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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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zum bei weitem größten Theile nur aus fortgesetztem, mit gelegentlichen salbungs¬
vollen Sprüchen gespieltem Jammern über die Noth und das Elend der 4
zurückgebliebenen Patres vom si. Kreuz und deren Religionsgenossen in der Stadt.
Aber gerade deshalb ist es charakteristisch für jene trübselige Zeit, in der die
aufreibende Sorge für das Heute und Morgen der eignen Person selbst besser
und größer angelegte Naturen zwang, sich in kleinlichen, persönlichem Treiben
zu verzehren. Schon vor dem großen Kriege spielten in Deutschland fast überall
die Kirchthurmsinteressen eine hervorragende Rolle und im Verlaufe desselben
wurden die Anschauungen immer beschränkter, die Ziele immer kleiner, die
Bestrebungen engherziger, die Thatkraft schlaffer.

Was nun seine Glaubwürdigkeit anlangt, so darf man seine Berichte, solange
sie rein persönliche Erlebnisse schildern, als vollkommen zuverlässig ansehen.
Das ändert sich freilich etwas, sowie er Dinge erzählt, die er nicht selbst mit
erlebt hat. Von kritischem Sinne besitzt er keine Spur. Doch kann ihm nirgend
absichtliche Entstellung der Wahrheit zur Last gelegt werden. Unbedingt un¬
billig ist er eigentlich nur in einem, allerdings sehr hauptsächlichen Punkte.
Er will durchaus nicht einsehen, daß in Bezug auf religiöse Dinge das prote¬
stantische Regiment sich wirklich toleranter bewies, als vorher das katholische.
So sagt er einmal, 6. Januar 1633: "Es wird uns immer unter die Nase
gerieben, daß die Lutheraner viel milder mit den Katholiken verführen, als
früher die Katholiken mit den Lutheranern." "Freylich wohl! La-tKolicos äs-
vorant se suxsr illos lAor^niÄntur, sunt oroooä/l^!" Aber es ist doch wahr!
Das protestantische Regime war in der That toleranter, wenn das auch viel
weniger das Verdienst der Augsburger Protestanten, als der klugen schwedischen
Politik war. Freilich wurden die Katholiken von dem Stadtregimente und sämmt¬
lichen Stadtämtern ausgeschlossen, und sie mußten Kirchen, Schulen, und was sie
sonst den Protestanten abgenommen, wieder herausgeben. Es ist auch richtig,
daß ihnen vielfach größere Lasten besonders hinsichtlich der Einquartierung
aufgelegt wurden, als den Religionsverwandten der Schweden. Die Soldaten,
und wohl auch viele Nichtsoldaten durften sich gegen die "Papisten" und nament¬
lich gegen den Klerus, wie wir ja gesehen haben, manche Ungebührlichkeiten
erlauben, die vielleicht protestantischen Einwohnern gegenüber nicht so straflos
hingegangen wären. Auch ist nicht zu verkennen, daß alle Anhänger der
römischen Kirche stets mit etwas argwöhnischen Augen angesehen, daß ihre
Bewegungen scharf bewacht wurden. Sowie die feindlichen Heere in die Nähe
kamen, witterte man gleich Verrath, und es kam öfters vor, daß hervorragende
Katholiken als verdächtig mit Hausarrest belegt oder in's Gefängniß geworfen
wurden. Auch dem Verfasser unseres Tagebuches passirte das einmal. Die
Geistlichen wurden ferner gezwungen, wie?. Anastasius mehrmals entrüstet


zum bei weitem größten Theile nur aus fortgesetztem, mit gelegentlichen salbungs¬
vollen Sprüchen gespieltem Jammern über die Noth und das Elend der 4
zurückgebliebenen Patres vom si. Kreuz und deren Religionsgenossen in der Stadt.
Aber gerade deshalb ist es charakteristisch für jene trübselige Zeit, in der die
aufreibende Sorge für das Heute und Morgen der eignen Person selbst besser
und größer angelegte Naturen zwang, sich in kleinlichen, persönlichem Treiben
zu verzehren. Schon vor dem großen Kriege spielten in Deutschland fast überall
die Kirchthurmsinteressen eine hervorragende Rolle und im Verlaufe desselben
wurden die Anschauungen immer beschränkter, die Ziele immer kleiner, die
Bestrebungen engherziger, die Thatkraft schlaffer.

Was nun seine Glaubwürdigkeit anlangt, so darf man seine Berichte, solange
sie rein persönliche Erlebnisse schildern, als vollkommen zuverlässig ansehen.
Das ändert sich freilich etwas, sowie er Dinge erzählt, die er nicht selbst mit
erlebt hat. Von kritischem Sinne besitzt er keine Spur. Doch kann ihm nirgend
absichtliche Entstellung der Wahrheit zur Last gelegt werden. Unbedingt un¬
billig ist er eigentlich nur in einem, allerdings sehr hauptsächlichen Punkte.
Er will durchaus nicht einsehen, daß in Bezug auf religiöse Dinge das prote¬
stantische Regiment sich wirklich toleranter bewies, als vorher das katholische.
So sagt er einmal, 6. Januar 1633: „Es wird uns immer unter die Nase
gerieben, daß die Lutheraner viel milder mit den Katholiken verführen, als
früher die Katholiken mit den Lutheranern." „Freylich wohl! La-tKolicos äs-
vorant se suxsr illos lAor^niÄntur, sunt oroooä/l^!" Aber es ist doch wahr!
Das protestantische Regime war in der That toleranter, wenn das auch viel
weniger das Verdienst der Augsburger Protestanten, als der klugen schwedischen
Politik war. Freilich wurden die Katholiken von dem Stadtregimente und sämmt¬
lichen Stadtämtern ausgeschlossen, und sie mußten Kirchen, Schulen, und was sie
sonst den Protestanten abgenommen, wieder herausgeben. Es ist auch richtig,
daß ihnen vielfach größere Lasten besonders hinsichtlich der Einquartierung
aufgelegt wurden, als den Religionsverwandten der Schweden. Die Soldaten,
und wohl auch viele Nichtsoldaten durften sich gegen die „Papisten" und nament¬
lich gegen den Klerus, wie wir ja gesehen haben, manche Ungebührlichkeiten
erlauben, die vielleicht protestantischen Einwohnern gegenüber nicht so straflos
hingegangen wären. Auch ist nicht zu verkennen, daß alle Anhänger der
römischen Kirche stets mit etwas argwöhnischen Augen angesehen, daß ihre
Bewegungen scharf bewacht wurden. Sowie die feindlichen Heere in die Nähe
kamen, witterte man gleich Verrath, und es kam öfters vor, daß hervorragende
Katholiken als verdächtig mit Hausarrest belegt oder in's Gefängniß geworfen
wurden. Auch dem Verfasser unseres Tagebuches passirte das einmal. Die
Geistlichen wurden ferner gezwungen, wie?. Anastasius mehrmals entrüstet


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/427>, abgerufen am 27.07.2024.