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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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folgt dieselbe Libation beim Diner, in Rothwein und -- Cognac. Diejenigen,
die nur soviel trinken, sind Tugendhelden. Der Unmäßige trinkt bei weitem
mehr, mehr Wein, mehr Kinesttss, und zwischen den Mahlzeiten auch Absinth.
Der Maßstab zur Würdigung der eigenen Tugend fehlt auch denen nie, welche,
am Alkoholismus leidend, das Spital bevölkern. Sie setzen der Frage des
Arztes, ob sie denn trinken bona. nah die stolze Antwort entgegen: "Ich trinke
nie alkoholische Getränke." Denn 3^2 Liter Rothwein täglich können doch
nicht Alkoholismus veranlassen. Rothwein zählt ja nach Ansicht dieser biedern
Arbeiter überhaupt nicht zu den alkoholhaltigen Getränken.

Ganz dieselben "Erfrischungen" an geistigen Getränken, mindestens in der¬
selben Menge, höchstens von besserer Qualität, nehmen auch die vornehmen
Klassen Frankreichs zu sich. "Reichliche Quantitäten Rothwein bei jeder Mahl¬
zeit, Cognac zu jeder Tasse Kaffee, Absinth im Laufe des Tages. Die Damen
maskiren ihre Trunksucht, an der sie ebenso wie die Männer leiden, unter
graziösen Namen und zärtelnden Manieren. Eine Dame wird natürlich nie
einen Absinth nehmen, ü anno! Allein sie schlürft mit Behagen ihre Serie
von Gläschen grüner Chartreuse, "welche die Verdauung befördert", goldener
Beuediktine, "welche die Nerven beruhigt", duftender "sa,r>. av welisso äos
cMinss", "welche die Migraine verscheucht" u. s. w. Und mit all diesen ele¬
ganten Kalmirungsmittelchen gelangen vornehme Damen zur wohlkonditionirten
Knpfernase und zum -- Säuferwahnsinn." Daß man Wasser trinken könne,
um seinen Durst zu löschen, ist dem Franzosen unfaßbar. Im Kaf6 oder im
Restaurant gibt es keine Wassergläser. In Gesellschaft erhält man Rothwein
oder Fruchtsyrup mit Wasser, wenn man über Durst klagt. "Die meisten
Pariser wachsen heran, werden alt und sterben, ohne je einen Tropfen reinen
Wassers über ihre Lippen gebracht zu haben; es ist absolut buchstäblich zu
nehmen, daß unter hundert Parisern kaum einer weiß, wie Wasser ohne Bei¬
mischung von Zucker, Shrup oder Cognac schmeckt. Den besten Beweis hier¬
für liefern die vierzig Trinkbrunnen, die ein englischer Gallomane Sir Richard
Wallace auf seine Kosten in verschiedenen Theilen der Stadt Paris anlegen
und mit je zwei Trinkschalen versehen ließ. Paris brach in ein ungeheures
Gelächter ans. Die Witzblätter verspotteten den wohlmeinenden Engländer
unaufhörlich. Die Brunnen benützte man, um Hunde zu tränken und Kinder
zu waschen; "wenn ein Fremder einmal an einem solchen Wallace-Brunnen
trank, so bildete sich eine Ansammlung um ihn und man starrte ihn an, als
ob er ein Horn auf der Nase trüge". Jetzt ist allerdings bereits ein Um¬
schwung der öffentlichen Meinung eingetreten und die vierzig Brunnen ziehen
ganz unmerklich in Paris eine Generation von Wassertrinkern heran.

Wir sind dieser Darstellung des Verfassers eingehender gefolgt, um daran


folgt dieselbe Libation beim Diner, in Rothwein und — Cognac. Diejenigen,
die nur soviel trinken, sind Tugendhelden. Der Unmäßige trinkt bei weitem
mehr, mehr Wein, mehr Kinesttss, und zwischen den Mahlzeiten auch Absinth.
Der Maßstab zur Würdigung der eigenen Tugend fehlt auch denen nie, welche,
am Alkoholismus leidend, das Spital bevölkern. Sie setzen der Frage des
Arztes, ob sie denn trinken bona. nah die stolze Antwort entgegen: „Ich trinke
nie alkoholische Getränke." Denn 3^2 Liter Rothwein täglich können doch
nicht Alkoholismus veranlassen. Rothwein zählt ja nach Ansicht dieser biedern
Arbeiter überhaupt nicht zu den alkoholhaltigen Getränken.

Ganz dieselben „Erfrischungen" an geistigen Getränken, mindestens in der¬
selben Menge, höchstens von besserer Qualität, nehmen auch die vornehmen
Klassen Frankreichs zu sich. „Reichliche Quantitäten Rothwein bei jeder Mahl¬
zeit, Cognac zu jeder Tasse Kaffee, Absinth im Laufe des Tages. Die Damen
maskiren ihre Trunksucht, an der sie ebenso wie die Männer leiden, unter
graziösen Namen und zärtelnden Manieren. Eine Dame wird natürlich nie
einen Absinth nehmen, ü anno! Allein sie schlürft mit Behagen ihre Serie
von Gläschen grüner Chartreuse, „welche die Verdauung befördert", goldener
Beuediktine, „welche die Nerven beruhigt", duftender „sa,r>. av welisso äos
cMinss", „welche die Migraine verscheucht" u. s. w. Und mit all diesen ele¬
ganten Kalmirungsmittelchen gelangen vornehme Damen zur wohlkonditionirten
Knpfernase und zum — Säuferwahnsinn." Daß man Wasser trinken könne,
um seinen Durst zu löschen, ist dem Franzosen unfaßbar. Im Kaf6 oder im
Restaurant gibt es keine Wassergläser. In Gesellschaft erhält man Rothwein
oder Fruchtsyrup mit Wasser, wenn man über Durst klagt. „Die meisten
Pariser wachsen heran, werden alt und sterben, ohne je einen Tropfen reinen
Wassers über ihre Lippen gebracht zu haben; es ist absolut buchstäblich zu
nehmen, daß unter hundert Parisern kaum einer weiß, wie Wasser ohne Bei¬
mischung von Zucker, Shrup oder Cognac schmeckt. Den besten Beweis hier¬
für liefern die vierzig Trinkbrunnen, die ein englischer Gallomane Sir Richard
Wallace auf seine Kosten in verschiedenen Theilen der Stadt Paris anlegen
und mit je zwei Trinkschalen versehen ließ. Paris brach in ein ungeheures
Gelächter ans. Die Witzblätter verspotteten den wohlmeinenden Engländer
unaufhörlich. Die Brunnen benützte man, um Hunde zu tränken und Kinder
zu waschen; „wenn ein Fremder einmal an einem solchen Wallace-Brunnen
trank, so bildete sich eine Ansammlung um ihn und man starrte ihn an, als
ob er ein Horn auf der Nase trüge". Jetzt ist allerdings bereits ein Um¬
schwung der öffentlichen Meinung eingetreten und die vierzig Brunnen ziehen
ganz unmerklich in Paris eine Generation von Wassertrinkern heran.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/310>, abgerufen am 27.07.2024.