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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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schließt. Denn da dieser Staat Grund und Boden, so wie alle gesellschaft¬
lichen Arbeitswerkzenge in seinem Besitze hat und seine einzelnen Mitglieder
eigenthumslos sind, so versteht es sich von selbst, daß er keine Kapellen, Kir¬
chen, Orgeln bauen, Bibeln drucken le. wird; "privaten" Neigungen dienstbar
zu sein, hat er offenbar weder die Pflicht, noch anch nur das Recht. Jeden¬
falls gehören religiöse Debatten uicht zu den Lieblingsdisknssionen der sozial¬
demokratischen Agitatoren, und in den letzten Monaten war es um so weniger
der Fall, als Hnsselmann im Rheinlande gemeinsam mit mehreren katholisch-
sozialen Arbeiterführern die Errichtung eines großen rheinisch-westfälischen
Bergarbeiterbundes betrieb, wobei natürlich die atheistischen Krallen möglichst
eingezogen werden mußten. Unter diesen Umständen würde der Zungenkampf
mit deu staatssvzialistischen Geistlichen einem gewiegteren Führer der Berliner
Sozialdemokratie vielleicht Sorgen gemacht haben, allein Herr Most, selbst
unter seinen Genossen ein unübertrefflich klassisches Muster jener vielberufenen
Halbbildung, welche am liebsten an Gott und Unsterblichkeit ihren banausisch-
griesenden Größenwahn austobt, stürzte sich mit besonderer Wollust in solche
Disputationen.

Die längere Reihe der Versammlungen, in denen sich Hr. Stöcker und
Hr. Most nebst ihren beiderseitigen Adjutanten entgegentraten, im Einzelnen
aufzuzählen oder gar zu schildern, hat an dieser Stelle keinen Zweck. Eine
war wie die andere. Hier ein Redner, -der den seichtesten Abhub des seichtesten
Atheismus in den denkbar gröbsten Cynismen predigte, dort ein Geistlicher,
der in feinen, oft formschönen und immer tief erregenden Worten den Arbeitern
ihre elende Lage schilderte und ihnen für den Fall ihrer Bekehrung Wechsel
ausstellte, von deren Tragweite er augenscheinlich nicht die leiseste Ahnung
hatte, als Schiedsrichter waltend eine brüllende, stampfende, tobende Menge,
welche einen so herrlichen Spaß seit langen Jahren nicht erlebt hatte -- genug,
selten ist das Vereins- und Versammlungsrecht mehr kompromittirt worden-
Und doch war alles das nur ein Kinderspiel gegen die Frauen- und Mädchen¬
versammlung, in welcher Most mit dem Missionsprediger Wangemann focht.
Schade, daß ihr nicht alle Schwärmer für Weiberemanzipation beiwohnen
konnten! Ein grauenhaft-lächerlicheres, ein burlesk-widerlicheres Bild ist nicht
denkbar; unwillkürlich fiel dem schaudernden Beobachter jenes Wort ein, welches
Voltaire einst über seine Landsleute fällte: assises halb und halb tigerhaft
stellten sich diese Wesen dar, und um so tiefer haftete der Eindruck, je frischer
und schöner die einzelnen Gestalten waren, welche mit frechem Schnattern und
Wiehern an jene höchsten Fragen rührten, welchen der fromme Sinn des
Weibes in gesitteten Völkern sonst nur tiefe Ehrfurcht weiht. Nur zu lange
währte der schauerliche Spuk, ehe die wahnsinnige Leidenschaft gesättigt war.


schließt. Denn da dieser Staat Grund und Boden, so wie alle gesellschaft¬
lichen Arbeitswerkzenge in seinem Besitze hat und seine einzelnen Mitglieder
eigenthumslos sind, so versteht es sich von selbst, daß er keine Kapellen, Kir¬
chen, Orgeln bauen, Bibeln drucken le. wird; „privaten" Neigungen dienstbar
zu sein, hat er offenbar weder die Pflicht, noch anch nur das Recht. Jeden¬
falls gehören religiöse Debatten uicht zu den Lieblingsdisknssionen der sozial¬
demokratischen Agitatoren, und in den letzten Monaten war es um so weniger
der Fall, als Hnsselmann im Rheinlande gemeinsam mit mehreren katholisch-
sozialen Arbeiterführern die Errichtung eines großen rheinisch-westfälischen
Bergarbeiterbundes betrieb, wobei natürlich die atheistischen Krallen möglichst
eingezogen werden mußten. Unter diesen Umständen würde der Zungenkampf
mit deu staatssvzialistischen Geistlichen einem gewiegteren Führer der Berliner
Sozialdemokratie vielleicht Sorgen gemacht haben, allein Herr Most, selbst
unter seinen Genossen ein unübertrefflich klassisches Muster jener vielberufenen
Halbbildung, welche am liebsten an Gott und Unsterblichkeit ihren banausisch-
griesenden Größenwahn austobt, stürzte sich mit besonderer Wollust in solche
Disputationen.

Die längere Reihe der Versammlungen, in denen sich Hr. Stöcker und
Hr. Most nebst ihren beiderseitigen Adjutanten entgegentraten, im Einzelnen
aufzuzählen oder gar zu schildern, hat an dieser Stelle keinen Zweck. Eine
war wie die andere. Hier ein Redner, -der den seichtesten Abhub des seichtesten
Atheismus in den denkbar gröbsten Cynismen predigte, dort ein Geistlicher,
der in feinen, oft formschönen und immer tief erregenden Worten den Arbeitern
ihre elende Lage schilderte und ihnen für den Fall ihrer Bekehrung Wechsel
ausstellte, von deren Tragweite er augenscheinlich nicht die leiseste Ahnung
hatte, als Schiedsrichter waltend eine brüllende, stampfende, tobende Menge,
welche einen so herrlichen Spaß seit langen Jahren nicht erlebt hatte — genug,
selten ist das Vereins- und Versammlungsrecht mehr kompromittirt worden-
Und doch war alles das nur ein Kinderspiel gegen die Frauen- und Mädchen¬
versammlung, in welcher Most mit dem Missionsprediger Wangemann focht.
Schade, daß ihr nicht alle Schwärmer für Weiberemanzipation beiwohnen
konnten! Ein grauenhaft-lächerlicheres, ein burlesk-widerlicheres Bild ist nicht
denkbar; unwillkürlich fiel dem schaudernden Beobachter jenes Wort ein, welches
Voltaire einst über seine Landsleute fällte: assises halb und halb tigerhaft
stellten sich diese Wesen dar, und um so tiefer haftete der Eindruck, je frischer
und schöner die einzelnen Gestalten waren, welche mit frechem Schnattern und
Wiehern an jene höchsten Fragen rührten, welchen der fromme Sinn des
Weibes in gesitteten Völkern sonst nur tiefe Ehrfurcht weiht. Nur zu lange
währte der schauerliche Spuk, ehe die wahnsinnige Leidenschaft gesättigt war.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/34>, abgerufen am 09.11.2024.