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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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Deutsche kommen hier zu dem für uns interessantesten Punkte der Curci'schen
Ausführungen. Denn jene unheilvollste, düstere und Schlimmes bedeutende
Thatsache ist für ihn nichts Anderes als die Nothwendigkeit, daß -- nach den
Worten seines Briefes -- "am Ende Italien, in seiner Existenz bedroht
von jenen Bestrebungen des päpstlichen Rom, welches in dem Verzicht oder
in der Unmöglichkeit eigenen Handelns zu jenem Zwecke Hilfe von auswärts
und speciell von einem künftigen katholischen Frankreich erwarten muß -- daß
Italien, sage ich, so in die Enge getrieben, sich nothwendig von Frankreich
trennen und bei den Feinden der Kirche eine Stütze suchen muß, besonders
bei dem neuen Deutschland, das heute an deren Spitze steht". Diese Worte
zeigen klar genug, was man von des Pater Cnrci vermutheter Freisinnigkeit
zu halten hat und wie er nicht im Entferntesten daran denkt, in dem Kultur¬
kampf trotz seiner Verwarnungen gegen den Klerikalismus sich auf die Seite
des Staats und der modernen Gesellschaft zu stellen. Sie zeigen zugleich,
von welchen Anschauungen seine Reformideen ausgehen und von welchem Geiste
feine später zu berichtenden Ausgleichsvorschläge durchweht sind. Kein Kampf
der Kirche gegen den Staat, sondern geschickte Ueberwindung
desselben; kein Kampf des Staats gegen die Kirche, sondern
freiwillige Unterwerfung unter dieselbe -- das ist der Kern
seiner politischen Weisheit.

Der neuerliche Sieg der republikanischen Partei in Frankreich, für die
ganze zivilisirte Welt ein Triumph der Freiheit und des Fortschritts gegenüber
politischer und pfäffischer Despotie, ist für den Pater Cnrci ein Sieg der "in
Frankreich seit ungefähr einem Jahrhundert bekannten und geübten Prinzipien,
die zum größten Theil jeder bürgerlichen Vervollkommnung fremd oder zuwider
sind," und bedeutet, "daß jene hochedle Nation^sich nun ganz legaler, man
kann sogar sagen legitimer Weise der Willkür von Menschen preisgegeben sieht,
welche auf ihren äußersten Ruin hinarbeiten; und das zum Frommen eines
Rivalen, der, wie man wohl begreift, vor einem Feinde wie Frankreich nie¬
mals wahrhaft sicher sein wird, bevor er ihn vernichtet hat" -- Das hat Gam-
betta sich wohl nicht träumen lassen, daß sein Sieg den Deutschen zur Ver¬
nichtung Frankreichs verhelfen wird! In Italien steht es nach Curci's Ansicht noch
nicht ganz so schlimm. Doch geschieht alles Mögliche, um es dahin zu bringen
durch die neuen Sitten, den neuen Unterricht, die schlechte fortschrittliche Presse, die
Gedankenfreiheit, die gottlosen Universitätslehrer und "die unermüdliche Unruhe
im menschlichen Verkehr: die erstaunliche Fruchtbarkeit, welche die Presse gewonnen,
die Dampfschiffe, die Eisenbahnen und Telegraphen, welche die neuesten und wirk¬
samsten Instrumente derselben sind, die Ausstellungen und Kongresse, welche ihre


Deutsche kommen hier zu dem für uns interessantesten Punkte der Curci'schen
Ausführungen. Denn jene unheilvollste, düstere und Schlimmes bedeutende
Thatsache ist für ihn nichts Anderes als die Nothwendigkeit, daß — nach den
Worten seines Briefes — „am Ende Italien, in seiner Existenz bedroht
von jenen Bestrebungen des päpstlichen Rom, welches in dem Verzicht oder
in der Unmöglichkeit eigenen Handelns zu jenem Zwecke Hilfe von auswärts
und speciell von einem künftigen katholischen Frankreich erwarten muß — daß
Italien, sage ich, so in die Enge getrieben, sich nothwendig von Frankreich
trennen und bei den Feinden der Kirche eine Stütze suchen muß, besonders
bei dem neuen Deutschland, das heute an deren Spitze steht". Diese Worte
zeigen klar genug, was man von des Pater Cnrci vermutheter Freisinnigkeit
zu halten hat und wie er nicht im Entferntesten daran denkt, in dem Kultur¬
kampf trotz seiner Verwarnungen gegen den Klerikalismus sich auf die Seite
des Staats und der modernen Gesellschaft zu stellen. Sie zeigen zugleich,
von welchen Anschauungen seine Reformideen ausgehen und von welchem Geiste
feine später zu berichtenden Ausgleichsvorschläge durchweht sind. Kein Kampf
der Kirche gegen den Staat, sondern geschickte Ueberwindung
desselben; kein Kampf des Staats gegen die Kirche, sondern
freiwillige Unterwerfung unter dieselbe — das ist der Kern
seiner politischen Weisheit.

