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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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Und noch waren es die Sozialdemokraten, welche abbrachen! Sie erklärten
daß sie ihr Prinzip hinreichend gewahrt, ihre Macht fühlbar genug dokumen-
tirt hätten und den Gegnern im Uebrigen ihre unschädliche Agitation nicht
weiter verkümmern wollten. Um sie wieder hervorzulocken, ließen die Staats-
sazialisten durch einen früheren Agitator der Sozialdemokratie einen offenen
Brief an Most richten, der ihn unter den schwersten Beleidigungen zum ora-
torischen Zweikampfe herausforderte, allein Most zog es aus irgend welchen
Gründen vor, nicht zu erscheinen, sondern ließ nur die Versammlung sprengen,
worauf sich die Staatssozialisten hinter verschlossene Thüren zurückgezogen
haben und ihre Konventikel unter sich abhalten.

Lorbeern und Trophäen hat keine der beiden Parteien aus dem Feld¬
zuge davongetragen. Auch von liberaler Seite ist der Muth Stöckers und
seiner Kollegen anerkennend hervorgehoben worden; stellt man sich auf diesen
Standpunkt, dann sollte man wenigstens auch den Muth der liberalen Männer
rühmen, welche namentlich in den sechziger Jahren unter ungleich schwierigeren
Verhältnissen -- denn damals waren sie oft nicht vor handgreiflichen Brutali¬
täten sicher -- in sozialdemokratischen Versammlungen aufgetreten sind und
gesprochen haben. Aber in der That -- was bedeutet ein solcher doch immer
nur relative Muth, wenn er um einer günstigen, persönlichen Pose willen
Interessen der Sache preisgiebt, welche er verfechten will? Kann denn irgend
Jemand annehmen, daß das Ansehen und die Würde der Kirche durch solche
-- sit vzius. vsrbo -- Geisteskämpfe gefördert ist? Liegt es nicht vielmehr
auf der Hand, daß sie in den Augen der aufrichtigen und einfachen Leute aus
dem Volke durch solche prahlerisch-leeren Schaustellungen nur geschädigt wird?
Soviel vom Standpunkte der Staatssozialisten selbst; dazu kommt noch die
lauge Rechnung, welche sie bei diesen Debatten durch die unbedachtsamer und
unbesonnenen Konzessionen in wirthschaftlicher Beziehung aufsnmmirt haben.
Was- aber die Sozialdemokratin angeht, so hat sich die krasse Leerheit ihres
geistigen Wesens in so abschreckender Weise gezeigt, wie selten vorher. Ferner
hat die Partei ein schweres Präcedens geschaffen in der religiösen Frage, das
ihr in der Folge schmerzliche Nackenschläge versetzen muß und wird. Hassel¬
mann ist es zwar noch mit genauer Noth gelungen, seine Ernte unter Dach
und Fach zu bringen; er hat den rheinisch-westfälischen Arbeiterbund glücklich
zu Staude gebracht, seine ultramontanen Gehilfen selbstverständlich damit ge¬
lohnt, daß er sie sofort hinausdrängte und um gleich den Spott zum Schaden
zu fügen, Most nach Barmer kommen lassen, um auch dort seine atheistischen
Lehren zu verkünden. Allein die leitenden Köpfe der Bewegung in Hamburg
und Leipzig dürften dem ganzen Unfug mit sehr gemischten Gefühlen zugesehen
haben und, vielleicht ist auf ihre Initiative die ungewohnte Reserve znrttckzu-


Und noch waren es die Sozialdemokraten, welche abbrachen! Sie erklärten
daß sie ihr Prinzip hinreichend gewahrt, ihre Macht fühlbar genug dokumen-
tirt hätten und den Gegnern im Uebrigen ihre unschädliche Agitation nicht
weiter verkümmern wollten. Um sie wieder hervorzulocken, ließen die Staats-
sazialisten durch einen früheren Agitator der Sozialdemokratie einen offenen
Brief an Most richten, der ihn unter den schwersten Beleidigungen zum ora-
torischen Zweikampfe herausforderte, allein Most zog es aus irgend welchen
Gründen vor, nicht zu erscheinen, sondern ließ nur die Versammlung sprengen,
worauf sich die Staatssozialisten hinter verschlossene Thüren zurückgezogen
haben und ihre Konventikel unter sich abhalten.

