Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

heim über ihn gefällt wurde, daß er um seinen Kopf, aber nicht um sein Herz
beneidet werde.

Haben wir ein deutliches Bild von Schopenhauer's Charakter und Welt¬
anschauung gezeichnet, so kann es nicht zweifelhaft sein, welcher politischen
Richtung er sich anschloß. Daß er dem vulg arm Liberalismus keine Sympathien
entgegen bringen konnte, lag in der Natur der Sache, denn derselbe wurzelt im
Optimismus, in der Verkennung der tiefen sittlichen Schäden, welche von dem
menschlichen Wesen unabtrennbar sind. Schopenhauer als Politiker huldigte
einer streng konservativen Anschauung; da er den sittlichen Adel, das göttliche
Ebenbild im Menschen, welches trotz aller Trübungen, die seine Schöne ver¬
hüllen, ihm eigen ist, nicht wahrzunehmen vermochte, so konnte er nur einen
Staat, der, ethischer Prinzipien baar, keinen andern Zweck hat als durch Ge¬
walt die Begierde zu sesseln, für geeignet halten. Daß SchopenhaNer keine
nationalen Sympathien hatte, daß die deutsche Sprache das einzige nationale
Gut war, das er schätzte, dafür mag die kosmopolitische Erziehung, die er
empfangen, theilweise einen Erklärungsgrund hergeben, aber doch nur theilweise.
Denn er war doch ein noch junger Mann gewesen, als der mächtige Auf¬
schwung der Befreiungskriege das nationale Leben zu gesteigerter Kraft weckte,
es war doch vor allem sein Charakter und sein Pessimismus, aus dem die
nationale Apathie entsprang. Gab es denn in dieser Jammerwelt irgend ein
sittliches Gut, für welches zu leben lohnte, und lebte denn Schopenhauer für
irgend ein anderes Interesse als das eigne?

Dieses hattte bis in die vierziger Jahre auf ein ohnmächtiges Streben
sich beschränken müssen, es hatte keinen Widerhall bei seinen Zeitgenossen ge¬
funden. Der Absatz seiner Schrift: "Ueber den Willen in der Natur" 1836
war so gering gewesen, daß der Verleger sich genöthigt gesehen hatte, einen
Theil der Auflage in Makulatur zu verwandeln. Auch die neue durch einen
zweiten Band ergänzte Ausgabe seines Hauptwerth, die 1843 erschien, erntete
einen vollkommenen Mißerfolg. Ebensowenig fanden die "Grundprobleme der
Ethik", die er 1840 veröffentlichte, Eingang

Indessen bildete sich doch in den vierziger Jahren ein kleiner Kreis, der
seinen Anschauungen warme Sympathien entgegenbrachte und für dieselben
mit Eifer eintrat, am unermüdlichsten und lautesten wirkte für sie Frauenstädt.
Doch war der Erfolg immer noch gering, so gering, daß es Schopenhauer
schwer wurde, für sein letztes, 1859 vollendetes Werk: "Parerga und Parali-
pomena" einen Verleger zu finden. Doch sollte diese mehr populär gehaltne
Schrift es sein, die ihm ein größeres Publikum verschaffte und ihm für längere
Zeit eine weitgreifende Wirksamkeit bereitete. Man wurde nun auf ihn auf¬
merksam, auch seine übrigen Schriften fanden Leser. 1854 erlebte seine Ab-


heim über ihn gefällt wurde, daß er um seinen Kopf, aber nicht um sein Herz
beneidet werde.

Haben wir ein deutliches Bild von Schopenhauer's Charakter und Welt¬
anschauung gezeichnet, so kann es nicht zweifelhaft sein, welcher politischen
Richtung er sich anschloß. Daß er dem vulg arm Liberalismus keine Sympathien
entgegen bringen konnte, lag in der Natur der Sache, denn derselbe wurzelt im
Optimismus, in der Verkennung der tiefen sittlichen Schäden, welche von dem
menschlichen Wesen unabtrennbar sind. Schopenhauer als Politiker huldigte
einer streng konservativen Anschauung; da er den sittlichen Adel, das göttliche
Ebenbild im Menschen, welches trotz aller Trübungen, die seine Schöne ver¬
hüllen, ihm eigen ist, nicht wahrzunehmen vermochte, so konnte er nur einen
Staat, der, ethischer Prinzipien baar, keinen andern Zweck hat als durch Ge¬
walt die Begierde zu sesseln, für geeignet halten. Daß SchopenhaNer keine
nationalen Sympathien hatte, daß die deutsche Sprache das einzige nationale
Gut war, das er schätzte, dafür mag die kosmopolitische Erziehung, die er
empfangen, theilweise einen Erklärungsgrund hergeben, aber doch nur theilweise.
Denn er war doch ein noch junger Mann gewesen, als der mächtige Auf¬
schwung der Befreiungskriege das nationale Leben zu gesteigerter Kraft weckte,
es war doch vor allem sein Charakter und sein Pessimismus, aus dem die
nationale Apathie entsprang. Gab es denn in dieser Jammerwelt irgend ein
sittliches Gut, für welches zu leben lohnte, und lebte denn Schopenhauer für
irgend ein anderes Interesse als das eigne?

