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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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einflußten Elsaß-Lothringen eine ganze Reihe, nämlich 17 in Preußen, 3 in
Elsaß-Lothringen, 2 in Sachsen, je 1 in Mecklenburg-Schwerin und Lübeck.
Sie erfreuen sich allerdings keiner besonderen Gunst der Realisten und Hu¬
manisten strenger Observanz; meinen doch die einen, eine mit einem Gymnasium
verbundene Realschule könne sich nicht frei entfalten, gilt doch den andern die
Realschule oft als lästiger Hemmschuh des Gymnasiums, und auch das Pu¬
blikum ist oft geneigt, aus diese "Zwitteranstalten" als mißlungene Schöpfungen
zu sehen.

Aber sie bieten für die Annäherung beider Parteien Vortheile, welche
jeder einfachen Anstalt nothwendig abgehen. Sie zwingen nicht nur die Lehrer
beider Seiten zum engem Verkehr, sie bieten vor allem gar nicht abzuweisende
Gelegenheit, die gemachten Erfahrungen gegenseitig auszutauschen, die erreichten
Resultate bei den Prüfungen zu kontroliren und zu vergleichen; sie fordern
einen zweckbewußten Chef direkt auf, dieselben Lehrer auf beiden Seiten zu
verwenden. In solchen Anstalten kann also jene Ueberschätzung des eigenen
Standpunktes, die sonst ganz gewöhnlich und fast natürlich ist, gar nicht auf¬
kommen. Und wer vollends an beiden Anstalten gleichmäßig zu arbeiten hat,
der wird im Gymnasium unwillkürlich realistischer, in der Realschule humanisti¬
scher werden.

So möchten wir diese Doppelanstalten pädagogische Versuchsstationen von
hohem Werthe nennen. In diesem Wegrisse freilich liegt schon die Voraus¬
setzung, daß der Leiter einer solchen Anstalt von hervorragender Tüchtigkeit
sei. Humanisten und Realisten strengster Observanz eignen sich allerdings dazu
gleich wenig.

Auf der andern Seite aber ist doch auch eine allseitige Fachbildung heut¬
zutage ebenso unmöglich wie unnöthig; wird doch auch der Rektor eines ein¬
fachen Gymnasiums in den allerseltensten Fällen zugleich Mathematiker sein,
und selbst die Verbindung mathematischer und neusprachlicher Fachbildung
dürste selten genug vorkommen. In der That kommt es aber für eine Stellung,
wie wir sie im Auge haben, nicht ans die Menge der Fächer an, die der Rektor
zu vertreten im Stande ist, sondern weit mehr ans den Geist, in dem er seine
Schule leitet, auf die Weite seines Blicks, die Unbefangenheit seines Urtheils,
die Energie seines Willens.

Wirklich scheint nun auch die Fortdauer dieser Doppelcmstalten, ja die Be¬
gründung und der Ausbau solcher erst in der neuesten Zeit zu beweisen, daß
ihre Bedeutung und die Möglichkeit ihrer Erhaltung anerkannt wird. Die
Schulen in Greifswald und Lüneburg z. B. haben erst seit 1867 ihre jetzige
Gestalt, die zu Göttingen und Hildesheim seit 1868, die zu Colmar, Stra߬
burg und Metz seit der Reorganisation i. I. 1871, die zu Guben sogar erst seit


einflußten Elsaß-Lothringen eine ganze Reihe, nämlich 17 in Preußen, 3 in
Elsaß-Lothringen, 2 in Sachsen, je 1 in Mecklenburg-Schwerin und Lübeck.
Sie erfreuen sich allerdings keiner besonderen Gunst der Realisten und Hu¬
manisten strenger Observanz; meinen doch die einen, eine mit einem Gymnasium
verbundene Realschule könne sich nicht frei entfalten, gilt doch den andern die
Realschule oft als lästiger Hemmschuh des Gymnasiums, und auch das Pu¬
blikum ist oft geneigt, aus diese „Zwitteranstalten" als mißlungene Schöpfungen
zu sehen.

Aber sie bieten für die Annäherung beider Parteien Vortheile, welche
jeder einfachen Anstalt nothwendig abgehen. Sie zwingen nicht nur die Lehrer
beider Seiten zum engem Verkehr, sie bieten vor allem gar nicht abzuweisende
Gelegenheit, die gemachten Erfahrungen gegenseitig auszutauschen, die erreichten
Resultate bei den Prüfungen zu kontroliren und zu vergleichen; sie fordern
einen zweckbewußten Chef direkt auf, dieselben Lehrer auf beiden Seiten zu
verwenden. In solchen Anstalten kann also jene Ueberschätzung des eigenen
Standpunktes, die sonst ganz gewöhnlich und fast natürlich ist, gar nicht auf¬
kommen. Und wer vollends an beiden Anstalten gleichmäßig zu arbeiten hat,
der wird im Gymnasium unwillkürlich realistischer, in der Realschule humanisti¬
scher werden.

