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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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schließlich kritische Referate und Rezensionen Philosophischer Werke des letzten
Jahrzehnts, die vermuthlich ursprünglich in Zeitschriften erschienen waren und
nun in Buchform von neuem dem Publikum dargeboten werden. Die erste
Frage, die wir da aufwerfen müssen, hat einen allgemeineren Inhalt. Ist es
zulässig, derartige Sammlungen von Rezensionen und Referaten zu veröffent¬
lichen? Wir antworten: Nein. Wohin soll es führen, wenn alle die Kritiker,
die in den zahlreichen Journalen unseres Vaterlands über die neuen literarischen
Erscheinungen das Publikum orientiren, schließlich diese Kritiken in selbststän¬
digen Schriften sammeln. Welche Ueberschwemmung des Büchermarktes müßte
die Folge sein! Rezensionen haben ihren Zweck vollständig erfüllt, wenn sie
literarische Novitäten charakterisirt und beurtheilt haben. Nachdem diese rezeu-
sirten Schriften aber aufgehört haben, Novitäten zu sein, was soll dann noch
die Produktion der auf sie bezüglichen Kritik! Hatten die Schriften keinen
oder nur sehr geringen Werth, wozu von neuem dann den Blick auf sie lenken;
und waren sie beachtenswerth, nun dann ist vorauszusetzen, daß sie die ihnen
gebührende Schätzung werden empfangen haben, und sollte es ausnahmsweise
nicht der Fall gewesen sein, so wird die Erneuerung derselben Rezensionen
schwerlich etwas helfen. Es ist etwas anderes, wenn der Kritiker seine Rezen¬
sionen zu einer literatnrgcschichtlichen Darstellung der Leistungen auf gewissem
Gebiet in einem kleineren Zeitraum umgestaltet, das ist ein durchaus verdienst-
liches Werk, und Referent würde eine Geschichte der philosophischen Bestrebungen
im letzten Jahrzehnt von der Hand Hoffmann's mit Freuden lesen. Aber Samm¬
lungen von Rezensionen sind wenig genußreich. Der Leser wird aus einer Schrift in
die andere geworfen, muß außerdem noch die Wechselrede zwischen Autor und Rezen¬
senten hören und verliert so alles ästhetische Behagen. Die allgemeinen Gesichtspunkte,
die Uebergänge vom einen zum andern, die bei literaturgeschichtlicher Behandlung
die Vielheit zum Ganzen verknüpfen, fehlen hier, und die zerstreuende Wirkung
des nur äußerlich verbundnen Mannichfaltigen kann daher nicht ausbleiben.

Aber auch dein Interesse der Theosophie Leanders dienen solche Publika¬
tionen wenig. Mit Recht wird Baader zum Vorwurf gemacht, daß er es
unterlassen habe, seinen Gedanken die wissenschaftliche Gestalt zu geben, daß
ihnen die systematische Verknüpfung fehle. Die Schüler Baciders sollten daher
alle Kraft dazu verwenden, diese Mängel ihres Meisters auszugleichen und
durch auch formell befriedigende Entwicklung seines Systems den Thatbeweis
liefern, daß demselben der beanspruchte Werth wirklich zukomme. Ehe dies
geschehen ist, werden Rezensionen auf Grund von Baciders Ideen nur dazu
dienen, diesem Vorwurf neue Stützen zu geben. Denn es liegt in der Natur
der Sache, daß jene Ideen hier überwiegend als giltig vorausgesetzt, und nur
in beschränktem Maße als wahr erwiesen werden.


schließlich kritische Referate und Rezensionen Philosophischer Werke des letzten
Jahrzehnts, die vermuthlich ursprünglich in Zeitschriften erschienen waren und
nun in Buchform von neuem dem Publikum dargeboten werden. Die erste
Frage, die wir da aufwerfen müssen, hat einen allgemeineren Inhalt. Ist es
zulässig, derartige Sammlungen von Rezensionen und Referaten zu veröffent¬
lichen? Wir antworten: Nein. Wohin soll es führen, wenn alle die Kritiker,
die in den zahlreichen Journalen unseres Vaterlands über die neuen literarischen
Erscheinungen das Publikum orientiren, schließlich diese Kritiken in selbststän¬
digen Schriften sammeln. Welche Ueberschwemmung des Büchermarktes müßte
die Folge sein! Rezensionen haben ihren Zweck vollständig erfüllt, wenn sie
literarische Novitäten charakterisirt und beurtheilt haben. Nachdem diese rezeu-
sirten Schriften aber aufgehört haben, Novitäten zu sein, was soll dann noch
die Produktion der auf sie bezüglichen Kritik! Hatten die Schriften keinen
oder nur sehr geringen Werth, wozu von neuem dann den Blick auf sie lenken;
und waren sie beachtenswerth, nun dann ist vorauszusetzen, daß sie die ihnen
gebührende Schätzung werden empfangen haben, und sollte es ausnahmsweise
nicht der Fall gewesen sein, so wird die Erneuerung derselben Rezensionen
schwerlich etwas helfen. Es ist etwas anderes, wenn der Kritiker seine Rezen¬
sionen zu einer literatnrgcschichtlichen Darstellung der Leistungen auf gewissem
Gebiet in einem kleineren Zeitraum umgestaltet, das ist ein durchaus verdienst-
liches Werk, und Referent würde eine Geschichte der philosophischen Bestrebungen
im letzten Jahrzehnt von der Hand Hoffmann's mit Freuden lesen. Aber Samm¬
lungen von Rezensionen sind wenig genußreich. Der Leser wird aus einer Schrift in
die andere geworfen, muß außerdem noch die Wechselrede zwischen Autor und Rezen¬
senten hören und verliert so alles ästhetische Behagen. Die allgemeinen Gesichtspunkte,
die Uebergänge vom einen zum andern, die bei literaturgeschichtlicher Behandlung
die Vielheit zum Ganzen verknüpfen, fehlen hier, und die zerstreuende Wirkung
des nur äußerlich verbundnen Mannichfaltigen kann daher nicht ausbleiben.

