Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

auf den Kirchenstaat zu verzichten erklärt, so wird nach seiner Neuordnung
binnen Kurzem sich doch die Nothwendigkeit der Wiederherstellung desselben er¬
weisen und dem Papstkönig nach der "Norm" des Artikel Eins eine noch viel
höhere Macht übertragen werden müssen, als er sie je in Italien besessen hat.

"Beibehaltung des Königs, dem die Autorität als von Gott nicht vom
Volke gegeben beigelegt wird." -- Schon die Subordinirung dieses Punktes
unter den der Papstsvuveräuetät und die Ausdrücke "Beibehaltung" und "beigelegt"
haben einen ganz verdächtigen Charakter, so daß man vermuthet, es sei nur
aus Vorsicht der Ausdruck "von Papstes Gnaden" vermieden worden. In Wahrheit
würde nicht blos das feudalste Gottesgnadenthum wiederaufgerichtet, sondern der
unfehlbare Papst würde geradezu an Gottes Stelle dem König von Italien
gegenüberstehen. Das Volk, dessen Souveränetät gerade in Italien vom Könige
ans die loyalste Weise anerkannt wird*), würde fortan zu der Rechtlosigkeit
herabgedrückt sein, in der es, wie nach der Hnller'schen Legitimitätstheorie, in
dem Fürsten seinen unumschränkten Herrn zu erkennen hat, dessen Willkür es
sich schweigend unterwerfen muß, vorausgesetzt nur, daß der Papst damit ein¬
verstanden ist. Denn da der Herrgott sich nicht in eigener Person in die
Einsetzung und Anerkennung der Könige einzumischen Pflegt, so würde es sein
Stellvertreter, der römische Papst sein, der die "von Gott gegebene Autorität"
Zu- oder abzusprechen hat. Das Volk hat nichts mehr drein zu reden, und
der König selbst hängt vom Papste ab.

"Mittel zur wirksamen und gesetzlichen Verhinderung der der Religion
und Moral zuwiderlaufenden Gesetze." -- D. h. ein Veto des Papstes gegen¬
über den gesetzgebenden Körpern. Die Volksvertretung ist nicht mehr die oberste
gesetzgebende Gewalt,, wofür anch schon die Modifikation des Statuts sorgen
^urd, sondern die Kirche hat die Macht alle Gesetze, welche sie für religions-
und moralwidrig erklärt, zu annnlliren. Die Entscheidung über den Be¬
griff des Religionswidrigen und Unmoralischen kann wiederum nur sie
"Kein haben und man kann sich schon denken, welche Gesetze der Beseitigung
verfallen würden: das über den Laicnnnterricht, über die Aufhebung
der Klöster, die Einziehung der Kirchengüter, die Besteuerung des Klerus,
die Civilehe, die Preßfreiheit, die Aufhebung des geistliche" Gerichts¬
standes, die Gleichberechtigung der Konfessionen, die Freiheit der wissen¬
schaftlichen Forschung und der Rede n. s. w. u. s. w. -- Man sage nicht,
daß diese Folgerung zu weit gehe. Man schlage den Syllabus auf, und man



Sie ist von Seiten Victor Emanuels durch die gewissenhafteste Unterwerfung unter
le Kammermajorität, von Seiten deS neuen Königs Humbert sogleich bei seinem Regie-
ungscintritt ausdrücklich anerkannt worden. Die Eingangsworte seiner Eidesleistung auf
Verfassung waren: "In Gegenwart Gottes und vor der Nation schwöre ich" u, s, w.

auf den Kirchenstaat zu verzichten erklärt, so wird nach seiner Neuordnung
binnen Kurzem sich doch die Nothwendigkeit der Wiederherstellung desselben er¬
weisen und dem Papstkönig nach der „Norm" des Artikel Eins eine noch viel
höhere Macht übertragen werden müssen, als er sie je in Italien besessen hat.

„Beibehaltung des Königs, dem die Autorität als von Gott nicht vom
Volke gegeben beigelegt wird." — Schon die Subordinirung dieses Punktes
unter den der Papstsvuveräuetät und die Ausdrücke „Beibehaltung" und „beigelegt"
haben einen ganz verdächtigen Charakter, so daß man vermuthet, es sei nur
aus Vorsicht der Ausdruck „von Papstes Gnaden" vermieden worden. In Wahrheit
würde nicht blos das feudalste Gottesgnadenthum wiederaufgerichtet, sondern der
unfehlbare Papst würde geradezu an Gottes Stelle dem König von Italien
gegenüberstehen. Das Volk, dessen Souveränetät gerade in Italien vom Könige
ans die loyalste Weise anerkannt wird*), würde fortan zu der Rechtlosigkeit
herabgedrückt sein, in der es, wie nach der Hnller'schen Legitimitätstheorie, in
dem Fürsten seinen unumschränkten Herrn zu erkennen hat, dessen Willkür es
sich schweigend unterwerfen muß, vorausgesetzt nur, daß der Papst damit ein¬
verstanden ist. Denn da der Herrgott sich nicht in eigener Person in die
Einsetzung und Anerkennung der Könige einzumischen Pflegt, so würde es sein
Stellvertreter, der römische Papst sein, der die „von Gott gegebene Autorität"
Zu- oder abzusprechen hat. Das Volk hat nichts mehr drein zu reden, und
der König selbst hängt vom Papste ab.