So möchten wir diese Doppelanstalten pädagogische Versuchsstationen von
hohem Werthe nennen. In diesem Wegrisse freilich liegt schon die Voraus¬
setzung, daß der Leiter einer solchen Anstalt von hervorragender Tüchtigkeit
sei. Humanisten und Realisten strengster Observanz eignen sich allerdings dazu
gleich wenig.

Auf der andern Seite aber ist doch auch eine allseitige Fachbildung heut¬
zutage ebenso unmöglich wie unnöthig; wird doch auch der Rektor eines ein¬
fachen Gymnasiums in den allerseltensten Fällen zugleich Mathematiker sein,
und selbst die Verbindung mathematischer und neusprachlicher Fachbildung
dürste selten genug vorkommen. In der That kommt es aber für eine Stellung,
wie wir sie im Auge haben, nicht ans die Menge der Fächer an, die der Rektor
zu vertreten im Stande ist, sondern weit mehr ans den Geist, in dem er seine
Schule leitet, auf die Weite seines Blicks, die Unbefangenheit seines Urtheils,
die Energie seines Willens.

Wirklich scheint nun auch die Fortdauer dieser Doppelcmstalten, ja die Be¬
gründung und der Ausbau solcher erst in der neuesten Zeit zu beweisen, daß
ihre Bedeutung und die Möglichkeit ihrer Erhaltung anerkannt wird. Die
Schulen in Greifswald und Lüneburg z. B. haben erst seit 1867 ihre jetzige
Gestalt, die zu Göttingen und Hildesheim seit 1868, die zu Colmar, Stra߬
burg und Metz seit der Reorganisation i. I. 1871, die zu Guben sogar erst seit


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[0420] einflußten Elsaß-Lothringen eine ganze Reihe, nämlich 17 in Preußen, 3 in Elsaß-Lothringen, 2 in Sachsen, je 1 in Mecklenburg-Schwerin und Lübeck. Sie erfreuen sich allerdings keiner besonderen Gunst der Realisten und Hu¬ manisten strenger Observanz; meinen doch die einen, eine mit einem Gymnasium verbundene Realschule könne sich nicht frei entfalten, gilt doch den andern die Realschule oft als lästiger Hemmschuh des Gymnasiums, und auch das Pu¬ blikum ist oft geneigt, aus diese „Zwitteranstalten" als mißlungene Schöpfungen zu sehen. Aber sie bieten für die Annäherung beider Parteien Vortheile, welche jeder einfachen Anstalt nothwendig abgehen. Sie zwingen nicht nur die Lehrer beider Seiten zum engem Verkehr, sie bieten vor allem gar nicht abzuweisende Gelegenheit, die gemachten Erfahrungen gegenseitig auszutauschen, die erreichten Resultate bei den Prüfungen zu kontroliren und zu vergleichen; sie fordern einen zweckbewußten Chef direkt auf, dieselben Lehrer auf beiden Seiten zu verwenden. In solchen Anstalten kann also jene Ueberschätzung des eigenen Standpunktes, die sonst ganz gewöhnlich und fast natürlich ist, gar nicht auf¬ kommen. Und wer vollends an beiden Anstalten gleichmäßig zu arbeiten hat, der wird im Gymnasium unwillkürlich realistischer, in der Realschule humanisti¬ scher werden. So möchten wir diese Doppelanstalten pädagogische Versuchsstationen von hohem Werthe nennen. In diesem Wegrisse freilich liegt schon die Voraus¬ setzung, daß der Leiter einer solchen Anstalt von hervorragender Tüchtigkeit sei. Humanisten und Realisten strengster Observanz eignen sich allerdings dazu gleich wenig. Auf der andern Seite aber ist doch auch eine allseitige Fachbildung heut¬ zutage ebenso unmöglich wie unnöthig; wird doch auch der Rektor eines ein¬ fachen Gymnasiums in den allerseltensten Fällen zugleich Mathematiker sein, und selbst die Verbindung mathematischer und neusprachlicher Fachbildung dürste selten genug vorkommen. In der That kommt es aber für eine Stellung, wie wir sie im Auge haben, nicht ans die Menge der Fächer an, die der Rektor zu vertreten im Stande ist, sondern weit mehr ans den Geist, in dem er seine Schule leitet, auf die Weite seines Blicks, die Unbefangenheit seines Urtheils, die Energie seines Willens. Wirklich scheint nun auch die Fortdauer dieser Doppelcmstalten, ja die Be¬ gründung und der Ausbau solcher erst in der neuesten Zeit zu beweisen, daß ihre Bedeutung und die Möglichkeit ihrer Erhaltung anerkannt wird. Die Schulen in Greifswald und Lüneburg z. B. haben erst seit 1867 ihre jetzige Gestalt, die zu Göttingen und Hildesheim seit 1868, die zu Colmar, Stra߬ burg und Metz seit der Reorganisation i. I. 1871, die zu Guben sogar erst seit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/420>, abgerufen am 09.11.2024.