Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Freund, den ihr gefühlvoll Herz ihr zu versprechen scheint; ein süßer Schauer
bebt, da wir die Göttin sehn, durch unsre Seele hin, und Amor flüstert zu:
Du bist's, sie suchet dich! sie ist's, sie suchest du!" -- "Die Liebe wächst, so
klein sie ist, sehr schnell von Seufzen und von Thränen."

Nicht überall wurde in jener Zeit die Beziehung zwischen den Geschlechtern
so seraphisch aufgefaßt.

"Es scheint", schreibt einige Zeit später Magister Kant in Königsberg,
gleichalterig mit Klopstock, "eine boshafte List der Mannspersonen zu sein,
daß sie das schöne Geschlecht zum Philosophiren verleiten. Wohl bewußt ihrer
Schwäche gegen die Reize desselben, und daß oft ein einziger schalkhafter Blick sie
mehr in Verwirrung setzt als die schwerste Schulfrage, sehn sie sich, sobald
das Frauenzimmer philosophirt, in eutschiedner Ueberlegenheit, und sind in dem
Vortheil, den sie sonst schwerlich haben würden, mit großmüthiger Nachsicht
den Schwächen ihrer Eitelkeit aufzuhelfen. Der wahre Gegenstand des Frauen¬
zimmers ist der Mensch, d. h. der Mann; ihre Weltweisheit ist nicht Vernünf¬
telei, sondern Empfinden."

"Die Tugend des Frauenzimmers ist eine schöne Tugend, sie werden
das Böse vermeiden, nicht weil es unrecht, sondern weil es häßlich ist. Nichts
von Sollen, nichts von Müssen, nichts von Schuldigkeit; das Frauenzimmer
ist aller Befehle und alles mürrischen Zwangs unleidlich. Sie thun etwas
nur darum, weites ihnen so beliebt, und die Kunst besteht darin, zu machen,
daß ihnen nur dasjenige beliebe, was gut ist... Die Eitelkeit, die man ihnen
so vielfältig vorrückt, ist eigentlich nur ein schöner Fehler. Denn zu ge¬
schweige", daß die Mannspersonen, die dem Frauenzimmer so gern schmeicheln,
übel daran sein würden, wenn dies nicht geneigt wäre, es wohl aufzunehmen,
so beleben sie dadurch wirklich ihre Reize... Die ganze Bezauberung beruht
auf dem Geschlechtstriebe. Die Natur verfolgt ihre große Absicht, und alle
Feinigkeiten, die sich hinzugesellen, entlehnen ihren Reiz doch am Ende aus
ebenderselben Quelle. Ein gesunder und derber Geschmack, der sich jederzeit
sehr nahe bei diesem Triebe hält, wird durch die Reize der Gesichtszüge u. s. w.
an einem Frauenzimmer wenig angefochten, und indem er eigentlich nur anf's
Geschlecht geht, sieht er die Delikatesse Andrer als leere Tändelei an. Wenn
dieser Geschmack nicht fein ist, so ist er deswegen doch nicht zu verachten.
Denn der größte Theil der Menschen befolgt vermittelst desselben die große
Ordnung der Natur auf eine sehr sichre Art. Dadurch werden die meisten
Ehen bewirkt, und indem der Mann den Kopf nicht von bezaubernden Mienen,
schmachtenden Augen, edlem Anstand u. s. w. voll hat, so wird er desto
aufmerksamer auf haushälterische Tugenden, Sparsamkeit u. s. w. und auf
das Eingebrachte... Dies grobe Gefühl ist geschickt, die Person ohne Um-


Grenzboten II. 1873. S

Freund, den ihr gefühlvoll Herz ihr zu versprechen scheint; ein süßer Schauer
bebt, da wir die Göttin sehn, durch unsre Seele hin, und Amor flüstert zu:
Du bist's, sie suchet dich! sie ist's, sie suchest du!" — „Die Liebe wächst, so
klein sie ist, sehr schnell von Seufzen und von Thränen."

Nicht überall wurde in jener Zeit die Beziehung zwischen den Geschlechtern
so seraphisch aufgefaßt.

„Es scheint", schreibt einige Zeit später Magister Kant in Königsberg,
gleichalterig mit Klopstock, „eine boshafte List der Mannspersonen zu sein,
daß sie das schöne Geschlecht zum Philosophiren verleiten. Wohl bewußt ihrer
Schwäche gegen die Reize desselben, und daß oft ein einziger schalkhafter Blick sie
mehr in Verwirrung setzt als die schwerste Schulfrage, sehn sie sich, sobald
das Frauenzimmer philosophirt, in eutschiedner Ueberlegenheit, und sind in dem
Vortheil, den sie sonst schwerlich haben würden, mit großmüthiger Nachsicht
den Schwächen ihrer Eitelkeit aufzuhelfen. Der wahre Gegenstand des Frauen¬
zimmers ist der Mensch, d. h. der Mann; ihre Weltweisheit ist nicht Vernünf¬
telei, sondern Empfinden."

