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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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ein wesenloser Schatten früherer Macht und Herrlichkeit. Von den Kurfürsten-
thümern und Fürstenthümern geistlichen und weltlichen Ursprungs an bis
zu den reichsgräflichen, städtischen und ritterschaftlichen Territorien herab,
hatte sich eine bunte Masse von Gebieten ausgebildet mit besonderen Grund¬
gesetzen, eigener Rechtspflege und Polizei, eigenen Steuern, eigenen Kriegsord¬
nungen, mit dem anerkannten Rechte Krieg zu führen, Frieden zu schließen
und völkerrechtliche Bündnisse einzugehen. Hätte auch vielleicht eine bedeutende
Persönlichkeit, mit einer starken Hausmacht hinter sich, Einfluß auf die deut¬
schen Verhältnisse gewinnen können, so war doch auf dem Haupte eines
Schwachen die römische Kaiserkrone nichts weiter als ein Streifen Metall. Im
Süden Deutschlands, speziell in Oesterreich und Baiern, zogen die Jesuiten
ein und sicher waren sie schuldlos, wenn in jenen Ländern der deutsch-nationale
Sinn nicht gänzlich gebrochen wurde. Wenn aber irgend etwas auf die Ent¬
wicklung und Erhaltung der Staaten von Einfluß ist, so sicher der nationale
Geist. Dieser fand eine Zufluchtsstätte im Norden Deutschlands, in Preußen.
Friedrich der Große gab zuerst dem deutschen Volke das aufblitzende Bewußt¬
sein nationaler Bedeutung, welches seit Jahrhunderten verloren gegangen war.
Das höchste Interesse des deutschen Volkes lag in der Befreiung von der un¬
erträglichen geistlichen und weltlichen Herrschaft des Auslandes, mochte das¬
selbe nun jenseits der Berge, auf der andern Seite des Rheins oder über dem
Meere liegen. Die Hohenzollern verstanden dies Interesse, darin lag ihre
Macht und Bedeutung.

Jede Zeit gleicht, wie Heine sagt, einer Sphinx, die in die Erde versinkt,
wenn ihr Räthsel gelöst ist. Unserer Zeit war es vorbehalten, das große
nationale Räthsel zu lösen. Wurden gleichzeitig unsaubere Elemente entfesselt,
so trägt nicht das neue Reich die Schuld daran. Ans dem Dogma, welches
Gewissensfreiheit für Wahnsinn erklärt, erwuchs nothwendig ein Dogma des
Unglaubens, das unter Verleugnung aller Ideale ein entnationalisirtes Eu-
nuchenthum großzieht.

Nach Allem was frisch vor unseren Augen steht, bedarf es wohl keiner
weiteren vergleichenden Erörterungen zwischen dem alten und neuen Reich.
Eine starke Armee bewacht unsere Grenzen, eine aufblühende Marine schützt
das Deutschthum auch in fernen Zonen, bald wird es nur ein deutsches Recht
geben und hoffentlich ist die Zeit nicht fern, wo das Reich auch in finanzieller
Beziehung auf eigenen Füßen steht. Kein Reichserzkanzler durch Gallien und
Arelat läßt sich von Wind und Wellen treiben, sondern ein Reichskanzler von
echtem deutschem Schrot und Korn führt mit kräftiger Hand das Steuer. An
der Spitze des Reichs aber steht der große Hohenzollern-Kaiser, "allezeit Mehrer
des Reichs, nicht an kriegerischen Eroberungen, sondern an Gütern des Frie-


ein wesenloser Schatten früherer Macht und Herrlichkeit. Von den Kurfürsten-
thümern und Fürstenthümern geistlichen und weltlichen Ursprungs an bis
zu den reichsgräflichen, städtischen und ritterschaftlichen Territorien herab,
hatte sich eine bunte Masse von Gebieten ausgebildet mit besonderen Grund¬
gesetzen, eigener Rechtspflege und Polizei, eigenen Steuern, eigenen Kriegsord¬
nungen, mit dem anerkannten Rechte Krieg zu führen, Frieden zu schließen
und völkerrechtliche Bündnisse einzugehen. Hätte auch vielleicht eine bedeutende
Persönlichkeit, mit einer starken Hausmacht hinter sich, Einfluß auf die deut¬
schen Verhältnisse gewinnen können, so war doch auf dem Haupte eines
Schwachen die römische Kaiserkrone nichts weiter als ein Streifen Metall. Im
Süden Deutschlands, speziell in Oesterreich und Baiern, zogen die Jesuiten
ein und sicher waren sie schuldlos, wenn in jenen Ländern der deutsch-nationale
Sinn nicht gänzlich gebrochen wurde. Wenn aber irgend etwas auf die Ent¬
wicklung und Erhaltung der Staaten von Einfluß ist, so sicher der nationale
Geist. Dieser fand eine Zufluchtsstätte im Norden Deutschlands, in Preußen.
Friedrich der Große gab zuerst dem deutschen Volke das aufblitzende Bewußt¬
sein nationaler Bedeutung, welches seit Jahrhunderten verloren gegangen war.
Das höchste Interesse des deutschen Volkes lag in der Befreiung von der un¬
erträglichen geistlichen und weltlichen Herrschaft des Auslandes, mochte das¬
selbe nun jenseits der Berge, auf der andern Seite des Rheins oder über dem
Meere liegen. Die Hohenzollern verstanden dies Interesse, darin lag ihre
Macht und Bedeutung.

