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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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Tabaksindustrie, einen Tabcikshaudel und einen Tabaksverbranch von solchem
Umfange, daß in allen diesen Beziehungen nur das fast ganz tabakssteuerfreie
Deutschland mit ihnen rivalisiren kann. Es existiren dort beispielsweise 983
Tabaksfabriken zu je 50, 15,073 Cigarrenfabriken zu je 4 Arbeitern; Tabaks-
hündler giebt es 324,941; der Konsum beträgt auf deu Kopf der Bevölkerung
3,25 gegen 3,75 Pfund in: deutschen Reiche.

Trotz dieser immerhin großartigen Erfolge der erst seit dem Sezessions¬
kriege funktionirenden Fabrikatstener muß ihre Einführung in Deutschland
gerechten und schweren Bedenken unterliegen. Sie steht in schneidendem Wider¬
spruche nicht nur mit der ganzen Organisation unseres Steuer- und Zollwesens,
sondern auch mit unsern nationalen Anschauungen von Recht und Sitte. Das
widerliche Denunziantenwesen, die so unglaublich weitgehenden, kolossale Ein¬
griffe in die Verkehrsfreiheit repräsentirenden Skrntinialbefngnisse der Beamten,
die thatsächliche Steuerfreiheit eines erheblichen Bruchtheiles der Bevölkerung;
alles das würde nur schwer ertragen werden. Auch Würde die Fabrikatsteuer
auf die deutsche Tabaksindustrie weit verheerender wirken, als auf die nord¬
amerikanische, eben weil bei uns der Kleinbetrieb überwiegt. Diese kleinen
Leute würden meist den hohen Steuerbetrug nicht baar vorlegen können und
ihr Gewerbe aufgeben müssen: die Fabrikatsteuer mit hohem Steuersatze würde
im deutscheu Reiche auch eine Art Monopol sein, freilich nicht des Staats, aber
weniger Großfabrikanteu. Indeß wenn sie aus dem Schoße der liberalen
Parteien als das geringere Uebel gegenüber dem Monopole vertheidigt worden
ist, so liegt die Richtigkeit dieser Anschauung auf der Hand; man darf nicht
übersehen, daß das Prinzip der Fabrikatsteuer dehnbar und elastisch genug ist,
um sich den deutschen Verhältnissen bequemer und leichter anzuschmiegen, als es
ein sklavischer Abklatsch der nordamerikanischen Institution thun würde; Felser
hat darüber recht interessante Fingerzeige gegeben.

Damit wäre diese kleine Studie vollendet. Ihr Resultat läßt sich in we¬
nige Worte zusammenfassen. Eine stärkere Heranziehung des Tabaks zur Tragung
der öffentlichen Lasten ist nothwendig und dringend zu wünschen, aber wenn
nicht dem sozialen Frieden und dem nationalen Wohlstande unheilbare Wunden
geschlagen werden sollen, muß ein für allemal der Utopie entsagt werden, in
ihm den einzigen Retter aus aller finanziellen Misere zu proklamireu Eine
Erhöhung der Tabakssteuer, auch wenn sie in mäßigen Grenzen bliebe, würde
zwar immer mannigfache und wichtige Interessen verletzen, indessen das ist bei
jedem stärkeren Anziehen der Steuerschraube der Fall und kann von ihrer
Durchführung nicht abhalten. Das Wie? ist erst zu entscheiden, sobald die
Tabaksfrage viel genauer und gründlicher studirt sein wird, als es bisher der
Fall war. Ihre Lösung gehört in den Rahmen einer organischen Reform


Tabaksindustrie, einen Tabcikshaudel und einen Tabaksverbranch von solchem
Umfange, daß in allen diesen Beziehungen nur das fast ganz tabakssteuerfreie
Deutschland mit ihnen rivalisiren kann. Es existiren dort beispielsweise 983
Tabaksfabriken zu je 50, 15,073 Cigarrenfabriken zu je 4 Arbeitern; Tabaks-
hündler giebt es 324,941; der Konsum beträgt auf deu Kopf der Bevölkerung
3,25 gegen 3,75 Pfund in: deutschen Reiche.

Trotz dieser immerhin großartigen Erfolge der erst seit dem Sezessions¬
kriege funktionirenden Fabrikatstener muß ihre Einführung in Deutschland
gerechten und schweren Bedenken unterliegen. Sie steht in schneidendem Wider¬
spruche nicht nur mit der ganzen Organisation unseres Steuer- und Zollwesens,
sondern auch mit unsern nationalen Anschauungen von Recht und Sitte. Das
widerliche Denunziantenwesen, die so unglaublich weitgehenden, kolossale Ein¬
griffe in die Verkehrsfreiheit repräsentirenden Skrntinialbefngnisse der Beamten,
die thatsächliche Steuerfreiheit eines erheblichen Bruchtheiles der Bevölkerung;
alles das würde nur schwer ertragen werden. Auch Würde die Fabrikatsteuer
auf die deutsche Tabaksindustrie weit verheerender wirken, als auf die nord¬
amerikanische, eben weil bei uns der Kleinbetrieb überwiegt. Diese kleinen
Leute würden meist den hohen Steuerbetrug nicht baar vorlegen können und
ihr Gewerbe aufgeben müssen: die Fabrikatsteuer mit hohem Steuersatze würde
im deutscheu Reiche auch eine Art Monopol sein, freilich nicht des Staats, aber
weniger Großfabrikanteu. Indeß wenn sie aus dem Schoße der liberalen
Parteien als das geringere Uebel gegenüber dem Monopole vertheidigt worden
ist, so liegt die Richtigkeit dieser Anschauung auf der Hand; man darf nicht
übersehen, daß das Prinzip der Fabrikatsteuer dehnbar und elastisch genug ist,
um sich den deutschen Verhältnissen bequemer und leichter anzuschmiegen, als es
ein sklavischer Abklatsch der nordamerikanischen Institution thun würde; Felser
hat darüber recht interessante Fingerzeige gegeben.

Damit wäre diese kleine Studie vollendet. Ihr Resultat läßt sich in we¬
nige Worte zusammenfassen. Eine stärkere Heranziehung des Tabaks zur Tragung
der öffentlichen Lasten ist nothwendig und dringend zu wünschen, aber wenn
nicht dem sozialen Frieden und dem nationalen Wohlstande unheilbare Wunden
geschlagen werden sollen, muß ein für allemal der Utopie entsagt werden, in
ihm den einzigen Retter aus aller finanziellen Misere zu proklamireu Eine
Erhöhung der Tabakssteuer, auch wenn sie in mäßigen Grenzen bliebe, würde
zwar immer mannigfache und wichtige Interessen verletzen, indessen das ist bei
jedem stärkeren Anziehen der Steuerschraube der Fall und kann von ihrer
Durchführung nicht abhalten. Das Wie? ist erst zu entscheiden, sobald die
Tabaksfrage viel genauer und gründlicher studirt sein wird, als es bisher der
Fall war. Ihre Lösung gehört in den Rahmen einer organischen Reform


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[0305] Tabaksindustrie, einen Tabcikshaudel und einen Tabaksverbranch von solchem Umfange, daß in allen diesen Beziehungen nur das fast ganz tabakssteuerfreie Deutschland mit ihnen rivalisiren kann. Es existiren dort beispielsweise 983 Tabaksfabriken zu je 50, 15,073 Cigarrenfabriken zu je 4 Arbeitern; Tabaks- hündler giebt es 324,941; der Konsum beträgt auf deu Kopf der Bevölkerung 3,25 gegen 3,75 Pfund in: deutschen Reiche. Trotz dieser immerhin großartigen Erfolge der erst seit dem Sezessions¬ kriege funktionirenden Fabrikatstener muß ihre Einführung in Deutschland gerechten und schweren Bedenken unterliegen. Sie steht in schneidendem Wider¬ spruche nicht nur mit der ganzen Organisation unseres Steuer- und Zollwesens, sondern auch mit unsern nationalen Anschauungen von Recht und Sitte. Das widerliche Denunziantenwesen, die so unglaublich weitgehenden, kolossale Ein¬ griffe in die Verkehrsfreiheit repräsentirenden Skrntinialbefngnisse der Beamten, die thatsächliche Steuerfreiheit eines erheblichen Bruchtheiles der Bevölkerung; alles das würde nur schwer ertragen werden. Auch Würde die Fabrikatsteuer auf die deutsche Tabaksindustrie weit verheerender wirken, als auf die nord¬ amerikanische, eben weil bei uns der Kleinbetrieb überwiegt. Diese kleinen Leute würden meist den hohen Steuerbetrug nicht baar vorlegen können und ihr Gewerbe aufgeben müssen: die Fabrikatsteuer mit hohem Steuersatze würde im deutscheu Reiche auch eine Art Monopol sein, freilich nicht des Staats, aber weniger Großfabrikanteu. Indeß wenn sie aus dem Schoße der liberalen Parteien als das geringere Uebel gegenüber dem Monopole vertheidigt worden ist, so liegt die Richtigkeit dieser Anschauung auf der Hand; man darf nicht übersehen, daß das Prinzip der Fabrikatsteuer dehnbar und elastisch genug ist, um sich den deutschen Verhältnissen bequemer und leichter anzuschmiegen, als es ein sklavischer Abklatsch der nordamerikanischen Institution thun würde; Felser hat darüber recht interessante Fingerzeige gegeben. Damit wäre diese kleine Studie vollendet. Ihr Resultat läßt sich in we¬ nige Worte zusammenfassen. Eine stärkere Heranziehung des Tabaks zur Tragung der öffentlichen Lasten ist nothwendig und dringend zu wünschen, aber wenn nicht dem sozialen Frieden und dem nationalen Wohlstande unheilbare Wunden geschlagen werden sollen, muß ein für allemal der Utopie entsagt werden, in ihm den einzigen Retter aus aller finanziellen Misere zu proklamireu Eine Erhöhung der Tabakssteuer, auch wenn sie in mäßigen Grenzen bliebe, würde zwar immer mannigfache und wichtige Interessen verletzen, indessen das ist bei jedem stärkeren Anziehen der Steuerschraube der Fall und kann von ihrer Durchführung nicht abhalten. Das Wie? ist erst zu entscheiden, sobald die Tabaksfrage viel genauer und gründlicher studirt sein wird, als es bisher der Fall war. Ihre Lösung gehört in den Rahmen einer organischen Reform

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/305>, abgerufen am 01.01.2025.