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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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diese Feuerprobe nicht mehr, dann freilich läge der Verdacht nahe, daß sie in
ihrem innersten Kerne verfault sei. Allein gerade eine ernste und sachliche
Diskussion ist es, welche die Gelehrten des "Staatssozialist" mit seltener Be¬
harrlichkeit vermeiden; ihr Organ weiß zwar die zustimmenden Aeußerungen
irgend welcher unbekannter Winkelblättchen regelmäßig zu entdecken und zu
registriren. allein noch hat es keine Neigung oder Zeit gehabt, sich mit den
schwerwiegenden Bedenken auseinandersetzen, welche die leitenden Blätter aller
Parteien einschließlich der "Kreuzzeitung" gegen das Treiben seiner Patrone
geltend gemacht haben. Jene Unfehlbarkeit, welche leider in gewissen Kreisen
der protestantischen Geistlichkeit eine unerfreuliche Heimstätte gefunden hat, ist
die Signatur dieses Sozialismus, wie sich ja überhaupt die Extreme auch
darin berühren, daß aller Sozialismus einen unausrottbaren Hang hat, in-
fallibel zu sein. Konzedirt doch Pastor Todt in der ebeu erschienenen zweiten
Auflage seines Buchs über den "radikalen deutschen Sozialismus", gewisser¬
maßen der staatssozialistischen Bibel, nicht einmal so viel den Gewohnheiten
Profaner Schriftstellerei, daß er die zahlreichen, thatsächlichen Unrichtigkeiten
berichtigt, welche die Kritik ihm nachgewiesen hat; weiß er doch nur wieder
und wieder mit einer weniger überzeugenden, als salbungsvollen Zuversicht zu
wiederholen, daß die Prinzipien der deutschen Sozialdemokratie "evangelische,
göttliche Wahrheiten" enthalten! Allerdings um diskutiren zu können, muß
man einigermaßen wissen, was man will und in diesem Betrachte stehen die
Staatssozialisten noch unter den Sozialdemokraten, die denn doch nicht allein
die Arbeiter gegen die bestehenden Zustände aufhetzen, sondern auch ein Univer-
salheilmittel fix und fertig in der Tasche zu haben glauben. Bestimmte Grund¬
sätze zu entdecken, welche der "Staatssozialist" versieht, ist eine paare Unmög¬
lichkeit; konsolidiren sich seiue allgemeinen, mit mehr oder minder Geschick der
kommunistischen Agitation nachgebildeten Phrasen und Schlagworte einmal in
etwas kompakterer Form, so weiß er doch wie ein Aal der Hand zu ent¬
schlüpfen, die ihn zu halten sucht und will regelmäßig nichts gesagt haben.
Das einzige, was ihm bisher zu "destilliren" und zu "klären" gelang, ist ein
Programmentwurf für eine christlich-soziale Arbeiterpartei, der aus einzelnen
Forderungen des liberalen, katholisch-sozialen und sozialdemokratischen Pro¬
gramms nothdürftig zusammengeflickt ist, von irgend einem einheitlichen Ge¬
danken nicht getragen wird und von Neuem auf das Leicht- und Unfertige
der ganzen Agitation ein schlagendes Licht wirft. Ein Hauptgewicht scheint
auf die Gründung von Fachgenossenschaften, reaktionären Pendants zu den
fortschrittlichen und sozialdemokratischen Gewerkvereinen gelegt werden zu sollen;
man traut seinen Augen nicht, wenn man in einem Athemzuge den heilsamen
Werth solcher Genossenschaften Preisen und zugleich die schreckliche nichtsnutzig-


diese Feuerprobe nicht mehr, dann freilich läge der Verdacht nahe, daß sie in
ihrem innersten Kerne verfault sei. Allein gerade eine ernste und sachliche
Diskussion ist es, welche die Gelehrten des „Staatssozialist" mit seltener Be¬
harrlichkeit vermeiden; ihr Organ weiß zwar die zustimmenden Aeußerungen
irgend welcher unbekannter Winkelblättchen regelmäßig zu entdecken und zu
registriren. allein noch hat es keine Neigung oder Zeit gehabt, sich mit den
schwerwiegenden Bedenken auseinandersetzen, welche die leitenden Blätter aller
Parteien einschließlich der „Kreuzzeitung" gegen das Treiben seiner Patrone
geltend gemacht haben. Jene Unfehlbarkeit, welche leider in gewissen Kreisen
der protestantischen Geistlichkeit eine unerfreuliche Heimstätte gefunden hat, ist
die Signatur dieses Sozialismus, wie sich ja überhaupt die Extreme auch
darin berühren, daß aller Sozialismus einen unausrottbaren Hang hat, in-
fallibel zu sein. Konzedirt doch Pastor Todt in der ebeu erschienenen zweiten
Auflage seines Buchs über den „radikalen deutschen Sozialismus", gewisser¬
maßen der staatssozialistischen Bibel, nicht einmal so viel den Gewohnheiten
Profaner Schriftstellerei, daß er die zahlreichen, thatsächlichen Unrichtigkeiten
berichtigt, welche die Kritik ihm nachgewiesen hat; weiß er doch nur wieder
und wieder mit einer weniger überzeugenden, als salbungsvollen Zuversicht zu
wiederholen, daß die Prinzipien der deutschen Sozialdemokratie „evangelische,
göttliche Wahrheiten" enthalten! Allerdings um diskutiren zu können, muß
man einigermaßen wissen, was man will und in diesem Betrachte stehen die
Staatssozialisten noch unter den Sozialdemokraten, die denn doch nicht allein
die Arbeiter gegen die bestehenden Zustände aufhetzen, sondern auch ein Univer-
salheilmittel fix und fertig in der Tasche zu haben glauben. Bestimmte Grund¬
sätze zu entdecken, welche der „Staatssozialist" versieht, ist eine paare Unmög¬
lichkeit; konsolidiren sich seiue allgemeinen, mit mehr oder minder Geschick der
kommunistischen Agitation nachgebildeten Phrasen und Schlagworte einmal in
etwas kompakterer Form, so weiß er doch wie ein Aal der Hand zu ent¬
schlüpfen, die ihn zu halten sucht und will regelmäßig nichts gesagt haben.
Das einzige, was ihm bisher zu „destilliren" und zu „klären" gelang, ist ein
Programmentwurf für eine christlich-soziale Arbeiterpartei, der aus einzelnen
Forderungen des liberalen, katholisch-sozialen und sozialdemokratischen Pro¬
gramms nothdürftig zusammengeflickt ist, von irgend einem einheitlichen Ge¬
danken nicht getragen wird und von Neuem auf das Leicht- und Unfertige
der ganzen Agitation ein schlagendes Licht wirft. Ein Hauptgewicht scheint
auf die Gründung von Fachgenossenschaften, reaktionären Pendants zu den
fortschrittlichen und sozialdemokratischen Gewerkvereinen gelegt werden zu sollen;
man traut seinen Augen nicht, wenn man in einem Athemzuge den heilsamen
Werth solcher Genossenschaften Preisen und zugleich die schreckliche nichtsnutzig-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/31>, abgerufen am 09.11.2024.