Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.schweife glücklich zu machen. Auf der andern Seite dient ein sehr verfeinerter Bodmer, durch den Vorfall mit Klopstock gewarnt, ging mit einiger "Sie werden Wieland glücklich schätzen, daß er, erst 19 Jahr alt, schon Wieland kam 15. Oktober bei Bodmer an, dessen Erwartungen er schweife glücklich zu machen. Auf der andern Seite dient ein sehr verfeinerter Bodmer, durch den Vorfall mit Klopstock gewarnt, ging mit einiger „Sie werden Wieland glücklich schätzen, daß er, erst 19 Jahr alt, schon Wieland kam 15. Oktober bei Bodmer an, dessen Erwartungen er <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0022" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/139843"/> <p xml:id="ID_49" prev="#ID_48"> schweife glücklich zu machen. Auf der andern Seite dient ein sehr verfeinerter<lb/> Geschmack zwar dazu, einer ungestümen Neigung die Wildheit zu benehmen,<lb/> und, indem er solche nur auf sehr wenig Gegenstände einschränkt, sie sittsam<lb/> und anständig zu machen; allein dieser verfehlt gemeiniglich die große Endab¬<lb/> sicht der Natur, und da er mehr fordert oder erwartet, als diese gemeiniglich<lb/> leistet, pflegt er die Person von so delikater Empfindung selten glücklich zu<lb/> machen. Sie wird grüblerisch, indem sie eigentlich auf keinen bestimmten<lb/> Gegenstand geht, sondern nur mit einem beschäftigt ist, den die verliebte Nei¬<lb/> gung sich in Gedanken schafft und mit allen edlen und schonen Eigenschaften<lb/> ausziert, welche die Natur selten in einem Menschen vereinigt. Man muß<lb/> keine sehr hohen Ansprüche auf die Glückseligkeiten des Lebens und die Voll¬<lb/> kommenheiten der Menschen machen. So reizend auch die Eindrücke des zärt¬<lb/> lichen Gefühls sein mögen, so hat man doch Ursache, in der Verfeinerung des¬<lb/> selben behutsam zu sein, wofern man sich nicht durch übergroße Reizbarkeit<lb/> viel Unmuth erklügeln will."</p><lb/> <p xml:id="ID_50"> Bodmer, durch den Vorfall mit Klopstock gewarnt, ging mit einiger<lb/> Scheu an die neue Freundschaft. „Mir scheint", schrieb ihm ein Freund,<lb/> „Wieland von sehr verliebter Komplexion; seine Ausdrücke find in Betreff<lb/> der Küsse zu saftig." Auch Bodmer fand den Lobgesang auf die Liebe etwas<lb/> fanatisch: „die Liebe ist da ein Taumel, ein Vergessen; ein Verlieren seiner<lb/> selbst, ein Quietismus in Wollust — übrigens ist das Ding ganz poetisch." —<lb/> Indeß er brauchte einen neuen Jünger; Wieland drückte sich äußerst ehrer¬<lb/> bietig aus und war begeistert für den Noah: „kurz", schrieb Bodmer, „wenn<lb/> mich diese neue Hoffnung täuscht, so gebe ich es mit der menschlichen Aufrich¬<lb/> tigkeit auf."</p><lb/> <p xml:id="ID_51"> „Sie werden Wieland glücklich schätzen, daß er, erst 19 Jahr alt, schon<lb/> eine Diotima hat, blühend wie sinnliche Auen, wie junge Seraphim zärtlich.<lb/> Wenn ich gedenke, daß diese Dinger, diese Dorisse, einen so starken Einfluß<lb/> auf das Gemüth der Jünglinge haben, sie tugendhaft, freundschaftlich, fromm<lb/> zu machen, so wünsche ich, daß ein Jeder die seine gefunden hätte. Aber wenn<lb/> ich ferner gedenke, daß der göttliche Charakter der Dorisse im Ehestand so gern<lb/> verschwindet, so darf ich kaum wünschen, daß jeder Dämon sich mit feiner<lb/> Doris vermählte."