Der neuerliche Sieg der republikanischen Partei in Frankreich, für die
ganze zivilisirte Welt ein Triumph der Freiheit und des Fortschritts gegenüber
politischer und pfäffischer Despotie, ist für den Pater Cnrci ein Sieg der „in
Frankreich seit ungefähr einem Jahrhundert bekannten und geübten Prinzipien,
die zum größten Theil jeder bürgerlichen Vervollkommnung fremd oder zuwider
sind," und bedeutet, „daß jene hochedle Nation^sich nun ganz legaler, man
kann sogar sagen legitimer Weise der Willkür von Menschen preisgegeben sieht,
welche auf ihren äußersten Ruin hinarbeiten; und das zum Frommen eines
Rivalen, der, wie man wohl begreift, vor einem Feinde wie Frankreich nie¬
mals wahrhaft sicher sein wird, bevor er ihn vernichtet hat" — Das hat Gam-
betta sich wohl nicht träumen lassen, daß sein Sieg den Deutschen zur Ver¬
nichtung Frankreichs verhelfen wird! In Italien steht es nach Curci's Ansicht noch
nicht ganz so schlimm. Doch geschieht alles Mögliche, um es dahin zu bringen
durch die neuen Sitten, den neuen Unterricht, die schlechte fortschrittliche Presse, die
Gedankenfreiheit, die gottlosen Universitätslehrer und „die unermüdliche Unruhe
im menschlichen Verkehr: die erstaunliche Fruchtbarkeit, welche die Presse gewonnen,
die Dampfschiffe, die Eisenbahnen und Telegraphen, welche die neuesten und wirk¬
samsten Instrumente derselben sind, die Ausstellungen und Kongresse, welche ihre


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[0230] Deutsche kommen hier zu dem für uns interessantesten Punkte der Curci'schen Ausführungen. Denn jene unheilvollste, düstere und Schlimmes bedeutende Thatsache ist für ihn nichts Anderes als die Nothwendigkeit, daß — nach den Worten seines Briefes — „am Ende Italien, in seiner Existenz bedroht von jenen Bestrebungen des päpstlichen Rom, welches in dem Verzicht oder in der Unmöglichkeit eigenen Handelns zu jenem Zwecke Hilfe von auswärts und speciell von einem künftigen katholischen Frankreich erwarten muß — daß Italien, sage ich, so in die Enge getrieben, sich nothwendig von Frankreich trennen und bei den Feinden der Kirche eine Stütze suchen muß, besonders bei dem neuen Deutschland, das heute an deren Spitze steht". Diese Worte zeigen klar genug, was man von des Pater Cnrci vermutheter Freisinnigkeit zu halten hat und wie er nicht im Entferntesten daran denkt, in dem Kultur¬ kampf trotz seiner Verwarnungen gegen den Klerikalismus sich auf die Seite des Staats und der modernen Gesellschaft zu stellen. Sie zeigen zugleich, von welchen Anschauungen seine Reformideen ausgehen und von welchem Geiste feine später zu berichtenden Ausgleichsvorschläge durchweht sind. Kein Kampf der Kirche gegen den Staat, sondern geschickte Ueberwindung desselben; kein Kampf des Staats gegen die Kirche, sondern freiwillige Unterwerfung unter dieselbe — das ist der Kern seiner politischen Weisheit. Der neuerliche Sieg der republikanischen Partei in Frankreich, für die ganze zivilisirte Welt ein Triumph der Freiheit und des Fortschritts gegenüber politischer und pfäffischer Despotie, ist für den Pater Cnrci ein Sieg der „in Frankreich seit ungefähr einem Jahrhundert bekannten und geübten Prinzipien, die zum größten Theil jeder bürgerlichen Vervollkommnung fremd oder zuwider sind," und bedeutet, „daß jene hochedle Nation^sich nun ganz legaler, man kann sogar sagen legitimer Weise der Willkür von Menschen preisgegeben sieht, welche auf ihren äußersten Ruin hinarbeiten; und das zum Frommen eines Rivalen, der, wie man wohl begreift, vor einem Feinde wie Frankreich nie¬ mals wahrhaft sicher sein wird, bevor er ihn vernichtet hat" — Das hat Gam- betta sich wohl nicht träumen lassen, daß sein Sieg den Deutschen zur Ver¬ nichtung Frankreichs verhelfen wird! In Italien steht es nach Curci's Ansicht noch nicht ganz so schlimm. Doch geschieht alles Mögliche, um es dahin zu bringen durch die neuen Sitten, den neuen Unterricht, die schlechte fortschrittliche Presse, die Gedankenfreiheit, die gottlosen Universitätslehrer und „die unermüdliche Unruhe im menschlichen Verkehr: die erstaunliche Fruchtbarkeit, welche die Presse gewonnen, die Dampfschiffe, die Eisenbahnen und Telegraphen, welche die neuesten und wirk¬ samsten Instrumente derselben sind, die Ausstellungen und Kongresse, welche ihre

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/230>, abgerufen am 29.12.2024.