn; er mußte das Herzeleid erleben, daß Ramler gar<lb/>
an das Schachspiel die Poesie vergeudete! und tröstete sich nur am Studium<lb/>
der heiligen Dichtungen Bodmers.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0047] gab er „Vermischte Schriften" heraus, darunter Lieder in der Art Gleim's, die zu Gunsten einer heitern Lebensauffassung gegen den Trübsinn Protestiren. Sie waren damals sehr beliebt, und eins: „Gestern, Brüder, könnt ihr's glauben?" wird noch heute in jeder lustigen Studentengesellschaft gesungen. „Zum Mädchen wünscht' ich mir — und wollt' es, ha! recht lieben — ein junges nettes tolles Ding, leicht zu erfreun, schwer zu betrüben, im Wuchse schlank, im Gange flink, von Aug' ein Falk, von Micr' ein Schalk; das fleißig, fleißig liest: weil alles was es liest, fein einzig Buch — der Spiegel ist! Das immer gaukelt, immer spricht, und spricht und spricht von tausend Sachen, genug, es spricht mit Lachen, und kann sehr reizend lachen." „Solch Mädchen wünscht' ich mir! — Du Freund, magst deine Zeit nur immerhin bei schöner Sittsamkeit, nicht ohne Seraphim'sche Thränen, bei Tugend und Verstand vergähren." Noch viel später erklärte er, er habe die Sprache nie so mißbraucht, eine Schöne „göttlich" zu nennen. Uebrigens konnte er mitunter recht artig sein. „Nachlässig hingestreckt, die Brust mit Flor bedeckt, der jedem Lüftchen wich, das säuselnd thu durchstrich, ließ unter jenen Linden mein Glück mich Laura finden. Sie schlief, und weit und breit schlug jede Blum' ihr Haupt zur Erden, ans mißvergnügter Traurigkeit, von Laura uicht gesehn zu werden. Sie schlief, und weit und breit erschallten keine Nachtigallen, aus weiser Furcht¬ samkeit, ihr minder zu gefallen als ihr der Schlaf gefiel, als ihr der Traum gefiel, den sie vielleicht jetzt träumte, von dem, ich hoff' es, träumte, der stau¬ nend bei ihr stand, und viel zu viel empfand, um deutlich zu empfinden, wie¬ viel er da empfand. Ich ließ mich sanfte nieder, ich segnete und küßte sie, ich segnete und küßte wieder; und schnell erwachte sie, schnell thaten sich die Augen auf. Die Augen? — nein, der Himmel that sich ans." „Die Lieder", heißt es in der Vorrede, „enthalten nichts als Wein und Liebe, nichts als Freude und Genuß; und ich wage es, ihnen vor den Augen der ernsthaften Welt meinen Namen zu geben? Was wird man von mir denken! — Was man will. Man nenne sie jugendliche Aufwallungen einer leichtsinnigen Moral oder poetische Nachbildungen niemals gefühlter Regungen; man sage, ich habe meine Ausschweifungen darin verewigen wollen, oder man sage, ich rühme mich darin solcher Ausschweifungen, zu welchen ich nicht ein¬ mal geschickt sei: alles wird mir einerlei sein. Genug, ich glaube, daß man sich dieser Art von Gedichten so wenig als einer andern zu schämen hat." Na ni er stimmte ihm bei; von Sulz er wurden beide als Wein- und Liebesdichter scheel angesehn; er mußte das Herzeleid erleben, daß Ramler gar an das Schachspiel die Poesie vergeudete! und tröstete sich nur am Studium der heiligen Dichtungen Bodmers.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/47
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/47>, abgerufen am 28.12.2024.