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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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wird. Auch den Nachweis erbringt Curci, hauptsächlich durch sein eigenes
Schicksal, daß jener Fehler in der Hauptsache nicht der Kirche und ihrem Ober¬
haupte, sondern einer kleinen aber mächtigen und verderblichen Partei herrsch¬
süchtiger Fanatiker zur Last sällt, die einerseits den Papst in ihrem Sinne
bearbeitet, andererseits ihren eigenen Willen lügnerisch für den des Papstes
und des heiligen Geistes ausgegeben. Nur der Beweis scheint nicht voll¬
ständig erbracht, daß sie allein die Schuld trägt, wie es Curci in seinem
frommen Eifer, die Kirche und den Papst von aller Verantwortung für die
verderblichen Folgen zu befreien, beweisen möchte.

Die im Vorstehenden skizzirten Punkte nehmen den größten Raum nnter
den ziemlich lose und eigentlich nur durch den persönlichen Antheil des Ver¬
fassers zusammengehaltenen Partieen des Buches ein. Dennoch scheinen sie
nicht gerade die interessantesten. Diese sind vielmehr die Begründungen mild
weiteren Ausführungen der Vorschläge zu einem Concordat zwischen dem
heiligen Stuhle und der italienischen Regierung , und auf diese wollen wir im
Folgenden ausschließlich unsere Betrachtung richten. Sie wird nach zwei
Richtungen hin interessant und belehrend sein; einerseits durch die Erkenntniß,
daß auch ein höchst kirchlich gesinnter Jesuit das patriotische Verlangen nach
Anerkennung der nationalen Einigung haben kann, andererseits dnrch die
Wahrnehmung, wie auch der ehrliche Mannessinn unter dem Jesnitenhut der
zweifelhaften Mittel s.et inn^orviQ ohl xlori^in nicht entrathen zu können
glaubt und wie er trotzdem des ehrlichen Sinnes wegen den Seinigen ein
Greuel wird.

Der erwähnte vertrauliche Brief an Pius I X ., im Juni 1875 geschrieben, und
erst im vorigen Jahre durch eine Indiscretion in der päpstlichen Kanzlei an die
Öffentlichkeit gelangt, war nicht die erste Schrift, in welcher der Pater Cnrci
seine selbständige und arti-vatikanische Ansicht über das Verhältniß zwischen
Staat und Kirche offenbarte. Schon ein Jahr vorher, im Juni 1874, hatte
er in der "Grund des Werkes" betitelten Vorrede zu den zwei ersten Bänden
seiner "Exegetischen und moralischen Vorlesungen" sich freimüthig über die
kirchenpolitischen Zustände ausgesprochen, was ihm bereits damals Tadel und Haß
von Seiten der fanatischen Klerikalen eingetragen hatte. Bestimmte und höchst
energisch ausgesprochene Vorschläge macht er jedoch erst in dem Briefe, von
dem wir deshalb ausgehen wollen. Der Angelpunkt seiner Auseinander¬
setzungen ist, wie er selbst sagt, die Thatsache, "daß gegenwärtig eine Rückkehr
Italiens zu dem früheren Zustande, mit ausdrücklicher Einschließung der
weltlichen Macht des Papstes, wie sie bis zum 20. September 1870 war, un¬
möglich geworden ist. Diese Thatsache wird von Allen, welche geschichtliche
Ursachen und Wirkungen verstehen, anerkannt werden. Bon der vatikanischen


wird. Auch den Nachweis erbringt Curci, hauptsächlich durch sein eigenes
Schicksal, daß jener Fehler in der Hauptsache nicht der Kirche und ihrem Ober¬
haupte, sondern einer kleinen aber mächtigen und verderblichen Partei herrsch¬
süchtiger Fanatiker zur Last sällt, die einerseits den Papst in ihrem Sinne
bearbeitet, andererseits ihren eigenen Willen lügnerisch für den des Papstes
und des heiligen Geistes ausgegeben. Nur der Beweis scheint nicht voll¬
ständig erbracht, daß sie allein die Schuld trägt, wie es Curci in seinem
frommen Eifer, die Kirche und den Papst von aller Verantwortung für die
verderblichen Folgen zu befreien, beweisen möchte.

Die im Vorstehenden skizzirten Punkte nehmen den größten Raum nnter
den ziemlich lose und eigentlich nur durch den persönlichen Antheil des Ver¬
fassers zusammengehaltenen Partieen des Buches ein. Dennoch scheinen sie
nicht gerade die interessantesten. Diese sind vielmehr die Begründungen mild
weiteren Ausführungen der Vorschläge zu einem Concordat zwischen dem
heiligen Stuhle und der italienischen Regierung , und auf diese wollen wir im
Folgenden ausschließlich unsere Betrachtung richten. Sie wird nach zwei
Richtungen hin interessant und belehrend sein; einerseits durch die Erkenntniß,
daß auch ein höchst kirchlich gesinnter Jesuit das patriotische Verlangen nach
Anerkennung der nationalen Einigung haben kann, andererseits dnrch die
Wahrnehmung, wie auch der ehrliche Mannessinn unter dem Jesnitenhut der
zweifelhaften Mittel s.et inn^orviQ ohl xlori^in nicht entrathen zu können
glaubt und wie er trotzdem des ehrlichen Sinnes wegen den Seinigen ein
Greuel wird.

Der erwähnte vertrauliche Brief an Pius I X ., im Juni 1875 geschrieben, und
erst im vorigen Jahre durch eine Indiscretion in der päpstlichen Kanzlei an die
Öffentlichkeit gelangt, war nicht die erste Schrift, in welcher der Pater Cnrci
seine selbständige und arti-vatikanische Ansicht über das Verhältniß zwischen
Staat und Kirche offenbarte. Schon ein Jahr vorher, im Juni 1874, hatte
er in der „Grund des Werkes" betitelten Vorrede zu den zwei ersten Bänden
seiner „Exegetischen und moralischen Vorlesungen" sich freimüthig über die
kirchenpolitischen Zustände ausgesprochen, was ihm bereits damals Tadel und Haß
von Seiten der fanatischen Klerikalen eingetragen hatte. Bestimmte und höchst
energisch ausgesprochene Vorschläge macht er jedoch erst in dem Briefe, von
dem wir deshalb ausgehen wollen. Der Angelpunkt seiner Auseinander¬
setzungen ist, wie er selbst sagt, die Thatsache, „daß gegenwärtig eine Rückkehr
Italiens zu dem früheren Zustande, mit ausdrücklicher Einschließung der
weltlichen Macht des Papstes, wie sie bis zum 20. September 1870 war, un¬
möglich geworden ist. Diese Thatsache wird von Allen, welche geschichtliche
Ursachen und Wirkungen verstehen, anerkannt werden. Bon der vatikanischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/224>, abgerufen am 29.12.2024.