Jede Zeit gleicht, wie Heine sagt, einer Sphinx, die in die Erde versinkt,
wenn ihr Räthsel gelöst ist. Unserer Zeit war es vorbehalten, das große
nationale Räthsel zu lösen. Wurden gleichzeitig unsaubere Elemente entfesselt,
so trägt nicht das neue Reich die Schuld daran. Ans dem Dogma, welches
Gewissensfreiheit für Wahnsinn erklärt, erwuchs nothwendig ein Dogma des
Unglaubens, das unter Verleugnung aller Ideale ein entnationalisirtes Eu-
nuchenthum großzieht.

Nach Allem was frisch vor unseren Augen steht, bedarf es wohl keiner
weiteren vergleichenden Erörterungen zwischen dem alten und neuen Reich.
Eine starke Armee bewacht unsere Grenzen, eine aufblühende Marine schützt
das Deutschthum auch in fernen Zonen, bald wird es nur ein deutsches Recht
geben und hoffentlich ist die Zeit nicht fern, wo das Reich auch in finanzieller
Beziehung auf eigenen Füßen steht. Kein Reichserzkanzler durch Gallien und
Arelat läßt sich von Wind und Wellen treiben, sondern ein Reichskanzler von
echtem deutschem Schrot und Korn führt mit kräftiger Hand das Steuer. An
der Spitze des Reichs aber steht der große Hohenzollern-Kaiser, „allezeit Mehrer
des Reichs, nicht an kriegerischen Eroberungen, sondern an Gütern des Frie-


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[0337] ein wesenloser Schatten früherer Macht und Herrlichkeit. Von den Kurfürsten- thümern und Fürstenthümern geistlichen und weltlichen Ursprungs an bis zu den reichsgräflichen, städtischen und ritterschaftlichen Territorien herab, hatte sich eine bunte Masse von Gebieten ausgebildet mit besonderen Grund¬ gesetzen, eigener Rechtspflege und Polizei, eigenen Steuern, eigenen Kriegsord¬ nungen, mit dem anerkannten Rechte Krieg zu führen, Frieden zu schließen und völkerrechtliche Bündnisse einzugehen. Hätte auch vielleicht eine bedeutende Persönlichkeit, mit einer starken Hausmacht hinter sich, Einfluß auf die deut¬ schen Verhältnisse gewinnen können, so war doch auf dem Haupte eines Schwachen die römische Kaiserkrone nichts weiter als ein Streifen Metall. Im Süden Deutschlands, speziell in Oesterreich und Baiern, zogen die Jesuiten ein und sicher waren sie schuldlos, wenn in jenen Ländern der deutsch-nationale Sinn nicht gänzlich gebrochen wurde. Wenn aber irgend etwas auf die Ent¬ wicklung und Erhaltung der Staaten von Einfluß ist, so sicher der nationale Geist. Dieser fand eine Zufluchtsstätte im Norden Deutschlands, in Preußen. Friedrich der Große gab zuerst dem deutschen Volke das aufblitzende Bewußt¬ sein nationaler Bedeutung, welches seit Jahrhunderten verloren gegangen war. Das höchste Interesse des deutschen Volkes lag in der Befreiung von der un¬ erträglichen geistlichen und weltlichen Herrschaft des Auslandes, mochte das¬ selbe nun jenseits der Berge, auf der andern Seite des Rheins oder über dem Meere liegen. Die Hohenzollern verstanden dies Interesse, darin lag ihre Macht und Bedeutung. Jede Zeit gleicht, wie Heine sagt, einer Sphinx, die in die Erde versinkt, wenn ihr Räthsel gelöst ist. Unserer Zeit war es vorbehalten, das große nationale Räthsel zu lösen. Wurden gleichzeitig unsaubere Elemente entfesselt, so trägt nicht das neue Reich die Schuld daran. Ans dem Dogma, welches Gewissensfreiheit für Wahnsinn erklärt, erwuchs nothwendig ein Dogma des Unglaubens, das unter Verleugnung aller Ideale ein entnationalisirtes Eu- nuchenthum großzieht. Nach Allem was frisch vor unseren Augen steht, bedarf es wohl keiner weiteren vergleichenden Erörterungen zwischen dem alten und neuen Reich. Eine starke Armee bewacht unsere Grenzen, eine aufblühende Marine schützt das Deutschthum auch in fernen Zonen, bald wird es nur ein deutsches Recht geben und hoffentlich ist die Zeit nicht fern, wo das Reich auch in finanzieller Beziehung auf eigenen Füßen steht. Kein Reichserzkanzler durch Gallien und Arelat läßt sich von Wind und Wellen treiben, sondern ein Reichskanzler von echtem deutschem Schrot und Korn führt mit kräftiger Hand das Steuer. An der Spitze des Reichs aber steht der große Hohenzollern-Kaiser, „allezeit Mehrer des Reichs, nicht an kriegerischen Eroberungen, sondern an Gütern des Frie-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/337>, abgerufen am 27.07.2024.