Aber auch dein Interesse der Theosophie Leanders dienen solche Publika¬
tionen wenig. Mit Recht wird Baader zum Vorwurf gemacht, daß er es
unterlassen habe, seinen Gedanken die wissenschaftliche Gestalt zu geben, daß
ihnen die systematische Verknüpfung fehle. Die Schüler Baciders sollten daher
alle Kraft dazu verwenden, diese Mängel ihres Meisters auszugleichen und
durch auch formell befriedigende Entwicklung seines Systems den Thatbeweis
liefern, daß demselben der beanspruchte Werth wirklich zukomme. Ehe dies
geschehen ist, werden Rezensionen auf Grund von Baciders Ideen nur dazu
dienen, diesem Vorwurf neue Stützen zu geben. Denn es liegt in der Natur
der Sache, daß jene Ideen hier überwiegend als giltig vorausgesetzt, und nur
in beschränktem Maße als wahr erwiesen werden.


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[0401] schließlich kritische Referate und Rezensionen Philosophischer Werke des letzten Jahrzehnts, die vermuthlich ursprünglich in Zeitschriften erschienen waren und nun in Buchform von neuem dem Publikum dargeboten werden. Die erste Frage, die wir da aufwerfen müssen, hat einen allgemeineren Inhalt. Ist es zulässig, derartige Sammlungen von Rezensionen und Referaten zu veröffent¬ lichen? Wir antworten: Nein. Wohin soll es führen, wenn alle die Kritiker, die in den zahlreichen Journalen unseres Vaterlands über die neuen literarischen Erscheinungen das Publikum orientiren, schließlich diese Kritiken in selbststän¬ digen Schriften sammeln. Welche Ueberschwemmung des Büchermarktes müßte die Folge sein! Rezensionen haben ihren Zweck vollständig erfüllt, wenn sie literarische Novitäten charakterisirt und beurtheilt haben. Nachdem diese rezeu- sirten Schriften aber aufgehört haben, Novitäten zu sein, was soll dann noch die Produktion der auf sie bezüglichen Kritik! Hatten die Schriften keinen oder nur sehr geringen Werth, wozu von neuem dann den Blick auf sie lenken; und waren sie beachtenswerth, nun dann ist vorauszusetzen, daß sie die ihnen gebührende Schätzung werden empfangen haben, und sollte es ausnahmsweise nicht der Fall gewesen sein, so wird die Erneuerung derselben Rezensionen schwerlich etwas helfen. Es ist etwas anderes, wenn der Kritiker seine Rezen¬ sionen zu einer literatnrgcschichtlichen Darstellung der Leistungen auf gewissem Gebiet in einem kleineren Zeitraum umgestaltet, das ist ein durchaus verdienst- liches Werk, und Referent würde eine Geschichte der philosophischen Bestrebungen im letzten Jahrzehnt von der Hand Hoffmann's mit Freuden lesen. Aber Samm¬ lungen von Rezensionen sind wenig genußreich. Der Leser wird aus einer Schrift in die andere geworfen, muß außerdem noch die Wechselrede zwischen Autor und Rezen¬ senten hören und verliert so alles ästhetische Behagen. Die allgemeinen Gesichtspunkte, die Uebergänge vom einen zum andern, die bei literaturgeschichtlicher Behandlung die Vielheit zum Ganzen verknüpfen, fehlen hier, und die zerstreuende Wirkung des nur äußerlich verbundnen Mannichfaltigen kann daher nicht ausbleiben. Aber auch dein Interesse der Theosophie Leanders dienen solche Publika¬ tionen wenig. Mit Recht wird Baader zum Vorwurf gemacht, daß er es unterlassen habe, seinen Gedanken die wissenschaftliche Gestalt zu geben, daß ihnen die systematische Verknüpfung fehle. Die Schüler Baciders sollten daher alle Kraft dazu verwenden, diese Mängel ihres Meisters auszugleichen und durch auch formell befriedigende Entwicklung seines Systems den Thatbeweis liefern, daß demselben der beanspruchte Werth wirklich zukomme. Ehe dies geschehen ist, werden Rezensionen auf Grund von Baciders Ideen nur dazu dienen, diesem Vorwurf neue Stützen zu geben. Denn es liegt in der Natur der Sache, daß jene Ideen hier überwiegend als giltig vorausgesetzt, und nur in beschränktem Maße als wahr erwiesen werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/401>, abgerufen am 28.07.2024.