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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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Hauptsache auf dem zweiten. Aber die Geschichte der Maler ist nicht die Ge¬
schichte der Malerei. Und wie es damals Overbeck's Verdienst war, in aus¬
gedehnter Weise die erhaltenen Denkmäler der Kunst zu den schriftlichen Quellen
hinzuzunehmen und auf diesem doppelten Grunde sein mit Recht populär ge¬
wordenes Werk aufzubauen, so hat auch Woermann diesen Weg einzuschlagen
versucht. Hier aber beginnen eben die Schwierigkeiten. Von keinem einzigen
berühmten Maler des Alterthums, den die schriftlichen Quellen uns nennen,
über dessen LebeNsumstcinde und Werke sie uns Mittheilung machen, ist irgend
ein Kunstwerk gerettet. Ueber kein einziges von all' den gepriesenen Wand¬
gemälden und Staffeleibildern des Alterthums können wir nach eigner An¬
schauung urtheilen. Zwar ist uns eine unübersehbare Fülle antiker Malereien
erhalten. Tausende von Vasen, die mit figürlichen Malereien geschmückt sind,
haben uns die griechischen und italischen Gräber zurückgegeben. Nach Hun¬
derten zählen die antiken Fußbodenmosaiken mit bildlichen Darstellungen, welche
diesseits wie jenseits der Alpen das Tageslicht wieder erblickt haben. Bemalte
Steintafeln und Sarkophage sind keine Seltenheiten. Und vor allen Dingen
gewähren uns die ans italischen Boden, theils in den Gräbern Etruriens,
theils in Rom und dessen Umgebung, theils in Unteritalien und hier nament¬
lich in den vom Vesuv verschütteten Städten Campaniens zu vielen Tausenden
wiederaufgefundenen antiken Wandgemälde eine lebendige Vorstellung von der
alten Malerei. Allein: kein einziges von diesen Gemälden läßt sich mit irgend
einem Bilde, dessen die alten Schriftsteller gedenken, identificiren, nicht einmal
das läßt sich mit einiger Sicherheit behaupten, daß irgend eines dieser Bilder
ungefähr die Motive eines berühmten Originalwerkes der antiken Malerei
wiedergebe. In einzelnen Fällen ist es zwar versucht worden, Wandgemälde
und Mosaiken auf berühmte Originalgemälde zurückzuführen, aber über einen
größeren oder geringeren Grad von Wahrscheinlichkeit sind alle solche Ver¬
muthungen nicht hinausgekommen. Dazu kommt ein anderer wichtiger Um¬
stand. Nichts von alledem, was uns vou antiker Malerei erhalten ist, läßt
irgend einen Rückschluß auf den Stil der Originalwerke der berühmten Künstler
zu, denn es ist alles nur zu kunstgewerblichen und dekorativen Zwecken stilisirte
und mehr oder minder handwerksmäßig ausgeführte Arbeit. Ist auch manches
von diesen Vasenbildern, diesen Wandgemälden, diesen Mosaiken von Hand¬
werkern geschaffen worden, deren Geschicklichkeit nahezu an wirkliche, freie Kunst
grenzte und die, als ob sie sich dessen bewußt gewesen wären, selbst ihren
Namen den Werken ihrer Hand beigefügt haben, so sind doch diese Namen
wiederum so unberühmt, daß kein alter Schriftsteller ihrer Erwähnung thut.

Es ist einleuchtend, daß unter solchen Umständen kaum von dem Versuch
die Rede sein kann, dasjenige Material, welches wir aus den schriftlichen


Hauptsache auf dem zweiten. Aber die Geschichte der Maler ist nicht die Ge¬
schichte der Malerei. Und wie es damals Overbeck's Verdienst war, in aus¬
gedehnter Weise die erhaltenen Denkmäler der Kunst zu den schriftlichen Quellen
hinzuzunehmen und auf diesem doppelten Grunde sein mit Recht populär ge¬
wordenes Werk aufzubauen, so hat auch Woermann diesen Weg einzuschlagen
versucht. Hier aber beginnen eben die Schwierigkeiten. Von keinem einzigen
berühmten Maler des Alterthums, den die schriftlichen Quellen uns nennen,
über dessen LebeNsumstcinde und Werke sie uns Mittheilung machen, ist irgend
ein Kunstwerk gerettet. Ueber kein einziges von all' den gepriesenen Wand¬
gemälden und Staffeleibildern des Alterthums können wir nach eigner An¬
schauung urtheilen. Zwar ist uns eine unübersehbare Fülle antiker Malereien
erhalten. Tausende von Vasen, die mit figürlichen Malereien geschmückt sind,
haben uns die griechischen und italischen Gräber zurückgegeben. Nach Hun¬
derten zählen die antiken Fußbodenmosaiken mit bildlichen Darstellungen, welche
diesseits wie jenseits der Alpen das Tageslicht wieder erblickt haben. Bemalte
Steintafeln und Sarkophage sind keine Seltenheiten. Und vor allen Dingen
gewähren uns die ans italischen Boden, theils in den Gräbern Etruriens,
theils in Rom und dessen Umgebung, theils in Unteritalien und hier nament¬
lich in den vom Vesuv verschütteten Städten Campaniens zu vielen Tausenden
wiederaufgefundenen antiken Wandgemälde eine lebendige Vorstellung von der
alten Malerei. Allein: kein einziges von diesen Gemälden läßt sich mit irgend
einem Bilde, dessen die alten Schriftsteller gedenken, identificiren, nicht einmal
das läßt sich mit einiger Sicherheit behaupten, daß irgend eines dieser Bilder
ungefähr die Motive eines berühmten Originalwerkes der antiken Malerei
wiedergebe. In einzelnen Fällen ist es zwar versucht worden, Wandgemälde
und Mosaiken auf berühmte Originalgemälde zurückzuführen, aber über einen
größeren oder geringeren Grad von Wahrscheinlichkeit sind alle solche Ver¬
muthungen nicht hinausgekommen. Dazu kommt ein anderer wichtiger Um¬
stand. Nichts von alledem, was uns vou antiker Malerei erhalten ist, läßt
irgend einen Rückschluß auf den Stil der Originalwerke der berühmten Künstler
zu, denn es ist alles nur zu kunstgewerblichen und dekorativen Zwecken stilisirte
und mehr oder minder handwerksmäßig ausgeführte Arbeit. Ist auch manches
von diesen Vasenbildern, diesen Wandgemälden, diesen Mosaiken von Hand¬
werkern geschaffen worden, deren Geschicklichkeit nahezu an wirkliche, freie Kunst
grenzte und die, als ob sie sich dessen bewußt gewesen wären, selbst ihren
Namen den Werken ihrer Hand beigefügt haben, so sind doch diese Namen
wiederum so unberühmt, daß kein alter Schriftsteller ihrer Erwähnung thut.

