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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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Um einen Begriff davon zu geben, wie bunt die Reichsarmee zusammen¬
gesetzt war, greifen wir zwei Beispiele heraus. Das Korps des schwäbischen
Kreises, welches 1793 gegen Frankreich am Oberrhein gestellt wurde, sollte aus
vier Infanterie-Regimentern zu 1690 Mann und aus zwei Kavallerie-Regimentern
zu 592 Pferden bestehen, während die benöthigte Artillerie Herzog Karl von
Würtemberg lehnungsw else hergab. Nicht weniger als 96 Kontingents-
Herren und Damen, denn auch vier Aebtissinnen sandten ihre Kriegsvölker,
waren in diesem Korps vertreten. Am gemischtesten war das Reiter-Regiment
Zollern, das aus 61 verschiedenen Kontingenten bestand, deren vier nur durch
je einen Reiter repräsentirt wurden. Wenn nun auch bei der Zusammen¬
setzung der Regimenter und Bataillone weniger auf die Lage der einzelnen
Standesländer, als vielmehr auf die Gleichmäßigkeit des religiösen Bekenntnisses
Rücksicht genommen wurde, so blieben beim Schwäbischen Kreiskvrps doch
wenigstens die einzelnen Kontingente beisammen. Der Fränkische Kreis hatte
aber im Jahre 1757 bei Formirung der Reichsexecutions-Armee gegen Friedrich
den Großen den Nonsens auf die Spitze getrieben, indem er seine 68 Kontin¬
gente grundsätzlich allen Regimentern thunlichst zu gleichen Theilen überwies.
Dadurch wurden auch die größeren Kontingente, die den betreffenden Regimen¬
tern doch noch einen gewissen Halt gaben, auseinander gerissen. Nicht überall
ließ sich das Prinzip durchführen. So hatte unter andern der deutsche Orden,
weil das grade bei dem Anschlage nach der Geldmatrikel passend befunden wor¬
den war, nur einen Solo-Fähnrich zu stellen, der im Ensemble eine traurige
Rolle gespielt haben mag.

Welche Erwartungen durfte man nun wohl von einem so zusammenge¬
würfelten Truppenkorps hegen, dessen einzelne Theile nur zu häufig aus
zusammengelaufenem Gesinde! bestanden, ohne militärische Ausbildung, ohne
Zucht und Disziplin! Mochten auch immerhin an den Kreistagen normative
Bestimmungen in Bezug auf Bekleidung, Ausrüstung :c. gegeben werden, die
Meisten Kontingente beharrten bei ihren berechtigten Eigenthümlichkeiten. In
den Hauptsachen herrschte nirgends Uebereinstimmung, nicht einmal in der Be¬
waffnung. Abgesehen von den größeren Ständen, deren Truppen eine wirkliche
militärische Ausbildung genossen, verwandten die Reichsstädte ihre zuweilen der
Tagelöhnerznnft angehörige Friedens-Soldateska zu Polizei- und Büttelldiensten,
während in den gräflichen Residenzen die Schloßgardisten Vormittags das
Gewehr schulterten und Nachmittags auf der herrschaftlichen Kutsche als La¬
kaien hinten auf standen. Wie konnte wohl in den winzigen Staaten, wo
theilweise Gevatter Schneider und Handschuhmacher, geistliche Herren und Nonnen
das Regiment führten, ein ächter Soldatengeist aufkommen. Die Leute im
Reich wußten auch sehr wohl, daß ihre Kreis- und Stadtsoldaten ein Spott


Um einen Begriff davon zu geben, wie bunt die Reichsarmee zusammen¬
gesetzt war, greifen wir zwei Beispiele heraus. Das Korps des schwäbischen
Kreises, welches 1793 gegen Frankreich am Oberrhein gestellt wurde, sollte aus
vier Infanterie-Regimentern zu 1690 Mann und aus zwei Kavallerie-Regimentern
zu 592 Pferden bestehen, während die benöthigte Artillerie Herzog Karl von
Würtemberg lehnungsw else hergab. Nicht weniger als 96 Kontingents-
Herren und Damen, denn auch vier Aebtissinnen sandten ihre Kriegsvölker,
waren in diesem Korps vertreten. Am gemischtesten war das Reiter-Regiment
Zollern, das aus 61 verschiedenen Kontingenten bestand, deren vier nur durch
je einen Reiter repräsentirt wurden. Wenn nun auch bei der Zusammen¬
setzung der Regimenter und Bataillone weniger auf die Lage der einzelnen
Standesländer, als vielmehr auf die Gleichmäßigkeit des religiösen Bekenntnisses
Rücksicht genommen wurde, so blieben beim Schwäbischen Kreiskvrps doch
wenigstens die einzelnen Kontingente beisammen. Der Fränkische Kreis hatte
aber im Jahre 1757 bei Formirung der Reichsexecutions-Armee gegen Friedrich
den Großen den Nonsens auf die Spitze getrieben, indem er seine 68 Kontin¬
gente grundsätzlich allen Regimentern thunlichst zu gleichen Theilen überwies.
Dadurch wurden auch die größeren Kontingente, die den betreffenden Regimen¬
tern doch noch einen gewissen Halt gaben, auseinander gerissen. Nicht überall
ließ sich das Prinzip durchführen. So hatte unter andern der deutsche Orden,
weil das grade bei dem Anschlage nach der Geldmatrikel passend befunden wor¬
den war, nur einen Solo-Fähnrich zu stellen, der im Ensemble eine traurige
Rolle gespielt haben mag.