„Die Tugend des Frauenzimmers ist eine schöne Tugend, sie werden
das Böse vermeiden, nicht weil es unrecht, sondern weil es häßlich ist. Nichts
von Sollen, nichts von Müssen, nichts von Schuldigkeit; das Frauenzimmer
ist aller Befehle und alles mürrischen Zwangs unleidlich. Sie thun etwas
nur darum, weites ihnen so beliebt, und die Kunst besteht darin, zu machen,
daß ihnen nur dasjenige beliebe, was gut ist... Die Eitelkeit, die man ihnen
so vielfältig vorrückt, ist eigentlich nur ein schöner Fehler. Denn zu ge¬
schweige», daß die Mannspersonen, die dem Frauenzimmer so gern schmeicheln,
übel daran sein würden, wenn dies nicht geneigt wäre, es wohl aufzunehmen,
so beleben sie dadurch wirklich ihre Reize... Die ganze Bezauberung beruht
auf dem Geschlechtstriebe. Die Natur verfolgt ihre große Absicht, und alle
Feinigkeiten, die sich hinzugesellen, entlehnen ihren Reiz doch am Ende aus
ebenderselben Quelle. Ein gesunder und derber Geschmack, der sich jederzeit
sehr nahe bei diesem Triebe hält, wird durch die Reize der Gesichtszüge u. s. w.
an einem Frauenzimmer wenig angefochten, und indem er eigentlich nur anf's
Geschlecht geht, sieht er die Delikatesse Andrer als leere Tändelei an. Wenn
dieser Geschmack nicht fein ist, so ist er deswegen doch nicht zu verachten.
Denn der größte Theil der Menschen befolgt vermittelst desselben die große
Ordnung der Natur auf eine sehr sichre Art. Dadurch werden die meisten
Ehen bewirkt, und indem der Mann den Kopf nicht von bezaubernden Mienen,
schmachtenden Augen, edlem Anstand u. s. w. voll hat, so wird er desto
aufmerksamer auf haushälterische Tugenden, Sparsamkeit u. s. w. und auf
das Eingebrachte... Dies grobe Gefühl ist geschickt, die Person ohne Um-


