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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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steuerpflichtig oder soweit es etwa noch Familienglieder sind, pflegen sie anch
schon erwerbsthätig und selbst steuerfähig zu sein.

Untersucht man nun aber die staatswirthschnftliche "Schwimmkraft", welche
der Tabak im deutschen Reiche entwickelt, so stößt man wieder auf die unver¬
wüstliche Vorliebe, welche wir nun einmal für ihn unausrottbar im innersten
Herzen tragen. Lieber lassen wir uns viel nützlichere Genuß- oder gar unent¬
behrlichste Lebensmittel verkümmern und vertheuern, als daß wir unser Lieb-
lingstrank von der rauhen Hand des Fiskus anpacken lassen, und wenn wir
sonst in Tabaksdingen an der Spitze der modernen Staaten marschiren, schlen¬
dern wir, wenn es sich um Tabakssteuern handelt, in gemüthlicher Seelenruhe
an allerletzter Stelle. Zunächst sei für die letztere Behauptung der schlagende
Beweis erbracht. Nach amtlichen Quellen ergab die Tabaksstener 1875 auf
den Kopf der Bevölkerung in Frankreich 6,96, in Oesterreich 4,85, in England
4,69, in den Vereinigten Staaten 4,52, in Italien 2,25, in Rußland 0,42,
und in Deutschland 0,35 Mk. Und nun die andere Seite der Medaille! Von
den Verbrauchssteuern des deutschen Reichs erzielten im Durchschnitt der Jahre
1872 bis 1875 per Kopf der Bevölkerung jährlich die Zuckersteuer 1,36, die
Salzsteuer 0,93, die Brausteuer 0,55 und die Tabaksstener 0,36 Mark. Sieht
man nun selbst vom Biere und vom Zucker ab, obgleich beide ganz gewiß
nicht zum reinen Luxuskonsum gerechnet werden dürfen, so zeigt sich zwischen
der Salz und Tabakssteuer ein ernstes und unerfreuliches Mißverhältniß. Im
Jahresdurchschnitt des erwähnten Zeitraums bringt die Salzsteuer 38,719,762,
die Tabaksstener 14,473,376 Mark ein, fallen von jener auf den Kopf der Be¬
völkerung 93, von dieser 36 Pfennige. Da scheint es in der That hohe Zeit
zu sein, die "Schwimmkraft" des Tabaks etwas mehr zu entwickeln, als es
bisher geschehen ist.

Aber sobald man das Wie der Frage in's Auge faßt, zeigt sich die merk¬
würdige und seltsame Erscheinung, daß der Tabak die Glieder des deutschen
Reichs so umklammert und umsponnen hat, daß eine Lockerung und Losung
dieser engen Umarmung kaum möglich erscheint, ohne vitale Interessen erheb¬
licher Schichten der Nation ernstlich zu verletzen.

Die Tabakssteuer als Flächen-, Gewichts- und Wertsteuer.
Die bestehende Reichstabakssteuer beruht auf dem Gesetze vom 26. Mai 1868.
Sie wird als eine jährliche Abgabe von 60 Pfennig von je 6 Quadratruthen
preußisch oder 85 Quadratmetern mit Tabak bepflanzten Bodens erhoben.
Flächen unter diesem Maße bleiben steuerfrei. Sie ist somit eine reine Areal¬
steuer ohne jede Rücksicht auf die Beschaffenheit und die Menge des Ertrags.
Nach einer Berechnung des kaiserlichen statistische" Amts würde sich im große"
Gesammtdurchschnitt eine Steuerbelastung von 2 Mark auf den Zentner luft-


steuerpflichtig oder soweit es etwa noch Familienglieder sind, pflegen sie anch
schon erwerbsthätig und selbst steuerfähig zu sein.

Untersucht man nun aber die staatswirthschnftliche „Schwimmkraft", welche
der Tabak im deutschen Reiche entwickelt, so stößt man wieder auf die unver¬
wüstliche Vorliebe, welche wir nun einmal für ihn unausrottbar im innersten
Herzen tragen. Lieber lassen wir uns viel nützlichere Genuß- oder gar unent¬
behrlichste Lebensmittel verkümmern und vertheuern, als daß wir unser Lieb-
lingstrank von der rauhen Hand des Fiskus anpacken lassen, und wenn wir
sonst in Tabaksdingen an der Spitze der modernen Staaten marschiren, schlen¬
dern wir, wenn es sich um Tabakssteuern handelt, in gemüthlicher Seelenruhe
an allerletzter Stelle. Zunächst sei für die letztere Behauptung der schlagende
Beweis erbracht. Nach amtlichen Quellen ergab die Tabaksstener 1875 auf
den Kopf der Bevölkerung in Frankreich 6,96, in Oesterreich 4,85, in England
4,69, in den Vereinigten Staaten 4,52, in Italien 2,25, in Rußland 0,42,
und in Deutschland 0,35 Mk. Und nun die andere Seite der Medaille! Von
den Verbrauchssteuern des deutschen Reichs erzielten im Durchschnitt der Jahre
1872 bis 1875 per Kopf der Bevölkerung jährlich die Zuckersteuer 1,36, die
Salzsteuer 0,93, die Brausteuer 0,55 und die Tabaksstener 0,36 Mark. Sieht
man nun selbst vom Biere und vom Zucker ab, obgleich beide ganz gewiß
nicht zum reinen Luxuskonsum gerechnet werden dürfen, so zeigt sich zwischen
der Salz und Tabakssteuer ein ernstes und unerfreuliches Mißverhältniß. Im
Jahresdurchschnitt des erwähnten Zeitraums bringt die Salzsteuer 38,719,762,
die Tabaksstener 14,473,376 Mark ein, fallen von jener auf den Kopf der Be¬
völkerung 93, von dieser 36 Pfennige. Da scheint es in der That hohe Zeit
zu sein, die „Schwimmkraft" des Tabaks etwas mehr zu entwickeln, als es
bisher geschehen ist.