„Mittel zur wirksamen und gesetzlichen Verhinderung der der Religion
und Moral zuwiderlaufenden Gesetze." — D. h. ein Veto des Papstes gegen¬
über den gesetzgebenden Körpern. Die Volksvertretung ist nicht mehr die oberste
gesetzgebende Gewalt,, wofür anch schon die Modifikation des Statuts sorgen
^urd, sondern die Kirche hat die Macht alle Gesetze, welche sie für religions-
und moralwidrig erklärt, zu annnlliren. Die Entscheidung über den Be¬
griff des Religionswidrigen und Unmoralischen kann wiederum nur sie
"Kein haben und man kann sich schon denken, welche Gesetze der Beseitigung
verfallen würden: das über den Laicnnnterricht, über die Aufhebung
der Klöster, die Einziehung der Kirchengüter, die Besteuerung des Klerus,
die Civilehe, die Preßfreiheit, die Aufhebung des geistliche» Gerichts¬
standes, die Gleichberechtigung der Konfessionen, die Freiheit der wissen¬
schaftlichen Forschung und der Rede n. s. w. u. s. w. — Man sage nicht,
daß diese Folgerung zu weit gehe. Man schlage den Syllabus auf, und man



Sie ist von Seiten Victor Emanuels durch die gewissenhafteste Unterwerfung unter
le Kammermajorität, von Seiten deS neuen Königs Humbert sogleich bei seinem Regie-
ungscintritt ausdrücklich anerkannt worden. Die Eingangsworte seiner Eidesleistung auf
Verfassung waren: „In Gegenwart Gottes und vor der Nation schwöre ich" u, s, w.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0257" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/140078"/>
          <p xml:id="ID_778" prev="#ID_777"> auf den Kirchenstaat zu verzichten erklärt, so wird nach seiner Neuordnung<lb/>
binnen Kurzem sich doch die Nothwendigkeit der Wiederherstellung desselben er¬<lb/>
weisen und dem Papstkönig nach der &#x201E;Norm" des Artikel Eins eine noch viel<lb/>
höhere Macht übertragen werden müssen, als er sie je in Italien besessen hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_779"> &#x201E;Beibehaltung des Königs, dem die Autorität als von Gott nicht vom<lb/>
Volke gegeben beigelegt wird." &#x2014; Schon die Subordinirung dieses Punktes<lb/>
unter den der Papstsvuveräuetät und die Ausdrücke &#x201E;Beibehaltung" und &#x201E;beigelegt"<lb/>
haben einen ganz verdächtigen Charakter, so daß man vermuthet, es sei nur<lb/>
aus Vorsicht der Ausdruck &#x201E;von Papstes Gnaden" vermieden worden. In Wahrheit<lb/>
würde nicht blos das feudalste Gottesgnadenthum wiederaufgerichtet, sondern der<lb/>
unfehlbare Papst würde geradezu an Gottes Stelle dem König von Italien<lb/>
gegenüberstehen. Das Volk, dessen Souveränetät gerade in Italien vom Könige<lb/>
ans die loyalste Weise anerkannt wird*), würde fortan zu der Rechtlosigkeit<lb/>
herabgedrückt sein, in der es, wie nach der Hnller'schen Legitimitätstheorie, in<lb/>
dem Fürsten seinen unumschränkten Herrn zu erkennen hat, dessen Willkür es<lb/>
sich schweigend unterwerfen muß, vorausgesetzt nur, daß der Papst damit ein¬<lb/>
verstanden ist. Denn da der Herrgott sich nicht in eigener Person in die<lb/>
Einsetzung und Anerkennung der Könige einzumischen Pflegt, so würde es sein<lb/>
Stellvertreter, der römische Papst sein, der die &#x201E;von Gott gegebene Autorität"<lb/>
Zu- oder abzusprechen hat. Das Volk hat nichts mehr drein zu reden, und<lb/>
der König selbst hängt vom Papste ab.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_780" next="#ID_781"> &#x201E;Mittel zur wirksamen und gesetzlichen Verhinderung der der Religion<lb/>
und Moral zuwiderlaufenden Gesetze." &#x2014; D. h. ein Veto des Papstes gegen¬<lb/>
über den gesetzgebenden Körpern. Die Volksvertretung ist nicht mehr die oberste<lb/>
gesetzgebende Gewalt,, wofür anch schon die Modifikation des Statuts sorgen<lb/>
^urd, sondern die Kirche hat die Macht alle Gesetze, welche sie für religions-<lb/>
und moralwidrig erklärt, zu annnlliren. Die Entscheidung über den Be¬<lb/>
griff des Religionswidrigen und Unmoralischen kann wiederum nur sie<lb/>
"Kein haben und man kann sich schon denken, welche Gesetze der Beseitigung<lb/>