Welche Erwartungen durfte man nun wohl von einem so zusammenge¬
würfelten Truppenkorps hegen, dessen einzelne Theile nur zu häufig aus
zusammengelaufenem Gesinde! bestanden, ohne militärische Ausbildung, ohne
Zucht und Disziplin! Mochten auch immerhin an den Kreistagen normative
Bestimmungen in Bezug auf Bekleidung, Ausrüstung :c. gegeben werden, die
Meisten Kontingente beharrten bei ihren berechtigten Eigenthümlichkeiten. In
den Hauptsachen herrschte nirgends Uebereinstimmung, nicht einmal in der Be¬
waffnung. Abgesehen von den größeren Ständen, deren Truppen eine wirkliche
militärische Ausbildung genossen, verwandten die Reichsstädte ihre zuweilen der
Tagelöhnerznnft angehörige Friedens-Soldateska zu Polizei- und Büttelldiensten,
während in den gräflichen Residenzen die Schloßgardisten Vormittags das
Gewehr schulterten und Nachmittags auf der herrschaftlichen Kutsche als La¬
kaien hinten auf standen. Wie konnte wohl in den winzigen Staaten, wo
theilweise Gevatter Schneider und Handschuhmacher, geistliche Herren und Nonnen
das Regiment führten, ein ächter Soldatengeist aufkommen. Die Leute im
Reich wußten auch sehr wohl, daß ihre Kreis- und Stadtsoldaten ein Spott


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[0335] Um einen Begriff davon zu geben, wie bunt die Reichsarmee zusammen¬ gesetzt war, greifen wir zwei Beispiele heraus. Das Korps des schwäbischen Kreises, welches 1793 gegen Frankreich am Oberrhein gestellt wurde, sollte aus vier Infanterie-Regimentern zu 1690 Mann und aus zwei Kavallerie-Regimentern zu 592 Pferden bestehen, während die benöthigte Artillerie Herzog Karl von Würtemberg lehnungsw else hergab. Nicht weniger als 96 Kontingents- Herren und Damen, denn auch vier Aebtissinnen sandten ihre Kriegsvölker, waren in diesem Korps vertreten. Am gemischtesten war das Reiter-Regiment Zollern, das aus 61 verschiedenen Kontingenten bestand, deren vier nur durch je einen Reiter repräsentirt wurden. Wenn nun auch bei der Zusammen¬ setzung der Regimenter und Bataillone weniger auf die Lage der einzelnen Standesländer, als vielmehr auf die Gleichmäßigkeit des religiösen Bekenntnisses Rücksicht genommen wurde, so blieben beim Schwäbischen Kreiskvrps doch wenigstens die einzelnen Kontingente beisammen. Der Fränkische Kreis hatte aber im Jahre 1757 bei Formirung der Reichsexecutions-Armee gegen Friedrich den Großen den Nonsens auf die Spitze getrieben, indem er seine 68 Kontin¬ gente grundsätzlich allen Regimentern thunlichst zu gleichen Theilen überwies. Dadurch wurden auch die größeren Kontingente, die den betreffenden Regimen¬ tern doch noch einen gewissen Halt gaben, auseinander gerissen. Nicht überall ließ sich das Prinzip durchführen. So hatte unter andern der deutsche Orden, weil das grade bei dem Anschlage nach der Geldmatrikel passend befunden wor¬ den war, nur einen Solo-Fähnrich zu stellen, der im Ensemble eine traurige Rolle gespielt haben mag. Welche Erwartungen durfte man nun wohl von einem so zusammenge¬ würfelten Truppenkorps hegen, dessen einzelne Theile nur zu häufig aus zusammengelaufenem Gesinde! bestanden, ohne militärische Ausbildung, ohne Zucht und Disziplin! Mochten auch immerhin an den Kreistagen normative Bestimmungen in Bezug auf Bekleidung, Ausrüstung :c. gegeben werden, die Meisten Kontingente beharrten bei ihren berechtigten Eigenthümlichkeiten. In den Hauptsachen herrschte nirgends Uebereinstimmung, nicht einmal in der Be¬ waffnung. Abgesehen von den größeren Ständen, deren Truppen eine wirkliche militärische Ausbildung genossen, verwandten die Reichsstädte ihre zuweilen der Tagelöhnerznnft angehörige Friedens-Soldateska zu Polizei- und Büttelldiensten, während in den gräflichen Residenzen die Schloßgardisten Vormittags das Gewehr schulterten und Nachmittags auf der herrschaftlichen Kutsche als La¬ kaien hinten auf standen. Wie konnte wohl in den winzigen Staaten, wo theilweise Gevatter Schneider und Handschuhmacher, geistliche Herren und Nonnen das Regiment führten, ein ächter Soldatengeist aufkommen. Die Leute im Reich wußten auch sehr wohl, daß ihre Kreis- und Stadtsoldaten ein Spott

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/335>, abgerufen am 27.07.2024.