Aber sobald man das Wie der Frage in's Auge faßt, zeigt sich die merk¬
würdige und seltsame Erscheinung, daß der Tabak die Glieder des deutschen
Reichs so umklammert und umsponnen hat, daß eine Lockerung und Losung
dieser engen Umarmung kaum möglich erscheint, ohne vitale Interessen erheb¬
licher Schichten der Nation ernstlich zu verletzen.

Die Tabakssteuer als Flächen-, Gewichts- und Wertsteuer.
Die bestehende Reichstabakssteuer beruht auf dem Gesetze vom 26. Mai 1868.
Sie wird als eine jährliche Abgabe von 60 Pfennig von je 6 Quadratruthen
preußisch oder 85 Quadratmetern mit Tabak bepflanzten Bodens erhoben.
Flächen unter diesem Maße bleiben steuerfrei. Sie ist somit eine reine Areal¬
steuer ohne jede Rücksicht auf die Beschaffenheit und die Menge des Ertrags.
Nach einer Berechnung des kaiserlichen statistische» Amts würde sich im große»
Gesammtdurchschnitt eine Steuerbelastung von 2 Mark auf den Zentner luft-


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[0292] steuerpflichtig oder soweit es etwa noch Familienglieder sind, pflegen sie anch schon erwerbsthätig und selbst steuerfähig zu sein. Untersucht man nun aber die staatswirthschnftliche „Schwimmkraft", welche der Tabak im deutschen Reiche entwickelt, so stößt man wieder auf die unver¬ wüstliche Vorliebe, welche wir nun einmal für ihn unausrottbar im innersten Herzen tragen. Lieber lassen wir uns viel nützlichere Genuß- oder gar unent¬ behrlichste Lebensmittel verkümmern und vertheuern, als daß wir unser Lieb- lingstrank von der rauhen Hand des Fiskus anpacken lassen, und wenn wir sonst in Tabaksdingen an der Spitze der modernen Staaten marschiren, schlen¬ dern wir, wenn es sich um Tabakssteuern handelt, in gemüthlicher Seelenruhe an allerletzter Stelle. Zunächst sei für die letztere Behauptung der schlagende Beweis erbracht. Nach amtlichen Quellen ergab die Tabaksstener 1875 auf den Kopf der Bevölkerung in Frankreich 6,96, in Oesterreich 4,85, in England 4,69, in den Vereinigten Staaten 4,52, in Italien 2,25, in Rußland 0,42, und in Deutschland 0,35 Mk. Und nun die andere Seite der Medaille! Von den Verbrauchssteuern des deutschen Reichs erzielten im Durchschnitt der Jahre 1872 bis 1875 per Kopf der Bevölkerung jährlich die Zuckersteuer 1,36, die Salzsteuer 0,93, die Brausteuer 0,55 und die Tabaksstener 0,36 Mark. Sieht man nun selbst vom Biere und vom Zucker ab, obgleich beide ganz gewiß nicht zum reinen Luxuskonsum gerechnet werden dürfen, so zeigt sich zwischen der Salz und Tabakssteuer ein ernstes und unerfreuliches Mißverhältniß. Im Jahresdurchschnitt des erwähnten Zeitraums bringt die Salzsteuer 38,719,762, die Tabaksstener 14,473,376 Mark ein, fallen von jener auf den Kopf der Be¬ völkerung 93, von dieser 36 Pfennige. Da scheint es in der That hohe Zeit zu sein, die „Schwimmkraft" des Tabaks etwas mehr zu entwickeln, als es bisher geschehen ist. Aber sobald man das Wie der Frage in's Auge faßt, zeigt sich die merk¬ würdige und seltsame Erscheinung, daß der Tabak die Glieder des deutschen Reichs so umklammert und umsponnen hat, daß eine Lockerung und Losung dieser engen Umarmung kaum möglich erscheint, ohne vitale Interessen erheb¬ licher Schichten der Nation ernstlich zu verletzen. Die Tabakssteuer als Flächen-, Gewichts- und Wertsteuer. Die bestehende Reichstabakssteuer beruht auf dem Gesetze vom 26. Mai 1868. Sie wird als eine jährliche Abgabe von 60 Pfennig von je 6 Quadratruthen preußisch oder 85 Quadratmetern mit Tabak bepflanzten Bodens erhoben. Flächen unter diesem Maße bleiben steuerfrei. Sie ist somit eine reine Areal¬ steuer ohne jede Rücksicht auf die Beschaffenheit und die Menge des Ertrags. Nach einer Berechnung des kaiserlichen statistische» Amts würde sich im große» Gesammtdurchschnitt eine Steuerbelastung von 2 Mark auf den Zentner luft-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/292>, abgerufen am 27.07.2024.