Es ist einleuchtend, daß unter solchen Umständen kaum von dem Versuch
die Rede sein kann, dasjenige Material, welches wir aus den schriftlichen


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[0382] Hauptsache auf dem zweiten. Aber die Geschichte der Maler ist nicht die Ge¬ schichte der Malerei. Und wie es damals Overbeck's Verdienst war, in aus¬ gedehnter Weise die erhaltenen Denkmäler der Kunst zu den schriftlichen Quellen hinzuzunehmen und auf diesem doppelten Grunde sein mit Recht populär ge¬ wordenes Werk aufzubauen, so hat auch Woermann diesen Weg einzuschlagen versucht. Hier aber beginnen eben die Schwierigkeiten. Von keinem einzigen berühmten Maler des Alterthums, den die schriftlichen Quellen uns nennen, über dessen LebeNsumstcinde und Werke sie uns Mittheilung machen, ist irgend ein Kunstwerk gerettet. Ueber kein einziges von all' den gepriesenen Wand¬ gemälden und Staffeleibildern des Alterthums können wir nach eigner An¬ schauung urtheilen. Zwar ist uns eine unübersehbare Fülle antiker Malereien erhalten. Tausende von Vasen, die mit figürlichen Malereien geschmückt sind, haben uns die griechischen und italischen Gräber zurückgegeben. Nach Hun¬ derten zählen die antiken Fußbodenmosaiken mit bildlichen Darstellungen, welche diesseits wie jenseits der Alpen das Tageslicht wieder erblickt haben. Bemalte Steintafeln und Sarkophage sind keine Seltenheiten. Und vor allen Dingen gewähren uns die ans italischen Boden, theils in den Gräbern Etruriens, theils in Rom und dessen Umgebung, theils in Unteritalien und hier nament¬ lich in den vom Vesuv verschütteten Städten Campaniens zu vielen Tausenden wiederaufgefundenen antiken Wandgemälde eine lebendige Vorstellung von der alten Malerei. Allein: kein einziges von diesen Gemälden läßt sich mit irgend einem Bilde, dessen die alten Schriftsteller gedenken, identificiren, nicht einmal das läßt sich mit einiger Sicherheit behaupten, daß irgend eines dieser Bilder ungefähr die Motive eines berühmten Originalwerkes der antiken Malerei wiedergebe. In einzelnen Fällen ist es zwar versucht worden, Wandgemälde und Mosaiken auf berühmte Originalgemälde zurückzuführen, aber über einen größeren oder geringeren Grad von Wahrscheinlichkeit sind alle solche Ver¬ muthungen nicht hinausgekommen. Dazu kommt ein anderer wichtiger Um¬ stand. Nichts von alledem, was uns vou antiker Malerei erhalten ist, läßt irgend einen Rückschluß auf den Stil der Originalwerke der berühmten Künstler zu, denn es ist alles nur zu kunstgewerblichen und dekorativen Zwecken stilisirte und mehr oder minder handwerksmäßig ausgeführte Arbeit. Ist auch manches von diesen Vasenbildern, diesen Wandgemälden, diesen Mosaiken von Hand¬ werkern geschaffen worden, deren Geschicklichkeit nahezu an wirkliche, freie Kunst grenzte und die, als ob sie sich dessen bewußt gewesen wären, selbst ihren Namen den Werken ihrer Hand beigefügt haben, so sind doch diese Namen wiederum so unberühmt, daß kein alter Schriftsteller ihrer Erwähnung thut. Es ist einleuchtend, daß unter solchen Umständen kaum von dem Versuch die Rede sein kann, dasjenige Material, welches wir aus den schriftlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/382>, abgerufen am 01.09.2024.