Dieses hattte bis in die vierziger Jahre auf ein ohnmächtiges Streben
sich beschränken müssen, es hatte keinen Widerhall bei seinen Zeitgenossen ge¬
funden. Der Absatz seiner Schrift: „Ueber den Willen in der Natur" 1836
war so gering gewesen, daß der Verleger sich genöthigt gesehen hatte, einen
Theil der Auflage in Makulatur zu verwandeln. Auch die neue durch einen
zweiten Band ergänzte Ausgabe seines Hauptwerth, die 1843 erschien, erntete
einen vollkommenen Mißerfolg. Ebensowenig fanden die „Grundprobleme der
Ethik", die er 1840 veröffentlichte, Eingang

Indessen bildete sich doch in den vierziger Jahren ein kleiner Kreis, der
seinen Anschauungen warme Sympathien entgegenbrachte und für dieselben
mit Eifer eintrat, am unermüdlichsten und lautesten wirkte für sie Frauenstädt.
Doch war der Erfolg immer noch gering, so gering, daß es Schopenhauer
schwer wurde, für sein letztes, 1859 vollendetes Werk: „Parerga und Parali-
pomena" einen Verleger zu finden. Doch sollte diese mehr populär gehaltne
Schrift es sein, die ihm ein größeres Publikum verschaffte und ihm für längere
Zeit eine weitgreifende Wirksamkeit bereitete. Man wurde nun auf ihn auf¬
merksam, auch seine übrigen Schriften fanden Leser. 1854 erlebte seine Ab-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0214" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/140035"/>
          <p xml:id="ID_676" prev="#ID_675"> heim über ihn gefällt wurde, daß er um seinen Kopf, aber nicht um sein Herz<lb/>
beneidet werde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_677"> Haben wir ein deutliches Bild von Schopenhauer's Charakter und Welt¬<lb/>
anschauung gezeichnet, so kann es nicht zweifelhaft sein, welcher politischen<lb/>
Richtung er sich anschloß. Daß er dem vulg arm Liberalismus keine Sympathien<lb/>
entgegen bringen konnte, lag in der Natur der Sache, denn derselbe wurzelt im<lb/>
Optimismus, in der Verkennung der tiefen sittlichen Schäden, welche von dem<lb/>
menschlichen Wesen unabtrennbar sind. Schopenhauer als Politiker huldigte<lb/>
einer streng konservativen Anschauung; da er den sittlichen Adel, das göttliche<lb/>
Ebenbild im Menschen, welches trotz aller Trübungen, die seine Schöne ver¬<lb/>
hüllen, ihm eigen ist, nicht wahrzunehmen vermochte, so konnte er nur einen<lb/>
Staat, der, ethischer Prinzipien baar, keinen andern Zweck hat als durch Ge¬<lb/>
walt die Begierde zu sesseln, für geeignet halten. Daß SchopenhaNer keine<lb/>
nationalen Sympathien hatte, daß die deutsche Sprache das einzige nationale<lb/>
Gut war, das er schätzte, dafür mag die kosmopolitische Erziehung, die er<lb/>
empfangen, theilweise einen Erklärungsgrund hergeben, aber doch nur theilweise.<lb/>
Denn er war doch ein noch junger Mann gewesen, als der mächtige Auf¬<lb/>
schwung der Befreiungskriege das nationale Leben zu gesteigerter Kraft weckte,<lb/>
es war doch vor allem sein Charakter und sein Pessimismus, aus dem die<lb/>
nationale Apathie entsprang. Gab es denn in dieser Jammerwelt irgend ein<lb/>
sittliches Gut, für welches zu leben lohnte, und lebte denn Schopenhauer für<lb/>
irgend ein anderes Interesse als das eigne?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_678"> Dieses hattte bis in die vierziger Jahre auf ein ohnmächtiges Streben<lb/>
sich beschränken müssen, es hatte keinen Widerhall bei seinen Zeitgenossen ge¬<lb/>
funden. Der Absatz seiner Schrift: &#x201E;Ueber den Willen in der Natur" 1836<lb/>
war so gering gewesen, daß der Verleger sich genöthigt gesehen hatte, einen<lb/>
Theil der Auflage in Makulatur zu verwandeln. Auch die neue durch einen<lb/>
zweiten Band ergänzte Ausgabe seines Hauptwerth, die 1843 erschien, erntete<lb/>
einen vollkommenen Mißerfolg. Ebensowenig fanden die &#x201E;Grundprobleme der<lb/>
Ethik", die er 1840 veröffentlichte, Eingang</p><lb/>