verfallen würden: das über den Laicnnnterricht, über die Aufhebung<lb/>
der Klöster, die Einziehung der Kirchengüter, die Besteuerung des Klerus,<lb/>
die Civilehe, die Preßfreiheit, die Aufhebung des geistliche» Gerichts¬<lb/>
standes, die Gleichberechtigung der Konfessionen, die Freiheit der wissen¬<lb/>
schaftlichen Forschung und der Rede n. s. w. u. s. w. &#x2014; Man sage nicht,<lb/>
daß diese Folgerung zu weit gehe. Man schlage den Syllabus auf, und man</p><lb/>
          <note xml:id="FID_85" place="foot"> Sie ist von Seiten Victor Emanuels durch die gewissenhafteste Unterwerfung unter<lb/>
le Kammermajorität, von Seiten deS neuen Königs Humbert sogleich bei seinem Regie-<lb/>
ungscintritt ausdrücklich anerkannt worden.  Die Eingangsworte seiner Eidesleistung auf<lb/>
Verfassung waren: &#x201E;In Gegenwart Gottes und vor der Nation schwöre ich" u, s, w.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0257] auf den Kirchenstaat zu verzichten erklärt, so wird nach seiner Neuordnung binnen Kurzem sich doch die Nothwendigkeit der Wiederherstellung desselben er¬ weisen und dem Papstkönig nach der „Norm" des Artikel Eins eine noch viel höhere Macht übertragen werden müssen, als er sie je in Italien besessen hat. „Beibehaltung des Königs, dem die Autorität als von Gott nicht vom Volke gegeben beigelegt wird." — Schon die Subordinirung dieses Punktes unter den der Papstsvuveräuetät und die Ausdrücke „Beibehaltung" und „beigelegt" haben einen ganz verdächtigen Charakter, so daß man vermuthet, es sei nur aus Vorsicht der Ausdruck „von Papstes Gnaden" vermieden worden. In Wahrheit würde nicht blos das feudalste Gottesgnadenthum wiederaufgerichtet, sondern der unfehlbare Papst würde geradezu an Gottes Stelle dem König von Italien gegenüberstehen. Das Volk, dessen Souveränetät gerade in Italien vom Könige ans die loyalste Weise anerkannt wird*), würde fortan zu der Rechtlosigkeit herabgedrückt sein, in der es, wie nach der Hnller'schen Legitimitätstheorie, in dem Fürsten seinen unumschränkten Herrn zu erkennen hat, dessen Willkür es sich schweigend unterwerfen muß, vorausgesetzt nur, daß der Papst damit ein¬ verstanden ist. Denn da der Herrgott sich nicht in eigener Person in die Einsetzung und Anerkennung der Könige einzumischen Pflegt, so würde es sein Stellvertreter, der römische Papst sein, der die „von Gott gegebene Autorität" Zu- oder abzusprechen hat. Das Volk hat nichts mehr drein zu reden, und der König selbst hängt vom Papste ab. „Mittel zur wirksamen und gesetzlichen Verhinderung der der Religion und Moral zuwiderlaufenden Gesetze." — D. h. ein Veto des Papstes gegen¬ über den gesetzgebenden Körpern. Die Volksvertretung ist nicht mehr die oberste gesetzgebende Gewalt,, wofür anch schon die Modifikation des Statuts sorgen ^urd, sondern die Kirche hat die Macht alle Gesetze, welche sie für religions- und moralwidrig erklärt, zu annnlliren. Die Entscheidung über den Be¬ griff des Religionswidrigen und Unmoralischen kann wiederum nur sie "Kein haben und man kann sich schon denken, welche Gesetze der Beseitigung verfallen würden: das über den Laicnnnterricht, über die Aufhebung der Klöster, die Einziehung der Kirchengüter, die Besteuerung des Klerus, die Civilehe, die Preßfreiheit, die Aufhebung des geistliche» Gerichts¬ standes, die Gleichberechtigung der Konfessionen, die Freiheit der wissen¬ schaftlichen Forschung und der Rede n. s. w. u. s. w. — Man sage nicht, daß diese Folgerung zu weit gehe. Man schlage den Syllabus auf, und man Sie ist von Seiten Victor Emanuels durch die gewissenhafteste Unterwerfung unter le Kammermajorität, von Seiten deS neuen Königs Humbert sogleich bei seinem Regie- ungscintritt ausdrücklich anerkannt worden. Die Eingangsworte seiner Eidesleistung auf Verfassung waren: „In Gegenwart Gottes und vor der Nation schwöre ich" u, s, w.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/257
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/257>, abgerufen am 27.07.2024.