Grenzboten II. 1873. S
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0021" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/139842"/>
          <p xml:id="ID_45" prev="#ID_44"> Freund, den ihr gefühlvoll Herz ihr zu versprechen scheint; ein süßer Schauer<lb/>
bebt, da wir die Göttin sehn, durch unsre Seele hin, und Amor flüstert zu:<lb/>
Du bist's, sie suchet dich! sie ist's, sie suchest du!" &#x2014; &#x201E;Die Liebe wächst, so<lb/>
klein sie ist, sehr schnell von Seufzen und von Thränen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_46"> Nicht überall wurde in jener Zeit die Beziehung zwischen den Geschlechtern<lb/>
so seraphisch aufgefaßt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_47"> &#x201E;Es scheint", schreibt einige Zeit später Magister Kant in Königsberg,<lb/>
gleichalterig mit Klopstock, &#x201E;eine boshafte List der Mannspersonen zu sein,<lb/>
daß sie das schöne Geschlecht zum Philosophiren verleiten. Wohl bewußt ihrer<lb/>
Schwäche gegen die Reize desselben, und daß oft ein einziger schalkhafter Blick sie<lb/>
mehr in Verwirrung setzt als die schwerste Schulfrage, sehn sie sich, sobald<lb/>
das Frauenzimmer philosophirt, in eutschiedner Ueberlegenheit, und sind in dem<lb/>
Vortheil, den sie sonst schwerlich haben würden, mit großmüthiger Nachsicht<lb/>
den Schwächen ihrer Eitelkeit aufzuhelfen. Der wahre Gegenstand des Frauen¬<lb/>
zimmers ist der Mensch, d. h. der Mann; ihre Weltweisheit ist nicht Vernünf¬<lb/>
telei, sondern Empfinden."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_48" next="#ID_49"> &#x201E;Die Tugend des Frauenzimmers ist eine schöne Tugend, sie werden<lb/>
das Böse vermeiden, nicht weil es unrecht, sondern weil es häßlich ist. Nichts<lb/>
von Sollen, nichts von Müssen, nichts von Schuldigkeit; das Frauenzimmer<lb/>
ist aller Befehle und alles mürrischen Zwangs unleidlich. Sie thun etwas<lb/>
nur darum, weites ihnen so beliebt, und die Kunst besteht darin, zu machen,<lb/>
daß ihnen nur dasjenige beliebe, was gut ist... Die Eitelkeit, die man ihnen<lb/>
so vielfältig vorrückt, ist eigentlich nur ein schöner Fehler. Denn zu ge¬<lb/>
schweige», daß die Mannspersonen, die dem Frauenzimmer so gern schmeicheln,<lb/>
übel daran sein würden, wenn dies nicht geneigt wäre, es wohl aufzunehmen,<lb/>
so beleben sie dadurch wirklich ihre Reize... Die ganze Bezauberung beruht<lb/>
auf dem Geschlechtstriebe. Die Natur verfolgt ihre große Absicht, und alle<lb/>
Feinigkeiten, die sich hinzugesellen, entlehnen ihren Reiz doch am Ende aus<lb/>
ebenderselben Quelle. Ein gesunder und derber Geschmack, der sich jederzeit<lb/>
sehr nahe bei diesem Triebe hält, wird durch die Reize der Gesichtszüge u. s. w.<lb/>
an einem Frauenzimmer wenig angefochten, und indem er eigentlich nur anf's<lb/>
Geschlecht geht, sieht er die Delikatesse Andrer als leere Tändelei an. Wenn<lb/>
dieser Geschmack nicht fein ist, so ist er deswegen doch nicht zu verachten.<lb/>
Denn der größte Theil der Menschen befolgt vermittelst desselben die große<lb/>
Ordnung der Natur auf eine sehr sichre Art. Dadurch werden die meisten<lb/>
Ehen bewirkt, und indem der Mann den Kopf nicht von bezaubernden Mienen,<lb/>
schmachtenden Augen, edlem Anstand u. s. w. voll hat, so wird er desto<lb/>
aufmerksamer auf haushälterische Tugenden, Sparsamkeit u. s. w. und auf<lb/>
das Eingebrachte... Dies grobe Gefühl ist geschickt, die Person ohne Um-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II. 1873. S</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0021] Freund, den ihr gefühlvoll Herz ihr zu versprechen scheint; ein süßer Schauer bebt, da wir die Göttin sehn, durch unsre Seele hin, und Amor flüstert zu: Du bist's, sie suchet dich! sie ist's, sie suchest du!" — „Die Liebe wächst, so klein sie ist, sehr schnell von Seufzen und von Thränen." Nicht überall wurde in jener Zeit die Beziehung zwischen den Geschlechtern so seraphisch aufgefaßt. „Es scheint", schreibt einige Zeit später Magister Kant in Königsberg, gleichalterig mit Klopstock, „eine boshafte List der Mannspersonen zu sein, daß sie das schöne Geschlecht zum Philosophiren verleiten. Wohl bewußt ihrer Schwäche gegen die Reize desselben, und daß oft ein einziger schalkhafter Blick sie mehr in Verwirrung setzt als die schwerste Schulfrage, sehn sie sich, sobald das Frauenzimmer philosophirt, in eutschiedner Ueberlegenheit, und sind in dem Vortheil, den sie sonst schwerlich haben würden, mit großmüthiger Nachsicht den Schwächen ihrer Eitelkeit aufzuhelfen. Der wahre Gegenstand des Frauen¬ zimmers ist der Mensch, d. h. der Mann; ihre Weltweisheit ist nicht Vernünf¬ telei, sondern Empfinden." „Die Tugend des Frauenzimmers ist eine schöne Tugend, sie werden das Böse vermeiden, nicht weil es unrecht, sondern weil es häßlich ist. Nichts von Sollen, nichts von Müssen, nichts von Schuldigkeit; das Frauenzimmer ist aller Befehle und alles mürrischen Zwangs unleidlich. Sie thun etwas nur darum, weites ihnen so beliebt, und die Kunst besteht darin, zu machen, daß ihnen nur dasjenige beliebe, was gut ist... Die Eitelkeit, die man ihnen so vielfältig vorrückt, ist eigentlich nur ein schöner Fehler. Denn zu ge¬ schweige», daß die Mannspersonen, die dem Frauenzimmer so gern schmeicheln, übel daran sein würden, wenn dies nicht geneigt wäre, es wohl aufzunehmen, so beleben sie dadurch wirklich ihre Reize... Die ganze Bezauberung beruht auf dem Geschlechtstriebe. Die Natur verfolgt ihre große Absicht, und alle Feinigkeiten, die sich hinzugesellen, entlehnen ihren Reiz doch am Ende aus ebenderselben Quelle. Ein gesunder und derber Geschmack, der sich jederzeit sehr nahe bei diesem Triebe hält, wird durch die Reize der Gesichtszüge u. s. w. an einem Frauenzimmer wenig angefochten, und indem er eigentlich nur anf's Geschlecht geht, sieht er die Delikatesse Andrer als leere Tändelei an. Wenn dieser Geschmack nicht fein ist, so ist er deswegen doch nicht zu verachten. Denn der größte Theil der Menschen befolgt vermittelst desselben die große Ordnung der Natur auf eine sehr sichre Art. Dadurch werden die meisten Ehen bewirkt, und indem der Mann den Kopf nicht von bezaubernden Mienen, schmachtenden Augen, edlem Anstand u. s. w. voll hat, so wird er desto aufmerksamer auf haushälterische Tugenden, Sparsamkeit u. s. w. und auf das Eingebrachte... Dies grobe Gefühl ist geschickt, die Person ohne Um- Grenzboten II. 1873. S

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/21
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/21>, abgerufen am 01.09.2024.