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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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Manöver des Herrn Windthorst, in Anknüpfung an die kaiserlichen Worte von
der Nothwendigkeit der Hebung der Religiosität einen Gegensatz zwischen dem
Standpunkte des Kaisers und demjenigen der Regierung zu constatiren. Es ist
das bei dem Führer der Zentrumspartei freilich kein neuer Kunstgriff, aber er
läßt doch recht deutlich erkennen, in welcher Richtung unsere Ultramontanen
die durch das Attentat geschaffene Situation für ihre Zwecke nutzbar zu machen
hoffen.

Im Uebrigen ist aus der dritten Berathung der Gewerbeordnungsnovelle
wohl nur noch hervorzuheben, daß die in der zweiten Lesung angenommene
obligatorische Einführung von Fabrikinspectoren, welche die Ausführung der
Arbeiterschntzbestunmnngen der Gewerbeordnung zu überwachen haben, trotz des
Widerspruchs der Regierung aufrecht erhalten ward. Dieser Widerspruch ist in
der That um so weniger verstündlich, als die segensreiche Wirksamkeit des in
Preußen seit einigen Jahren fungirenden Instituts der Fabrikinspectoren von
bedeutenden Industriellen im Reichstage unumwunden anerkannt ward. Der
seitens der Regierungscommissarien erhobene Einwand, daß für die Entscheidung
der Frage, ob das Institut sich bewährt habe, noch nicht genug Erfahrungen
gesammelt seien, muß angesichts solcher Kundgebungen zum mindesten den Ein¬
druck einer übertriebenen Aengstlichkeit machen.

Ein ähnliches Schicksal, wie bei der zweiten Berathung der Gewerbe¬
ordnungsnovelle über der Sonntagarbeitsfrage, hat bei der zweiten Berathung
der Rechtsanwaltsordnung über der Frage der Lokalisirung der Rechtsanwalt¬
schaft geschwebt. Nach der Regierungsvorlage soll die Zulassung zur Rechts¬
anwaltschaft bei einem bestimmten Gerichte erfolgen, jedoch soll der bei einem
Amtsgerichte zugelassene Rechtsanwalt zugleich bei dem Landgerichte, in dessen
Bezirk das Amtsgericht seinen Sitz hat, sowie bei den im Bezirke des Land¬
gerichts befindlichen Kammern für Handelssachen zugelassen werden können.
Dem gegenüber beantragte die Kommission des Reichstages, daß die Zulassung
bei einem bestimmten Kollegialgerichte erfolgen und sich zugleich auf die
im Bezirke desselben an einem andern Orte befindlichen Kammern sür Handels¬
sachen erstrecken solle. Mit dieser Fassung will man verhüten, daß in den
nur bei einem Amtsgericht zugelassenen Anwälten eine Kategorie von Rechts¬
anwälten zweiter Klasse geschaffen werde. Die Regierung legte ans die Ab¬
lehnung des Kommissionsvorschlags das größte Gewicht, stimmte indeß einem
Laster'schen Kompromißantrage zu. Der Letztere wurde jedoch mit einer Stimme
Majorität abgelehnt. In der dritten Lesung wird es sich hauptsächlich darum
handeln, ob der Reichstag bei der Kommissionsfassung stehen bleiben und
damit vielleicht oas Zustandekommen des ganzen Gesetzes gefährden, oder ob
er jenes Kompromiß annehmen will.


Manöver des Herrn Windthorst, in Anknüpfung an die kaiserlichen Worte von
der Nothwendigkeit der Hebung der Religiosität einen Gegensatz zwischen dem
Standpunkte des Kaisers und demjenigen der Regierung zu constatiren. Es ist
das bei dem Führer der Zentrumspartei freilich kein neuer Kunstgriff, aber er
läßt doch recht deutlich erkennen, in welcher Richtung unsere Ultramontanen
die durch das Attentat geschaffene Situation für ihre Zwecke nutzbar zu machen
hoffen.

Im Uebrigen ist aus der dritten Berathung der Gewerbeordnungsnovelle
wohl nur noch hervorzuheben, daß die in der zweiten Lesung angenommene
obligatorische Einführung von Fabrikinspectoren, welche die Ausführung der
Arbeiterschntzbestunmnngen der Gewerbeordnung zu überwachen haben, trotz des
Widerspruchs der Regierung aufrecht erhalten ward. Dieser Widerspruch ist in
der That um so weniger verstündlich, als die segensreiche Wirksamkeit des in
Preußen seit einigen Jahren fungirenden Instituts der Fabrikinspectoren von
bedeutenden Industriellen im Reichstage unumwunden anerkannt ward. Der
seitens der Regierungscommissarien erhobene Einwand, daß für die Entscheidung
der Frage, ob das Institut sich bewährt habe, noch nicht genug Erfahrungen
gesammelt seien, muß angesichts solcher Kundgebungen zum mindesten den Ein¬
druck einer übertriebenen Aengstlichkeit machen.

Ein ähnliches Schicksal, wie bei der zweiten Berathung der Gewerbe¬
ordnungsnovelle über der Sonntagarbeitsfrage, hat bei der zweiten Berathung
der Rechtsanwaltsordnung über der Frage der Lokalisirung der Rechtsanwalt¬
schaft geschwebt. Nach der Regierungsvorlage soll die Zulassung zur Rechts¬
anwaltschaft bei einem bestimmten Gerichte erfolgen, jedoch soll der bei einem
Amtsgerichte zugelassene Rechtsanwalt zugleich bei dem Landgerichte, in dessen
Bezirk das Amtsgericht seinen Sitz hat, sowie bei den im Bezirke des Land¬
gerichts befindlichen Kammern für Handelssachen zugelassen werden können.
Dem gegenüber beantragte die Kommission des Reichstages, daß die Zulassung
bei einem bestimmten Kollegialgerichte erfolgen und sich zugleich auf die
im Bezirke desselben an einem andern Orte befindlichen Kammern sür Handels¬
sachen erstrecken solle. Mit dieser Fassung will man verhüten, daß in den
nur bei einem Amtsgericht zugelassenen Anwälten eine Kategorie von Rechts¬
anwälten zweiter Klasse geschaffen werde. Die Regierung legte ans die Ab¬
lehnung des Kommissionsvorschlags das größte Gewicht, stimmte indeß einem
Laster'schen Kompromißantrage zu. Der Letztere wurde jedoch mit einer Stimme
Majorität abgelehnt. In der dritten Lesung wird es sich hauptsächlich darum
handeln, ob der Reichstag bei der Kommissionsfassung stehen bleiben und
damit vielleicht oas Zustandekommen des ganzen Gesetzes gefährden, oder ob
er jenes Kompromiß annehmen will.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/361>, abgerufen am 27.07.2024.