</p><lb/> <p xml:id="ID_52"> Wieland kam 15. Oktober bei Bodmer an, dessen Erwartungen er<lb/> völlig entsprach: der junge Poet ordnete sich ihm ganz nnter, er nahte sich ihm<lb/> mit demüthigem Entzücken, ließ die jungen Leute links liegen, führte nur ernst¬<lb/> hafte Gespräche, lebte müßig und saß den ganzen Tag am Schreibtisch. Der<lb/> alte Kritiker fand in Wieland eine patriarchalische Seele, den Tiefsinn eines<lb/> Leibnitz u. f. w.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0022]
schweife glücklich zu machen. Auf der andern Seite dient ein sehr verfeinerter
Geschmack zwar dazu, einer ungestümen Neigung die Wildheit zu benehmen,
und, indem er solche nur auf sehr wenig Gegenstände einschränkt, sie sittsam
und anständig zu machen; allein dieser verfehlt gemeiniglich die große Endab¬
sicht der Natur, und da er mehr fordert oder erwartet, als diese gemeiniglich
leistet, pflegt er die Person von so delikater Empfindung selten glücklich zu
machen. Sie wird grüblerisch, indem sie eigentlich auf keinen bestimmten
Gegenstand geht, sondern nur mit einem beschäftigt ist, den die verliebte Nei¬
gung sich in Gedanken schafft und mit allen edlen und schonen Eigenschaften
ausziert, welche die Natur selten in einem Menschen vereinigt. Man muß
keine sehr hohen Ansprüche auf die Glückseligkeiten des Lebens und die Voll¬
kommenheiten der Menschen machen. So reizend auch die Eindrücke des zärt¬
lichen Gefühls sein mögen, so hat man doch Ursache, in der Verfeinerung des¬
selben behutsam zu sein, wofern man sich nicht durch übergroße Reizbarkeit
viel Unmuth erklügeln will."
Bodmer, durch den Vorfall mit Klopstock gewarnt, ging mit einiger
Scheu an die neue Freundschaft. „Mir scheint", schrieb ihm ein Freund,
„Wieland von sehr verliebter Komplexion; seine Ausdrücke find in Betreff
der Küsse zu saftig." Auch Bodmer fand den Lobgesang auf die Liebe etwas
fanatisch: „die Liebe ist da ein Taumel, ein Vergessen; ein Verlieren seiner
selbst, ein Quietismus in Wollust — übrigens ist das Ding ganz poetisch." —
Indeß er brauchte einen neuen Jünger; Wieland drückte sich äußerst ehrer¬
bietig aus und war begeistert für den Noah: „kurz", schrieb Bodmer, „wenn
mich diese neue Hoffnung täuscht, so gebe ich es mit der menschlichen Aufrich¬
tigkeit auf."
„Sie werden Wieland glücklich schätzen, daß er, erst 19 Jahr alt, schon
eine Diotima hat, blühend wie sinnliche Auen, wie junge Seraphim zärtlich.
Wenn ich gedenke, daß diese Dinger, diese Dorisse, einen so starken Einfluß
auf das Gemüth der Jünglinge haben, sie tugendhaft, freundschaftlich, fromm
zu machen, so wünsche ich, daß ein Jeder die seine gefunden hätte. Aber wenn
ich ferner gedenke, daß der göttliche Charakter der Dorisse im Ehestand so gern
verschwindet, so darf ich kaum wünschen, daß jeder Dämon sich mit feiner
Doris vermählte."
Wieland kam 15. Oktober bei Bodmer an, dessen Erwartungen er
völlig entsprach: der junge Poet ordnete sich ihm ganz nnter, er nahte sich ihm
mit demüthigem Entzücken, ließ die jungen Leute links liegen, führte nur ernst¬
hafte Gespräche, lebte müßig und saß den ganzen Tag am Schreibtisch. Der
alte Kritiker fand in Wieland eine patriarchalische Seele, den Tiefsinn eines
Leibnitz u. f. w.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |