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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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berg entbietet der Welt in einem wunderlichen Schriftstück ihres Bürgermeisters
die Kunde von der Auffindung des geheimnißvollen Menschen. Alles strömt herbei,
ihn zu sehen, auszuforschen, Vermuthungen über ihn anzustellen. Lord Stan-
hope und Herr von Pirch wenden ihm die Fürsorge eines Vaters zu. Der
König setzt eine Belohnung von 10000 si. auf die Entdeckung des wahren
Ursprungs Hauser's, jedoch vergeblich. Der junge Mensch verändert wesentlich
seinen ursprünglichen Charakter, oder das was man dafür hält, als man ihn
genauer beobachtet ihn zu erziehen und zu bilde" versucht. Seine Erzieher,
seine begeistertsten Freunde, klagen über seine Widersprüche, seine Verlogenheit,
den Mangel an Fleiß und Fortschritten. Er wird unendlich furchtsam, reizbar
und eitel. Am 16. Oktober 1829 findet man ihn blutig und bewußtlos auf
dem Abtritt. Hier will er von einem Manne mit einem ganz schwarzen Bart
einen Schlag auf den Kopf erhalten haben. Die sofort und mit größtem Eifer
angestellte Untersuchung führt jedoch durchaus zu keinem Ergebniß. Weder
irgend eine Person ist der That verdächtig, noch irgend ein Instrument dabei
entdeckt. Schon damals wird die Vermuthung ausgesprochen, Hauser habe
sich absichtlich oder unabsichtlich die Verletzung selbst beigebracht. Denn überall
ist er im Gewahrsam seiner besten Freunde. Bald darauf nimmt ihn Lord
Stanhvpe zu sich. Hauser arbeitet ohne Fleiß beim Appellationsgericht Ans-
bach, fast vergessen von der Welt! Da kommt er am 14. Dezember 1833
gegen 5 Uhr Abends nach heftigem Schneegestöber aus dem Schloßgarten
heim, verwundet. Er will dorthin von einem Unbekannten verlockt und durch
eine" Stich in die linke Seite schwer verwundet worden sein, einen Beutel
dort verloren haben. Man eilt an die Stelle, findet den Beutel und in diesem
Worte, die denen des Geleitsbrieses, mit welchem sich Hauser am 26. Mai 1828
in Nürnberg einführte, in ihrem Inhalt merkwürdig ähnlich sehen. Man findet
aber in dem frischen Schnee nur die Fußtritte eines einzigen Menschen an
der Stelle. Drei Tage darauf stirbt Hauser. Die Aerzte, die ihn untersuchen
und seciren, der ganze objektive und subjektive Thatbestand des Vorganges,
sprechen ihr Urtheil dahin aus, er habe durch Selbstmord geendet; und zwar
Hand an sich gelegt in dem ihm unerträglichen Gefühl, daß er nicht mehr
die Neugier und Bewunderung von halb Europa auf sich lenke; Tödtung
durch fremde Hand sei ausgeschlossen. Diesem Urtheil schließt sich nach dem
Tode Hauser's fast Alles an. Seine Verlogenheit, seine Widersprüche und seine
krankhafte Eitelkeit lassen den Zeitgenossen diese Art seines Ausganges sehr
begreiflich und glaubhaft erscheinen.

Da erscheint im März 1834, also kaum drei Monate nach Hauser's Tod
eine Flugschrift in Straßburg aus der Feder eines badischen Flüchtlings
Johann Heinrich Garnier aus Rastatt: "Einige Beiträge zur Geschichte


berg entbietet der Welt in einem wunderlichen Schriftstück ihres Bürgermeisters
die Kunde von der Auffindung des geheimnißvollen Menschen. Alles strömt herbei,
ihn zu sehen, auszuforschen, Vermuthungen über ihn anzustellen. Lord Stan-
hope und Herr von Pirch wenden ihm die Fürsorge eines Vaters zu. Der
König setzt eine Belohnung von 10000 si. auf die Entdeckung des wahren
Ursprungs Hauser's, jedoch vergeblich. Der junge Mensch verändert wesentlich
seinen ursprünglichen Charakter, oder das was man dafür hält, als man ihn
genauer beobachtet ihn zu erziehen und zu bilde» versucht. Seine Erzieher,
seine begeistertsten Freunde, klagen über seine Widersprüche, seine Verlogenheit,
den Mangel an Fleiß und Fortschritten. Er wird unendlich furchtsam, reizbar
und eitel. Am 16. Oktober 1829 findet man ihn blutig und bewußtlos auf
dem Abtritt. Hier will er von einem Manne mit einem ganz schwarzen Bart
einen Schlag auf den Kopf erhalten haben. Die sofort und mit größtem Eifer
angestellte Untersuchung führt jedoch durchaus zu keinem Ergebniß. Weder
irgend eine Person ist der That verdächtig, noch irgend ein Instrument dabei
entdeckt. Schon damals wird die Vermuthung ausgesprochen, Hauser habe
sich absichtlich oder unabsichtlich die Verletzung selbst beigebracht. Denn überall
ist er im Gewahrsam seiner besten Freunde. Bald darauf nimmt ihn Lord
Stanhvpe zu sich. Hauser arbeitet ohne Fleiß beim Appellationsgericht Ans-
bach, fast vergessen von der Welt! Da kommt er am 14. Dezember 1833
gegen 5 Uhr Abends nach heftigem Schneegestöber aus dem Schloßgarten
heim, verwundet. Er will dorthin von einem Unbekannten verlockt und durch
eine« Stich in die linke Seite schwer verwundet worden sein, einen Beutel
dort verloren haben. Man eilt an die Stelle, findet den Beutel und in diesem
Worte, die denen des Geleitsbrieses, mit welchem sich Hauser am 26. Mai 1828
in Nürnberg einführte, in ihrem Inhalt merkwürdig ähnlich sehen. Man findet
aber in dem frischen Schnee nur die Fußtritte eines einzigen Menschen an
der Stelle. Drei Tage darauf stirbt Hauser. Die Aerzte, die ihn untersuchen
und seciren, der ganze objektive und subjektive Thatbestand des Vorganges,
sprechen ihr Urtheil dahin aus, er habe durch Selbstmord geendet; und zwar
Hand an sich gelegt in dem ihm unerträglichen Gefühl, daß er nicht mehr
die Neugier und Bewunderung von halb Europa auf sich lenke; Tödtung
durch fremde Hand sei ausgeschlossen. Diesem Urtheil schließt sich nach dem
Tode Hauser's fast Alles an. Seine Verlogenheit, seine Widersprüche und seine
krankhafte Eitelkeit lassen den Zeitgenossen diese Art seines Ausganges sehr
begreiflich und glaubhaft erscheinen.

Da erscheint im März 1834, also kaum drei Monate nach Hauser's Tod
eine Flugschrift in Straßburg aus der Feder eines badischen Flüchtlings
Johann Heinrich Garnier aus Rastatt: „Einige Beiträge zur Geschichte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/387>, abgerufen am 27.07.2024.