Lorbeern und Trophäen hat keine der beiden Parteien aus dem Feld¬
zuge davongetragen. Auch von liberaler Seite ist der Muth Stöckers und
seiner Kollegen anerkennend hervorgehoben worden; stellt man sich auf diesen
Standpunkt, dann sollte man wenigstens auch den Muth der liberalen Männer
rühmen, welche namentlich in den sechziger Jahren unter ungleich schwierigeren
Verhältnissen — denn damals waren sie oft nicht vor handgreiflichen Brutali¬
täten sicher — in sozialdemokratischen Versammlungen aufgetreten sind und
gesprochen haben. Aber in der That — was bedeutet ein solcher doch immer
nur relative Muth, wenn er um einer günstigen, persönlichen Pose willen
Interessen der Sache preisgiebt, welche er verfechten will? Kann denn irgend
Jemand annehmen, daß das Ansehen und die Würde der Kirche durch solche
— sit vzius. vsrbo — Geisteskämpfe gefördert ist? Liegt es nicht vielmehr
auf der Hand, daß sie in den Augen der aufrichtigen und einfachen Leute aus
dem Volke durch solche prahlerisch-leeren Schaustellungen nur geschädigt wird?
Soviel vom Standpunkte der Staatssozialisten selbst; dazu kommt noch die
lauge Rechnung, welche sie bei diesen Debatten durch die unbedachtsamer und
unbesonnenen Konzessionen in wirthschaftlicher Beziehung aufsnmmirt haben.
Was- aber die Sozialdemokratin angeht, so hat sich die krasse Leerheit ihres
geistigen Wesens in so abschreckender Weise gezeigt, wie selten vorher. Ferner
hat die Partei ein schweres Präcedens geschaffen in der religiösen Frage, das
ihr in der Folge schmerzliche Nackenschläge versetzen muß und wird. Hassel¬
mann ist es zwar noch mit genauer Noth gelungen, seine Ernte unter Dach
und Fach zu bringen; er hat den rheinisch-westfälischen Arbeiterbund glücklich
zu Staude gebracht, seine ultramontanen Gehilfen selbstverständlich damit ge¬
lohnt, daß er sie sofort hinausdrängte und um gleich den Spott zum Schaden
zu fügen, Most nach Barmer kommen lassen, um auch dort seine atheistischen
Lehren zu verkünden. Allein die leitenden Köpfe der Bewegung in Hamburg
und Leipzig dürften dem ganzen Unfug mit sehr gemischten Gefühlen zugesehen
haben und, vielleicht ist auf ihre Initiative die ungewohnte Reserve znrttckzu-


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[0035] Und noch waren es die Sozialdemokraten, welche abbrachen! Sie erklärten daß sie ihr Prinzip hinreichend gewahrt, ihre Macht fühlbar genug dokumen- tirt hätten und den Gegnern im Uebrigen ihre unschädliche Agitation nicht weiter verkümmern wollten. Um sie wieder hervorzulocken, ließen die Staats- sazialisten durch einen früheren Agitator der Sozialdemokratie einen offenen Brief an Most richten, der ihn unter den schwersten Beleidigungen zum ora- torischen Zweikampfe herausforderte, allein Most zog es aus irgend welchen Gründen vor, nicht zu erscheinen, sondern ließ nur die Versammlung sprengen, worauf sich die Staatssozialisten hinter verschlossene Thüren zurückgezogen haben und ihre Konventikel unter sich abhalten. Lorbeern und Trophäen hat keine der beiden Parteien aus dem Feld¬ zuge davongetragen. Auch von liberaler Seite ist der Muth Stöckers und seiner Kollegen anerkennend hervorgehoben worden; stellt man sich auf diesen Standpunkt, dann sollte man wenigstens auch den Muth der liberalen Männer rühmen, welche namentlich in den sechziger Jahren unter ungleich schwierigeren Verhältnissen — denn damals waren sie oft nicht vor handgreiflichen Brutali¬ täten sicher — in sozialdemokratischen Versammlungen aufgetreten sind und gesprochen haben. Aber in der That — was bedeutet ein solcher doch immer nur relative Muth, wenn er um einer günstigen, persönlichen Pose willen Interessen der Sache preisgiebt, welche er verfechten will? Kann denn irgend Jemand annehmen, daß das Ansehen und die Würde der Kirche durch solche — sit vzius. vsrbo — Geisteskämpfe gefördert ist? Liegt es nicht vielmehr auf der Hand, daß sie in den Augen der aufrichtigen und einfachen Leute aus dem Volke durch solche prahlerisch-leeren Schaustellungen nur geschädigt wird? Soviel vom Standpunkte der Staatssozialisten selbst; dazu kommt noch die lauge Rechnung, welche sie bei diesen Debatten durch die unbedachtsamer und unbesonnenen Konzessionen in wirthschaftlicher Beziehung aufsnmmirt haben. Was- aber die Sozialdemokratin angeht, so hat sich die krasse Leerheit ihres geistigen Wesens in so abschreckender Weise gezeigt, wie selten vorher. Ferner hat die Partei ein schweres Präcedens geschaffen in der religiösen Frage, das ihr in der Folge schmerzliche Nackenschläge versetzen muß und wird. Hassel¬ mann ist es zwar noch mit genauer Noth gelungen, seine Ernte unter Dach und Fach zu bringen; er hat den rheinisch-westfälischen Arbeiterbund glücklich zu Staude gebracht, seine ultramontanen Gehilfen selbstverständlich damit ge¬ lohnt, daß er sie sofort hinausdrängte und um gleich den Spott zum Schaden zu fügen, Most nach Barmer kommen lassen, um auch dort seine atheistischen Lehren zu verkünden. Allein die leitenden Köpfe der Bewegung in Hamburg und Leipzig dürften dem ganzen Unfug mit sehr gemischten Gefühlen zugesehen haben und, vielleicht ist auf ihre Initiative die ungewohnte Reserve znrttckzu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/35>, abgerufen am 01.09.2024.