          <p xml:id="ID_679" next="#ID_680"> Indessen bildete sich doch in den vierziger Jahren ein kleiner Kreis, der<lb/>
seinen Anschauungen warme Sympathien entgegenbrachte und für dieselben<lb/>
mit Eifer eintrat, am unermüdlichsten und lautesten wirkte für sie Frauenstädt.<lb/>
Doch war der Erfolg immer noch gering, so gering, daß es Schopenhauer<lb/>
schwer wurde, für sein letztes, 1859 vollendetes Werk: &#x201E;Parerga und Parali-<lb/>
pomena" einen Verleger zu finden. Doch sollte diese mehr populär gehaltne<lb/>
Schrift es sein, die ihm ein größeres Publikum verschaffte und ihm für längere<lb/>
Zeit eine weitgreifende Wirksamkeit bereitete. Man wurde nun auf ihn auf¬<lb/>
merksam, auch seine übrigen Schriften fanden Leser. 1854 erlebte seine Ab-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0214] heim über ihn gefällt wurde, daß er um seinen Kopf, aber nicht um sein Herz beneidet werde. Haben wir ein deutliches Bild von Schopenhauer's Charakter und Welt¬ anschauung gezeichnet, so kann es nicht zweifelhaft sein, welcher politischen Richtung er sich anschloß. Daß er dem vulg arm Liberalismus keine Sympathien entgegen bringen konnte, lag in der Natur der Sache, denn derselbe wurzelt im Optimismus, in der Verkennung der tiefen sittlichen Schäden, welche von dem menschlichen Wesen unabtrennbar sind. Schopenhauer als Politiker huldigte einer streng konservativen Anschauung; da er den sittlichen Adel, das göttliche Ebenbild im Menschen, welches trotz aller Trübungen, die seine Schöne ver¬ hüllen, ihm eigen ist, nicht wahrzunehmen vermochte, so konnte er nur einen Staat, der, ethischer Prinzipien baar, keinen andern Zweck hat als durch Ge¬ walt die Begierde zu sesseln, für geeignet halten. Daß SchopenhaNer keine nationalen Sympathien hatte, daß die deutsche Sprache das einzige nationale Gut war, das er schätzte, dafür mag die kosmopolitische Erziehung, die er empfangen, theilweise einen Erklärungsgrund hergeben, aber doch nur theilweise. Denn er war doch ein noch junger Mann gewesen, als der mächtige Auf¬ schwung der Befreiungskriege das nationale Leben zu gesteigerter Kraft weckte, es war doch vor allem sein Charakter und sein Pessimismus, aus dem die nationale Apathie entsprang. Gab es denn in dieser Jammerwelt irgend ein sittliches Gut, für welches zu leben lohnte, und lebte denn Schopenhauer für irgend ein anderes Interesse als das eigne? Dieses hattte bis in die vierziger Jahre auf ein ohnmächtiges Streben sich beschränken müssen, es hatte keinen Widerhall bei seinen Zeitgenossen ge¬ funden. Der Absatz seiner Schrift: „Ueber den Willen in der Natur" 1836 war so gering gewesen, daß der Verleger sich genöthigt gesehen hatte, einen Theil der Auflage in Makulatur zu verwandeln. Auch die neue durch einen zweiten Band ergänzte Ausgabe seines Hauptwerth, die 1843 erschien, erntete einen vollkommenen Mißerfolg. Ebensowenig fanden die „Grundprobleme der Ethik", die er 1840 veröffentlichte, Eingang Indessen bildete sich doch in den vierziger Jahren ein kleiner Kreis, der seinen Anschauungen warme Sympathien entgegenbrachte und für dieselben mit Eifer eintrat, am unermüdlichsten und lautesten wirkte für sie Frauenstädt. Doch war der Erfolg immer noch gering, so gering, daß es Schopenhauer schwer wurde, für sein letztes, 1859 vollendetes Werk: „Parerga und Parali- pomena" einen Verleger zu finden. Doch sollte diese mehr populär gehaltne Schrift es sein, die ihm ein größeres Publikum verschaffte und ihm für längere Zeit eine weitgreifende Wirksamkeit bereitete. Man wurde nun auf ihn auf¬ merksam, auch seine übrigen Schriften fanden Leser. 1854 erlebte seine Ab-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/214
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/214>, abgerufen am 01.09.2024.